Montag, 18. Mai 2009

Sie leben vom Lösegeld der Piraten

In Somalia bringt die Seeräuberei einen beispiellosen Aufschwung und die einzige Chance auf einen guten Job

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Von Marc Engelhardt



Schneller Reichtum im Armenhaus: Für junge Somalis bleibt nur die Laufbahn als Pirat.











In der Einfahrt stehen Geländewagen, auf Hochglanz poliert. Wo früher nur windschiefe, strohbedeckte Fischerhütten die Küste säumten, blitzen heute weiß getünchte Villen in der gleißenden Sonne. An der staubigen Küste im Norden Somalias spielen die Kosten keine Rolle mehr: Neureiche Piraten wie Hassan Abdi haben Geld en masse. »Ich habe in wenigen Jahren Hunderttausende Dollar verdient», sagt der Mann. Abdi – dessen Name hier geändert ist – stammt aus Eyl. Das ist eines der berüchtigtsten Piratennester in Puntland, der Region rund ums Horn von Afrika.

In Puntland ist die Piraterie zum mit Abstand wichtigsten Wirtschaftssektor avanciert. Dreißig Millionen Dollar Lösegeld sollen Piraten hier im vergangenen Jahr gemacht haben. Der puntländische Haushalt beträgt etwa zwanzig Millionen.

In Eyl hat sich rund um das Kerngeschäft eine rege Dienstleistungsindustrie entwickelt. Sobald die Seeräuber – das sind selten mehr als zehn Mann – ein neues Schiff gekapert haben, läuft in der Gegend eine wohl geölte Maschinerie an, berichtet ein somalischer Journalist, der nur Abdullahi genannt werden möchte. »Männer ziehen Anzüge und schicke Schuhe an, werfen Laptops in ihre Landcruiser und fahren zum Hafen, um auf die ankommende Besatzung zu warten«, erzählt der Journalist. Die einen erklären sich flugs zu Verhandlungsführern, andere zu Finanzverwaltern. Im Dorf warten Köche darauf, das lukrative Catering für die Geisein zu übernehmen. »Wer schießen kann, übernimmt Wache: gut fünfzig auf dem Schiff, noch mal fünfzig davor.« Jede helfende Hand wird entlohnt, sobald das Lösegeld fließt. Nicht jeder wird reich dabei: Von den Millionensummen, die bezahlt werden, bekommen manche Helfer gerade mal einen Zwanzig-Dollar-Schein ab.

Ein Teil des Lösegelds, erklärt Abdullahi, geht für Schmiergelder drauf: »Da tauchen immer wieder Führer irgendwelcher Gruppen auf, und wenn der Piratenboss glaubt, dass sie eine Gefahr darstellen, bekommen sie etwas ab.« Islamistische Gruppen sind ebenso darunter wie Clanmilizen oder sogenannte Polizisten, die vom Staat schon lange nicht mehr bezahlt werden. »In Somalia wird ständig gekämpft. Wer heute ein Dorf kontrolliert, kann morgen schon wieder verjagt worden sein«, erklärt Abdullahi.

Puntlands Regierung unter Abdirahman Mohamud Farole hat bislang keinen Versuch gemacht, gegen die Piraten vorzugehen. »Die puntländische Regierung profitiert von der Piraterie, direkt und indirekt«, weiß ein Journalist, der für den puntländischen Sender Radio Garowe arbeitet. Auch er will seinen Namen nicht nennen. »Die Piraten zahlen eine Art Steuer an die Behörden, damit sie gar nicht erst versuchen, lästig zu werden«, sagt er. Dass Farole derzeit versucht, westlichen Gebern eine Sondereinheit zur Bekämpfung der Piraterie schmackhaft zu machen, sei eine Farce, sagt denn auch Andrew Mwangura, der ein Seefahrer-Hilfsprogramm in der kenianischen Hafenstadt Mombasa betreibt. »Die sagen: Gebt uns Geld. Und das verschwindet dann irgendwo. Aber wirklich etwas gegen die Piraten unternommen wird damit nicht.« Die 15 Millionen Euro, die Farole fordert, sollten besser zur Wiederherstellung der staatlichen Ordnung in Somalia eingesetzt werden, meint Mwangura.

Selbst wenn der Regierungschef es ernst meinen sollte: In der Bevölkerung hätte sein Plan nur wenig Rückhalt. Denn Männer wie Abdi kurbeln die Wirtschaft an. Sie geben Schnellboote in Auftrag, die von örtlichen Handwerkern aus Fiberglas hergestellt werden. Anstelle von Außenbordern bauen sie Lkw-Motoren ein, die eine Schiffsschraube antreiben. So kommen die Boote richtig auf Touren. Die Piraten kaufen Lebensmittel für die Geiseln und importieren Waffen und Khat, das Rauschkraut, das die Söldner bei der Stange hält. Und sie beschäftigen Hunderte Jugendlicher, die sonst keinen Job hätten.

Einen Teil seiner Lösegelder investiert Abdi in Häuser, Restaurants, Kneipen, Bordelle. Für all jene, die von diesem Aufschwung profitieren, ist Abdi ein Held, einer der dafür gesorgt hat, dass in einer von 18 Jahren Bürgerkrieg und Regierungslosigkeit gezeichneten Region eine Boomtown neben der anderen entsteht. Junge Bewerber stehen Schlange: Für junge Somalis, die nie einen funktionierenden Staat erlebt haben, ist das Piratentum derzeit der einzige Karriereweg. ■

Der Autor ist Journalist und lebt in Nairobi.

»Wir sind Helden«

Alles begann, als ich die Highschool abgeschlossen hatte, auf die Universität wollte und dafür kein Geld da war. Also wurde ich wie mein Vater Fischer in Eyl im Puntland, im Norden Somalias, auch wenn ich davon träumte, für ein richtiges Unternehmen zu arbeiten. Doch dazu kam es nie, weil 1991 die somalische Regierung zerschlagen wurde und das Land zerfiel. Als Fischer auf See wurden wir oft von fremden Booten und Trawlern angegriffen. Wir mussten fliehen, um unser Leben zu retten. So fing auch ich an, Schiffe zu entführen. Ich weiß, man hält uns für Piraten, die sich illegal Geld beschaffen. Wir aber betrachten uns als Helden, die der Armut entkommen. Mit den Entführungen begehen wir in unseren Augen kein Verbrechen, sondern fordern nur ein Wegegeld, da wir seit Jahrzehnten keine Regierung mehr haben, die unser Seegebiet kontrollieren könnte. Wir werden so lange weitermachen, bis es wieder somalische Autoritäten gibt, die unsere Hoheitsgewässer schützen und kontrollieren.

Asad Booyah Abdulahi, 42, Piraten-Anführer vor der Küste Somalias
(aus: »Der Freitag«, 23. April 2009)


aus Publik-Forum 9•2009

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