Dienstag, 8. September 2015

Willkommenskultur ist ein Widerspruch in sich

Kisslers Konter: So sympathisch und menschlich das Anliegen auch ist – der Begriff „Willkommenskultur“ hat keinen Sinn. Die Versuche, Deutschland so eine neue Identität zu geben, werden scheitern. Zum Nachteil für Alteingesessene wie Zugewanderte gleichermaßen

Das Rätsel ist gelöst, die Debatte beendet. Die SPD teilt uns mit, wonach wir lange suchten, seit mindestens 1949. Sie weiß, was Deutschland ausmacht, worin sein identifikatorischer Kern besteht. Der Verfassungspatriotismus hat ausgedient, Leitkultur und Kulturnation waren gestern: „Deutschland heißt Willkommen“. Der neue SPD-Slogan lässt sich unverfänglich deuten als Willkommensgruß, im Sinne von „Deutschland sagt Guten Tag“. Die tiefere und gewiss intendierte Deutung, beglaubigt durch Großschreibung, besagt hingegen, dass Deutschland prinzipiell Willkommen bedeute; dass das Land zwischen Garmisch und Kiel sich als Willkommensrepublik definiere. Deutschlands neue Grenzen sind die Grenzen seiner Willkommenskultur; sie gehen mitten durch die Bürgerschaft.

Damit wird die moralische wie praktische Tragweite der Willkommenskultur leider überschätzt. Was einmal mit dem recht hohl gewordenen Begriff der Willkommenskultur gemeint war, ist eindeutig und ist eindeutig löblich. Kein „Haut doch ab!“, kein „Wir wollen unter uns bleiben!“ sollte Deutschland je wieder den anderen Nationen entgegen brüllen. Kein Muffelkopf mit Rückfahrkarte oder Peitschenknall sollte den Menschen aus aller Herren Länder den Grenzübertritt vergällen. Einen herzlichen Willkommensgruß wollen die Deutschen stattdessen den Durch- und Einreisenden entbieten. Aus Abschottung, Chauvinismus, Engstirnigkeit und Fremdenangst sollten Herzlichkeit, Freundlichkeit, Friedfertigkeit werden. In sehr weiten Teilen ist dieser Mentalitätswandel vollzogen, glücklich und glücklicherweise vollzogen.
mehr:
- Flüchtlinge: Willkommenskultur ist ein Widerspruch in sich (Alexander Kissler, Cicero, 08.09.2015)

siehe auch:
- Gräben in der Flüchtlingsdebatte: Wir müssen nicht so tun, als gäbe es kein Problem (Marie Amrhein, Cicero, 04.09.2015)

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