Dienstag, 4. Februar 1997

Edgar Reitz: Gespräch über das Kino der Zukunft

Gespräch mit dem Regisseur Edgar Reitz über die Herausforderung interaktiver Medien, Computerspiele und Strukturen der Erzählung
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Edgar Reitz ist einer der wenigen deutschen Regisseure, die mit der Digitalisierung des Films nicht nur Schrecken oder Abwehr verbinden. Im digitalen Zeitalter könnten ganz neue Kinos mit einer neuen, nicht-linearen Erzählformen entstehen, die im Gegensatz zu den Medien Zuhause auf das Gemeinschaftserlebnis setzen. Florian Rötzer sprach mit Edgar Reitz über die Herausforderung interaktiver Medien, Computerspiele und Strukturen der Erzählung.
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Der Einfluß der Wirtschaft auf die Kulturproduktionx
Gleichzeitig mit der massiven Einführung der digitalen Medien setzt sich die Globalisierung der Wirtschaft durch, die zu einer Austrocknung der Staatshaushalte führt und damit auch die öffentliche Förderung der Künste beeinträchtigt. Wirkt sich das merklich auf die Kultur aus?
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EDGAR REITZ: Es sind nur noch solche Bereiche der Kultur realisierbar, die sich auch gesellschaftlich Raum verschaffen können, das heißt im Klartext, daß sie Sponsoren finden. Die Suche nach Sponsoren bedeutet inzwischen mehr, als nur Zusatzfinanzierungen zu finden: Die inhaltliche Kompetenz wandert zu den Sponsoren.

Man hat das vorerst nicht erkannt und argumentiert, wenn der Staat nicht mehr genug Geld für das Luxusgut Kultur aufbringen könne, dann müßten die Kulturveranstalter das durch Sponsoring der Wirtschaft ausgleichen, die sich damit ihr Image verbessern kann. Mit dieser Praxis ist aber ein tiefgehender Riß zwischen Kultur und Staat entstanden. Die Frage, was in der Kultur überhaupt noch realisierbar ist, hängt heute von Sponsoren-Entscheidungen ab. Wenn ich einen Sponsor finde, dann ist das für den Staat ein Argument geworden, auch zu fördern. Daß heißt, wenn er überhaupt zahlt, daß er es nur noch unter dieser Bedingung tut. Und da dreht sich etwas um, damit gerät die Entscheidung über Wert und Unwert kultureller Äußerungen, die Frage, was überhaupt intellektuelle Akzeptanz habe, in die Kompetenz der Leute, die in den Werbeabteilungen der Wirtschaft arbeiten. Wer sind diese Leute? Was haben sie gelernt? Welche Motive haben sie? Das Wort "Akzeptanz", aus der Werbung stammend, ist plötzlich im intellektuellen Bereich ganz selbstverständlich geworden.
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Was wird denn stärker gefördert? Gibt es einen bestimmten Druck auf die Kultur-Produktion?
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EDGAR REITZ: Zunächst bemerken wir eine klare Tendenz zu den etablierten bürgerlichen Künsten. Im Theaterbereich wird die Oper natürlich am längsten überdauern, im Konzertbereich die klassische Musik mit ihren Plattenstars und natürlich alles andere, was kommerziell ist. Bei der Förderung von Kunst fällt auf, daß überhaupt nicht mehr nach Inhalten gefragt wird. Es wird einfach wie verrückt gesammelt. Jeder Bankier und Versicherungsheini legt sich, wenn er kann, ein paar Gemälde in den Tresor. Die bildende Kunst verschwindet mehr oder weniger in den Tresoren der Banken. Es kommt zum Wettrennen mit den staatlichen Museen. Und dafür wird hemmungslos Geld ausgegeben.

Es sieht so aus, als wollte die Gesellschaft mehr und mehr auf den Hardwarebereich verzichten. Aber gerade wegen dieser Bestrebungen scheint es eine heimliche Sehnsucht nach materiellen Gütern zu geben. Nur von ihnen glaubt man noch, daß sie allen Krisen widerstehen können. Diese alte Sehnsucht nach Wertstabilität scheint bildende Kunst noch zu erfüllen, ebenso der ganze moderne Nippes, der aus dem Designbereich kommt. Das Sponsoring treibt uns alle in den Kommerz, zum Bürgerlichen und zum Besitzdenken hin.

Alle künstlerischen Äußerungen, die Fragen stellen, die sich aus den Traditionen der Avantgarde herleiten oder die sich gar Fragen im Sinne politischer Visionen stellen, Künstler, die experimentieren und Neues suchen, werden tendenziell nicht gefördert. Eine große Ausnahme bilden allerdings die experimentellen Künste, die sich am Rande der neuen Technologien abspielen und sie poetisch aufwerten. Deswegen kann man alle Experimente mit Computern, Video, Laser etc. gesponsort bekommen, alles, was mit Elektronik und Digitalisierung zusammenhängt. Hier hat die Industrie ein unglaubliches Angebot an inhaltsleeren Spielmöglichkeiten hervorgebracht. Jetzt sucht sie händeringend nach Leuten, die ihren Produkten Inhalte hinzufügen. So verändert sich der Kulturbegriff. Was mir auffällt, ist, daß die humanistische Tradition, die uns jahrhundertelang ein bestimmtes Wertebild vermittelt hat, dabei verloren geht. Wir leben ganz offensichtlich in einer Endzeit des Humanismus.

mehr:
- Das Kino der Zukunft (Florian Rötzer im Gespräch mit Edgar Reitz, Telepolis, 14.02.1997)
siehe auch:
Edgar Reitz’ Deutschland-Chronik bei Arte (Post, 27.08.2015)
Kinoempfehlung: Die andere Heimat von Edgar Reitz (Post, 10.11.2013)

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