Mittwoch, 14. Februar 2007

Eine Aufforderung zum Tun im Geiste

Die Naturwissenschaft kann uns Aufschluß geben über das Körperliche des Menschen, sie kann uns Aufschluß geben über den Verlauf der körperlichen, der physiologischen Funktionen während des physischen Lebens des Menschen. Aber diese naturwissenschaftliche Erkenntnis, so wie wir sie treiben, indem wir mit äußeren Werkzeugen experimentieren, indem wir mit äußeren Sinnen beobachten, sie hat gerade in der Zeit, in der sie so groß geworden ist, nicht vermocht, in das eigentliche spirituelle Leben des Menschen tiefer hineinzudringen. Das ist kein Tadel, den ich damit aussprechen will; das war die große Aufgabe der Naturwissenschaft, wie wir sie zum Beispiel, ich möchte sagen, in einer großen Systematik zusammengestellt finden bei einer Persönlichkeit wie Huxley. Das ist die große Leistung, daß sie einmal die Natur angesehen hat, ganz unbekümmert um alles dasjenige, was etwa in der Welt an Geistigem lebt.

Dafür haben wir auch eine Menschenerkenntnis, die nicht übergehen kann zu der unmittelbar praktischen Handhabung des Geistigen. Wir haben ein spirituelles Leben in unserer gegenwärtigen Zivilisation, und die verschiedenen Religionsbekenntnisse pflanzen dieses spirituelle Leben fort. Wir haben aber kein solches spirituelles Leben, das dem Menschen etwas zu sagen vermag, wenn er die bange Frage richtet nach dem Ewigen, nach dem Unvergänglichen, nach dem Übersinnlichen, dem er angehört; wir haben kein spirituelles Leben, das uns, mit anderen Worten, zu geben vermag Überzeugungen; Überzeugungen, wenn wir einsam dastehen in der Welt mit unserem physischen Leben, mit unserer physischen Lebensauffassung und nun fragen: Was liegt zugrunde an Ewigem, an Übersinnlichem dieser ganzen Sinneswelt?

Wir können uns dann Überzeugungen bilden darüber, was wir waren vor der Geburt im Schoße der göttlichen, übersinnlichen Welt. Wir können Überzeugungen bilden von demjenigen, was unsere Seele wird durchzumachen haben, wenn sie durch die Pforte des Todes gegangen ist. Wir können dasjenige, was wir so als Überzeugungen fassen, in Formeln bringen. Es kann, ich möchte sagen, warm in unser Herz, in unser Gemüt hereinströmen. Wir können sagen: Der Mensch ist mehr im ganzen Weltenall, als er ist in diesem physischen Leben zwischen Geburt und Tod.

Allein dasjenige, was wir auf diese Weise gewinnen, es bleibt Überzeugung, es bleibt etwas, was wir denken und fühlen können. Es wird immer schwieriger und schwieriger, die großartigen Überzeugungen, die uns zu diesem Spirituellen hinzu die Naturwissenschaft gibt, in die Handhabung, in die Praxis des Lebens hineinzuführen. Wir wissen vorn Geiste; wir verstehen es nicht mehr, mit dem Geiste zu tun, mit dem Geiste zu handeln, unsere Lebenspraxis, das alltägliche Leben mit dem Geiste zu durchdringen.

Welches Gebiet des Lebens ist es am meisten, das uns auffordert, mit dem Geiste zu tun? Es ist das Erziehungs-, es ist das Unterrichtswesen. In der Erziehung müssen wir den ganzen Menschen ergreifen, und der ganze Mensch ist Körper, Seele und Geist. Wir müssen mit dem Geiste tun können, wenn wir erziehen, wenn wir unterrichten wollen.

Hat zu allen Zeiten der Menschheitsentwickelung diese Forderung über der Menschheit gestanden, so dürfen wir sagen: Jetzt gerade, weil wir auf dem Gebiete der äußerlichen Naturerkenntnis so weit gekommen sind, jetzt gerade am allermeisten steht die Forderung vor uns, mit dem Geiste tun zu können. Darum ist die soziale Frage heute in erster Linie eine Erziehungsfrage. Denn wir wollen mit Recht heute fragen: Was soll geschehen, damit soziale Ordnungen, soziale Institutionen unter uns entstehen, die minder tragisch sind als die heutigen, die minder bedrohlich sind als die heutigen? – Wir können uns keine andere Antwort geben als die: Wir müssen zunächst Menschen in das praktische Leben, in die soziale Gemeinschaft hineinstellen, die aus dem Geiste heraus, aus dem Tun im Geiste erzogen sind.

Eine solche Erkenntnis, die zu gleicher Zeit fortwährendes Tun im Leben ist, strebt diejenige Spiritualität im Leben an, welche zur Basis gemacht werden soll – nach der Meinung, die hier vertreten wird – für die Erziehung der verschiedenen Lebensalter des Menschen.

aus Rudolf Steiner, Die geistig-seelischen Grundkräfte der Erziehungskunst, Erster Vortrag, gehalten in Oxford, 16. August 1922: Die spirituelle Grundlage der Erziehung

Im Wikipedia-Artikel über Rudolf Steiner findet man im letzten Absatz des Abschnitts Die theosophische Phase einen Hinweis auf Jiddu Krishnamurti.

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