Freitag, 27. Oktober 2006

Leistungsträger vor Gericht

Ursprünglich hatte ich mir überlegt, diese Meldung in der untenstehenden Überschrift "Reesche Leit unn areme Deiwel" unterzubringen. Doch dann fragte ich mich, ob das wirklich so lustig ist, wenn die Eliten, die unser aller Leben bestimmen nach Maßstäben empfinden und handeln, die für den Normalsterblichen kaum nachvollziehbar sind (oder doch ...?).

Jedenfalls stehen jetzt die Leistungsträger unserer Spaßgesellschaft wieder vor Gericht. Und wieder wird darüber zu befinden sein, ob diese Geld dafür bekommen haben, daß sie was geleistet haben (das soll sich ja wieder lohnen) oder es im Gegenteil dafür bekommen haben, daß sie nichts geleistet haben. (Wenn man's genau nimmt, ist letzteres nicht möglich, da wir immer was leisten. Aber das ist zu kompliziert. Dummerweise wird's aber grad da spannend, wo's kompliziert wird.) Also nochmal: Das Gericht wird darüber zu befinden haben, weshalb diese Managerriege Geld gekriegt hat und weshalb es so viel war. Und dann muß der Richter entscheiden, ob das in Ordnung war oder nicht.

zwei Links:
der erste speziell zum Mannesmann-Prozeß,
der zweite allgemein zu Mannesmann

Wetten, daß wir keinen Ackermannschen Siegesdaumen sehen werden? Wenn man den Pöbel schon verarscht, darf man ihm natürlich nicht noch die Zornesröte dadurch ins Gesicht treiben, daß man zeigt, wie sehr man sich freut. Was ich richtig spannend finde: Was läuft hinter der Stirn von so jemandem ab, daß der den Siegesdaumen macht? Für sowas braucht man doch Anhänger. Wenn Schumi den Siegesdaumen reckt, dann für seine Fans. Aha, Ackermann-Fans, was, der hat Fans, ei guckemool, was für Fans hat der? Oder denkt er, daß er welche hat? Oder denke ich nur, daß er keine hat oder haben sollte oder wer bin ich, daß ich mich das frage?
Jedenfalls paßt es wunderschön in unsere Zeit: Da werden Unsummen durch die Gegend geschoben, und während es bei 21,95 EUR für einen Schal, eine CD oder ein Buch völlig unstrittig ist, um wieviel es geht und für was das Geld fließen soll, erleben wir vor Gericht eine gesellschaftliche Klasse, die solche Maßstäbe mühelos zu sprengen in der Lage ist. Und da klagen wir über PISA-Studien und Werteverlust!
Vielleicht kommt ja der Ausdruck "sein Glück machen" tatsächlich von diesem ungreifbaren Phänomen "Glück". Vielleicht sinkt ja die jugendliche Leistungsbereitschaft mit der zunehmenden Bewußtwerdung der Möglichkeit, daß Glück beim Erwerb materieller Güter (vielleicht ja auch anderer) sehr viel wichtiger sein könnte als Leistung. (Natürlich auch eine tolle Entschuldigung dafür, daß man's erst gar nicht probiert.) Wie meinte Howard Carpendale mal? "War über Nacht berühmt wird, hat tagsüber hart gearbeitet." Abgesehen davon, daß der Mann so viel drauf hat, daß man schon Mitleid mit ihm haben muß, wenn man sich ansieht, mit was er sein Geld verdienen mußte, disqualifiziert er sich mit dieser Äußerung möglicherweise selber als Nicht-Checker. Wie uns unsere FDP-Abziehbildchen zeigen, ist es ja möglicherweise eben gerade die Nicht-Leistung, die das Bankkonto anwachsen läßt. Da muß jetzt nur noch ein Richter seinen Stempel druntersetzen, dann dürfen wir uns auf den Motivationsschub für die nächste PISA-Studie freuen.

Da wir grad bei Motivation sind: Unser ehemaliger Verteidigungsminister Struck hat uns ja mit mehr oder weniger Erfolg rüberzubringen versucht, daß Deutschland am Hindukusch verteidigt wird. Und da wir Deutsche seit hundert Jahren mit unseren offiziellen militaristischen Aktivitäten nicht nur glanzvoll total sondern auch mit einer schon fast grandios zu nennenden Scham gescheitert sind, tun wir uns - natürlich auch wegen einiger Gebietsverluste, über die man heute noch nicht reden darf - etwas schwer, uns in der Kontinuität unserer Geschichte zu definieren. Irgendjemandem ist dann die "Wertegemeinschaft" eingefallen. Jetzt war ich schon immer neidisch auf die Franzosen, die auf ihren Napoleon stolz sein dürfen und auf die Engländer, weil sich da noch der letzte Alki angesichts eines Photos der Queen zu Tränen gerührt an die Brust faßt. Dem haben wir Deutsche nur eine kastrierte Nationalhymne entgegenzusetzen, die Erinnerung an ein Wirtschaftswunder, welches immer stärker quietscht sowie eine in die Hose gegangene Rechtschreibreform, deren ebenfalls in die Hose gegangene Reform und die verblaßte Identität eines hart, ordentlich und sauber arbeitenden Sekundärtugendhaften. Gottseidank hat uns Klinsi ja noch ein Sommerwunder beschert, das hat uns so richtig doll aus dem -loch und der Begleitdepression rausgerissen ...
Bei der Bundeswehr haben wir damals - natürlich nur so unter uns - deren Aufgabe so definiert: "Die Bundeswehr ist dazu da, den Feind an den Grenzen so lange zurückzuhalten, bis Militär kommt."
Und solche Leute schickt man dann nach Afghanistan ....
Was machen die da? Von morgens um acht bis nachmittags um halb fünf (als mit einer halben Stunde Mittagspause) aufpassen, daß sie nicht von Minen zerrissen oder irgendwelchen bekloppten Paradiesanwärtern in die Luft gejagt werden? Was denken wir eigentlich über Leute, die 24 Stunden am Tag über Monate hinweg bereit sein müssen, andere nötigenfalls umzubringen? Was glauben wir eigentlich, wie die drauf sind? Also ein paar Zombies, für die es egal ist, ob sie eine Steckdose anschrauben oder jemanden mal kurz massakrieren? Was für eine Identität habe die Leute, die da rumlaufen, alle möglichen Annehmlichkeiten entbehren, für eine völlig abstrakte Sache eintreten und permanent um ihr Leben fürchten müssen? Was für eine Identität brauchen die? Und wir sitzen hier im Schlaraffenland und glauben über diese Leute urteilen zu können? Oh, wie praktisch! Der permanente Ausnahmezustand, genannt "Möglichkeit des Endes deiner menschlichen Existenz" muß ausgehalten werden. Normalerweise geschah dies "früher" über die Identifizierung mit der Notwendigkeit, also so etwas wie "Lebensraum im Osten" oder "Sicherung von Rohstoffen". (Im neuen deutschen Weißbuch ist interessanterweise von der "Sicherung des freien Welthandels" die Rede - zu dem Wort "frei" müßten noch einige Dritte-Welt-Gruppen ihren Senf zu geben können, wahrscheinlich verstehen die das falsch, nämlich in zwei Richtungen ...) Aber auch solche identitätsstiftenden Floskeln tragen nur ein Weile. Die Photos erinnern an ganz archaische Angst-Bewältigungsriten und scheinen so etwas auszudrücken wie: "Wir sind die, die mit dem Tod leben.", "Wir schauen dem Tod ins Gesicht." "Wir gehören zusammen, ihr seid die tatsächlichen, wir sind die potentiellen Toten."
Wenn natürlich die Moral-Zombies bei der Bild-Zeitung solche Bilder in die Finger kriegen, ist klar, was läuft: wenige Zentimeteer über einer barbusigen Schönheit, die irgendwo in unserer westlichen Wertegemeinschaft mal wieder ganz unschuldig [Jesus: "Ehe Ihr nicht werdet wie die Kinder ..."] irgendwas genießt, wird uns wieder klargemacht, was für eine degenerierte Gesellschaft wir doch sind (Wir sind zwar Papst, aber so welche, die stören unseren Seelenfrieden). Wenn man überhaupt von Skandal sprechen kann, ist es der, daß sich die größte deutsche Zeitung nicht entblöded, solche Bilder zu veröffentlichen. Bezüglich des Straftatbestandes "Störung der Totenruhe" frage ich mich, wer die Ruhe mehr gestört hat: die Soldaten oder die Bild-Zeitung.
Bei den Bildern der Soldaten habe ich nicht die geringsten Probleme, mir einen - noch so schrägen - Ritus vorzustellen. Was die Bild-Zeitung macht, das ist die Geschmacklosigkeit: den Finger in eine Doppelmoral zu legen, die man selbst am Leben hält.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen