Mittwoch, 16. Oktober 2019

Rüpel, Medien und Rassisten

Im Juli 2018 fasste der Tübinger Gemeinderat mit den Stimmen von knapp der Hälfte seiner Mitglieder auf Antrag der Fraktionen von SPD und Linken einen landesweit vermutlich einmaligen Beschluss:

„Oberbürgermeister Boris Palmer spricht in keiner Weise für die Stadt Tübingen, wenn er Menschen anderer Hautfarbe unter Generalverdacht stellt oder wenn er aus äußerlichen Merkmalen, dem Sozialverhalten oder dem Kleidungsstil Rückschlüsse auf Herkunft und Status von Menschen zieht.

(…) Der Tübinger Gemeinderat erwartet vom Oberbürgermeister, dass er sein Handeln, Reden und Schreiben darauf ausrichtet, dass sich alle Menschen in unserer Stadt, gleich welcher Herkunft oder Hautfarbe sie sein mögen, wohl und willkommen fühlen können und er Fremdenfeindlichkeit entschieden entgegentritt, statt sie zu befördern und hoffähig zu machen. Der Tübinger Gemeinderat fordert den Oberbürgermeister auf, seine Äußerungen zurückzunehmen und sich dafür zu entschuldigen.“


Was war passiert? Drei Monate zuvor, im April 2018, war ich als Gast zu einer Abendveranstaltung der „Südwestpresse“ in Ulm eingeladen. Auf dem Weg vom Bahnhof zum Ulmer Münster fuhr mich in der Fußgängerzone ein Rüpelradler beinahe über den Haufen. Der Radler war jung, männlich, schwarzer Hautfarbe, mit goldenen Kettchen behängt und trug seine nackte Brust mit einem bis zur Hose geöffneten Hemd zur Schau. Meine laut und mit gestikulierenden Armen vorgetragene Aufforderung, die Slalomfahrt zu stoppen, ignorierte der Radler. Es blieb unklar, ob wegen der Kopfhörer im Ohr oder aus Prinzip. Ich sagte spontan zu dem mich begleitenden Journalisten: „Wenn ich das nachher erzähle, bin ich wieder der Rassist.“

mehr:
- Die Geschichte vom Rüpel-Radler (Boris Palmer, AchGut, 16.10.2019)
siehe auch:
„Es mangelt an Ethik“ (Post, 05.01.2017)
»Unwort des Jahres« – Die Lufthoheit über meinem Gehirn (Post, 14.01.2016)
- Leitmedienberichterstattung – alaaaf! Warum werden wir ständig wie kleine Kinder behandelt? (Post, 09.01.2016)
Wie wird eine öffentliche Debatte verhindert? – Das Vier-Phasen-Modell (Post, 06.11.2010)
Sarrazin und Sloterdijk (Reinhard Jellen, Telepolis, 08.09.2010)

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