Norbert Mappes-Niediek ist ein unverdächtiger Zeuge. Der österreichische Journalist und Balkan-Experte, der auch für den Freitag schreibt, hat in vielen Beiträgen seine Sympathie für bedrängte Minderheiten gezeigt. Nun hat er auf Facebook eine irritierende Beobachtung vom Wiener Westbahnhof mitgeteilt. „Aufgefallen ist mir dort die merkwürdige Euphorie bei den Helfern. Strahlende Augen, Klatschen, Schulterklopfen, Rührung – von Helferszenen anderswo kenne ich das so nicht. Was ist da los?“ Später wurde er deutlicher: „Schön, dass so viel geholfen wird.Aber ich habe jetzt schon mehrere Helferszenen erlebt, auf dem Balkan und am Brenner, und da war die Stimmung eine ganz andere. Freundlich, aber viel nüchterner.“
Als ich seinen Eintrag las, stimmte ich sofort innerlich zu. Ich glaubte zu wissen, was er meint: dass außer dem Gefühl der Empathie noch etwas anderes in den Handlungen und Gesten mitschwingt. Dass sich im Strahlen, Klatschen und Schulterklopfen etwas zeigt, das nicht die Flüchtlinge meint, sondern uns. Aber was genau?
mehr:
- Flüchtlingspolitik mit Kant (Michael Angele, der Freitag, 10.09.2015)
[…] es reicht ein Blick auf Immanuel Kants Überlegungen zum Enthusiasmus. Enthusiasmus nannte der gerade oft zitierte Philosoph in der Kritik der Urteilskraft die „Idee des Guten mit Affekt“.
Und er präzisierte: „Wie jeder Affekt ist dieser Gemütszustand blind, er kann also der Vernunft nicht wohlgefallen. Ästhetisch aber ist er erhaben, weil er eine Anspannung der Kräfte durch Ideen ist, welche dem Gemüte einen Schwung geben, der weit mächtiger und dauernder wirkt als der Antrieb durch Sinnenvorstellungen.“ Ohne hier auf die knifflige Ästhetik des Erhabenen eingehen zu können, kann man Gefühle, die nachhaltiger wirken als Affekte, die auf Sinneseindrücken basieren, als Stimmung bezeichnen.
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen