Der niederländische Diplomat und Chinakenner Robert Hans van Gulik hatte 1949 einige Fälle des Richters Di übersetzt. Danach begann er, zum Teil gestützt auf andere klassische Kriminalberichte aus der chinesischen Literatur, eigene Geschichten um diesen legendären Beamten zu schreiben. Historie, Kultur und Lebensart der Zeit sind authentisch. Gulik beschreibt genau, aber immer fesselnd erzählend, das Leben in der chinesischen Provinzstadt Pu-yang, in der fern der Metropole von Barbaren und örtlichen Tyrannen bedrohten Grenzstadt Lan-fang und sogar in einer Art chinesischem Las Vegas, mit Glücksspielhöllen und ordentlich kontrolliertem Gunstgewerbe (da gab es vier Klassen), auf der ›Paradiesinsel‹. Der Richter ermittelt in allen Fällen selber mit seinen verwegenen Gehilfen Hung, Ma, Tschiao und Tao, er urteilt ab und muß auch schlimmstenfalls bei den allerärgsten Hinrichtungen dabei sein, das verlangt das Gesetz. Übrigens hat Gulik die Geschichten in die Ming-Ära verlegt (1368-1644), aber das macht gar nichts – die Literatenprüfungen, die in China die Beamtenlaufbahn eröffneten, waren von Beginn des 7. Jahrhunderts an bis 1905 immer genau gleich, klassische literarische Bildung mußte beherrscht werden. Das alles und noch viel mehr kriegt man hintenherum mit, wenn man bei Richter Dis Kriminalfällen zum Chinaexperten wird… Bestes Lesefutter!«
Til Radevagen / zitty, Berlin
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On the Track of Robert van Gulik {7:27}
chinaminutes
Am 31.08.2018 veröffentlicht
Am 31.08.2018 veröffentlicht
Director Rob Rombout discusses making the film 'On the Track of Robert van Gulik'
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1910
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9.
August: Robert Hans von Gulik in Zutphen, Niederlande, geboren. Sein Vater,
Willem Jacobus van Gulik, ist Arzt in der Königlich-Niederländischen
Ostindienarmee.
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1915
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Erste
Überseereise, zusammen mit seiner Mutter und seiner jüngeren Schwester. Der 1. Weltkrieg ist im Gange, aber die
Niederlande sind neutral. Das Schiff fährt nach Java, wohin der Vater vorausgereist
ist, um seine zweite turnusmäßige Dienstzeit abzuleisten.
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1916-1922
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Besuch
der Grundschule in Surabaja und Batavia (heute Djakarta), Java. Er wird in
Niederländisch unterrichtet, eignet sich aber von den Bediensteten und auf
der Straße Malaiisch und Javanisch an. Er entwickelt eine lebenslange
Vorliebe für alles Chinesische.
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1923-1929
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Zurück
in den Niederlanden (in Nimwegen) besucht er ein exklusives Gymnasium, wo er
neben Mathematik, Naturwissenschaften und modernen Sprachen Latein und
Griechisch lernt. Seine Sehnsucht nach der schönen Insel Java regt ihn zu
literarischen Arbeiten an, die in der monatlich erscheinenden Schülerzeitschrift
Rostra veröffentlicht werden. Manche dieser Beiträge sind in Niederländisch,
manche in Französisch verfaßt. Er nimmt Privatunterricht bei einem
chinesischen Studenten, um seine schriftlichen und mündlichen
Sprachkenntnisse in Kantonesisch und Mandarin zu vervollkommnen. Er begegnet
Professor C. C. Uhlenbeck, der ihn
Russisch und Sanskrit lehrt, und hilft seinem Lehrer, ein Wörterbuch der Sprache
der nordamerikanischen Schwarzfuß-Indianer zusammenzustellen.
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Noch als
Gymnasiast, 1928, schreibt er Beiträge für die Wissenschaftszeitschrift China,
die von der Dutch Chinese Cultural Association herausgegeben wird. Seine
gut ausgearbeiteten und gelehrten Aufsätze über alte chinesische Dichtung
werden enthusiastisch aufgenommen.
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1929-1934
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An der berühmten
Universität Leiden studiert er orientalisches Kolonialrecht, ›Indologie‹ (eine Disziplin, die sich mit der Kultur des damaligen
Niederländisch-Indiens befaßt) und, natürlich, chinesische Sprache und
Literatur.
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1932
übersetzt er ein Theaterstück aus dem Sanskrit und erreicht dessen
Veröffentlichung.
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Chinesische
Kollegen geben ihm den Namen Kao Lo-pei (Kao = Gu, Lo-pei = Robert), den er von da an für seine chinesischen
Publikationen verwendet.
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Pflegt
für den Rest seines Lebens das tägliche Ritual, chinesisches Kalligraphieren
mit dem Pinsel zu üben.
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Seine
Vordiplomarbeit (1933) erscheint in Englisch unter dem Titel The
Development of the Juridical Position of the Chinese in the Netherlands
Indies. Er wechselt zur Universität Utrecht, um zusätzlich Tibetisch und
Sanskrit zu studieren, und legt 1934 seinen langen Essay Mi Fu on Inkstones
als Diplomarbeit vor.
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Erlangung
der Doktorwürde (1935) cum laude mit seiner Dissertation Hayagriva, the Mantrayanie Aspect of the Horsecult in China and Japan, einer Arbeit
über den Mantra-Aspekt des Pferdekultes in China und Japan.
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1935-1942
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Erster
Diplomatenposten an der holländischen Botschaft in Tokio. Mitbegründer der Monumenta Nipponica (1938) an der Sophia-Universität, deren Verwaltungsratsmitglied
er fast dreißig Jahre lang sein wird.
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Veröffentlichung
zweier Studien über eine frühe Auffassung von einer exotischen Art des
Musizierens. Aufbau einer Bibliothek von Büchern und Manuskripten über
chinesische Musik, die ebenso wie seine erste Kunstsammlung verlorengeht, als
der Zweite Weltkrieg ausbricht und er zusammen mit Diplomaten der Alliierten
evakuiert wird.
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1943
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Vorübergehende
Ernennungen in Ostafrika, Ägypten und Neu-Delhi, Indien.
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1943-1946
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Erster
Sekretär an der niederländischen Gesandtschaft in Tschungking, der Hauptstadt
des freien Chinas. Spielt die siebensaitige chinesische Laute und gewinnt
viele hochgestellte und kunstsinnige Freunde.
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Lernt
Shui Shifang, eine Absolventin der Ch'i-lu-Universität, Tochter eines kaiserlichen
Mandarins und Typistin an der Botschaft, kennen und heiratet sie am 18.
Dezember 1943. Es finden zwei Zeremonien statt, eine protestantische und eine
moderne chinesische. Geburt Willems, des ersten Sohns, im Jahr darauf. Es
folgen drei weitere Kinder, eine Tochter und zwei Söhne.
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Van
Gulik beginnt sich für den Buchdruck und das Aufziehen von Rollbildern zu
interessieren.
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1946-1947
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Versetzung
nach Den Haag, wo er in der politischen Abteilung des Außenministeriums
arbeitet. Verbringt soviel Zeit wie nur möglich an der Universität Leiden.
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Er wird
als Berater der niederländischen Botschaft in Washington in die USA
geschickt. Ernennung zum Mitglied der Fernostkommission, die sich mit
Angelegenheiten der Besetzung Japans befaßt.
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Fortsetzung
seiner Fernoststudien an US-amerikanischen Universitäten.
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1948-1951
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Ernennung
zum Berater an der niederländischen Militärmission in Tokio. Spricht sich
gegen die japanische Sprachreform aus, die die Anzahl der gängigen
Schriftzeichen auf 1850 beschränken wird. Niemand hört auf ihn, und er
beginnt mit der Richter-Di-Saga. Das erste Buch ist seine Übersetzung eines
authentischen chinesischen Kriminalromans aus dem 18. Jhdt., das er privat
drucken läßt. Das Dee Goong An (drei Mordfälle, gelöst von Richter
Di), ist ein Erfolg.
Er studiert den Malstil der Ming-Zeit, um seine Bücher selbst authentisch illustrieren zu können. Um das wachsende Interesse zu befriedigen, schreibt er The Chinese Maze Murders, seinen ersten Richter-Di-Roman. Das Buch verkauft sich gut, sowohl in Englisch und Niederländisch als auch in den ebenfalls von ihm geschriebenen chinesischen und japanischen Versionen. Die Serie wird schließlich siebzehn Bücher umfassen. |
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Da sich
nackte Frauen auf Buchumschlägen verkaufsfördernd auswirkten, bat ihn sein
Verleger um erotische Zeichnungen. Van Guliks Suche nach der genuinen nackten
chinesischen Frau kulminiert in zwei wissenschaftlichen Abhandlungen: Erotic Color Prints of the Ming Period und Sexual Life in Ancient China.
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1951-1953
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Berater
an der niederländischen Botschaft in Neu-Delhi. Fortsetzung der
Sanskrit-Studien und Niederschrift des wichtigen Essays Siddham (über
die Sanskrit-Forschung in Japan und China), der 1956 veröffentlicht wird. Das
Siddam-Alphabet des Sanskrit ist in der künstlerischen Kalligraphie des
japanischen esoterischen Buddhismus sehr verbreitet.
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1953-1956
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Direktor
der Abteilung ›Mittlerer Osten und afrikanische Angelegenheiten‹ im
Außenministerium in Den Haag. Findet Zeit, weitere Plots für Richter-Di-Romane
zu entwerfen. Entdeckt ein Exemplar eines Handbuchs für chinesische Richter
aus dem 13. Jhdt., Parallel Cases from under the Pear-Tree, das er übersetzt
und, mit seinen Anmerkungen und Kommentaren versehen, veröffentlicht.
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1956-1959
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Bevollmächtigter
Gesandter der Niederlande für den Mittleren Osten mit Standort in Beirut,
Libanon. Die politische Situation ist sehr unsicher und die Berufung daher
gefährlich, aber van Gulik findet Gefallen an seinen Studien der arabischen
Sprache und Religion an der lokalen Universität. Als sein Haus bombardiert
wird, reist seine Familie in die Niederlande zurück, während van Gulik seine
Arbeit und seine Studien im Keller fortsetzt. Er schreibt The Chinese Nail Murders in der vergeblichen Absicht, die Richter-Di-Serie zu beenden. Er
findet sogar noch Zeit, ein monumentales Werk über das chinesische
Kunstverständnis zu schreiben: Chinese Pictorial Art as Viewed by the Connoisseur.
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1959-1962
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Mit 49
Jahren als Botschafter nach Kuala Lumpur, Malaysia, versetzt. Außerdem wird
er Professor, denn er unterrichtet offiziell an der Universität von Malakka.
Er entdeckt die flinken und überlegenen Gibbons, langgliedrige Baumaffen, die
in vielen Teilen des Fernen Ostens anzutreffen sind. Verschiedene dieser
grazilen und intelligenten Wesen werden seine Haus- und Gartentiere, und sie
regen ihn an, alles nur verfügbare Material über diese besondere Rasse
entwickelter Geschöpfe zu sammeln.
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1963-1964 |
Eine weitere Amtsperiode in Den Haag als Direktor der Forschungs- und Dokumentationsabteilung des Außenministeriums. Schreibt seinen einzigen ›holländischen‹ Roman über einen einsamen Mann in einem nassen Regenmantel, der ständige und schmerzhafte Niederlagen erleidet; aber alles nimmt ein glückliches Ende, als Meneer Hendriks sein Zen-Koan löst. |
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1965-1967
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Krönung
seiner diplomatischen Laufbahn durch die Ernennung zum Botschafter für Japan
und Korea. In der Hoffnung, seine Forschungen fortsetzen zu können, läßt er
seine gesamte Bibliothek nach Tokio verschiffen. Als auch die Kunstsammlung
eintrifft, ist seine Amtsresidenz bis unters Dach gefüllt. Trotzdem findet er
noch Platz für seine zierlichen und freundlichen Gibbons.
Die Abhandlung The
Gibbon in China beendet er mit einiger Hast, denn sein Gesundheitszustand
verschlechtert sich rasch. Der Verdacht auf Lungenkrebs wird in einem Den
Haager Krankenhaus bestätigt, wo er am 24. September 1967 stirbt und zu einem
seiner letzten Besucher sagt, er freue sich auf das, was ihn erwarte, ganz
gleich, was es sei.
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[…] Die
Zahl seiner wissenschaftlichen Abhandlungen, Romane, Artikel, Essays,
literarischen oder sinologischen Leckerbissen wage ich nicht zu schätzen. Ein
wirklich beschäftigter Mensch findet immer Zeit, und van Gulik besuchte gern
Druckerwerkstätten, am liebsten die kleinen, die auch Bücher banden, in
irgendeiner Hintergasse der Stadt, in der er gerade lebte oder sich zu Besuch
aufhielt. Da er immer die Sprache des Ortes beherrschte, an dem er sich befand,
gelang es ihm gewöhnlich, eine fruchtbare, auf Gegenseitigkeit beruhende
Beziehung zu den Werkstattinhabern herzustellen. Auch daß er selbst Bücher
drucken und binden konnte, alles über den Satz sowie Papiersorten, Leime und
dergleichen wußte, war ihm dabei von Nutzen. Die Zusammenarbeit mit diesen
neuen Freunden in Beirut, Tschungking, Den Haag, Tokio und sogar Washington
ließ eine ganze Anzahl kleiner Schriften und Büchlein entstehen. Van Gulik
hatte meistens ein Thema im Sinn und war in der Lage, in wenigen Tagen einen
Text zu produzieren, so daß der Drucker unverzüglich eine limitierte Auflage
davon herstellen konnte. Mit dem Auftrag war jedoch eine Bedingung verknüpft,
nämlich daß der Botschafter bei der Arbeit helfen durfte. Und dann krempelte
van Gulik die Ärmel hoch, kaute auf einer Zigarre herum, erzählte Witze auf
Chinesisch, Arabisch, Malayisch, Japanisch, notfalls auch auf Niederländisch,
borgte sich eine Schürze und prüfte den verfügbaren Tuschevorrat. Oftmals
stellten die Drucker fest, daß sie von ihrem Gehilfen lernen konnten, wie zum
Beispiel der Mann aus Tschungking, der bis zu van Guliks erstem Besuch nie
etwas anderes als Kinokarten gedruckt hatte. Die meisten dieser Bücher und
Schriften, von denen jeweils vielleicht zweihundert Stück aufgelegt wurden,
gingen in jenen unruhigen Zeiten der Kriege, Revolutionen, Versetzungen und
Repatriierungen verloren. Mehrere Male mußte van Gulik alles zurücklassen. Zweimal
verlor er eine ganze Kunstsammlung und seine private Bibliothek. Die
Verbreitung seiner Produkte erfolgte ohne eine besondere kommerzielle
Strategie. Er verschenkte die Bücher zu Weihnachten und Neujahr an Freunde,
Verwandte und Kollegen in der ganzen Welt. Manchmal ließ er sie in den lokalen
Geschäften auf Kommission verkaufen und einmal (während der amerikanischen
Besetzung Japans) sogar von US-Soldaten. Das Geschäft war in geldlicher
Hinsicht nie profitabel.
Eines
dieser wunderschön gedruckten Büchlein fiel mir in Amsterdam, an einem Straßen
stand, in die Hände. Es hat zweiunddreißig Seiten und trägt den Titel New
Year's Eve in Lan-fang. Es ist in Beirut gedruckt, auf hochwertigem Papier,
mit perfekter Bindung und einer hübschen Type und könnte in Schwarzarbeit von
einem Mönch der ›Imprimerie catholique‹ hergestellt worden sein. Die
Illustrationen hat van Gulik selbst gezeichnet – sie bestehen aus zwei
stilisierten chinesischen Schriftzeichen (jedes eine ununterbrochene Linie);
das linke bedeutet Fu (glücklich
sein) und das rechte heißt Shou (langes Leben). Zusammen ergeben die
beiden symbolischen Formen den traditionellen chinesischen Neujahrswunsch.
»Was für
ein Mann«, sagte John Blofeld über van Gulik, und nannte ihn ein leuchtendes
Beispiel dafür, wie man seine Zeit auf der Erde sinnvoll verbringen kann. Den
höchsten Nutzen aus seinem Leben ziehen – eine schwere Aufgabe für die meisten
von uns, aber van Gulik bestand alle Prüfungen Cum laude. Weihrauch
glimmt vor seinem Porträt.
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Es rührte sicher van Guliks Seele an, wenn er das Treiben seiner kultivierten und entwickelten Freunde in seinen Häusern und Gärten beobachtete, aber er schrieb kein Gedicht über sie. Er dichte nicht mehr, äußerte er 1964 einer holländischen Zeitung gegenüber:
»Als Student veröffentlichte ich Gedichte in Elseviers Monatszeitschrift. Ich bekam zehn Gulden pro Seite, ein hübsches Sümmchen zu jener Zeit. Doch dann erkannte ich, daß das nicht mein Medium war. Ich sah, was chinesische Dichter auf dem Gebiet leisteten, und verlor vollständig den Mut. Ihre Arbeit ist so rein und anspruchsvoll, daß ich wußte, ich würde es nie wagen, mit ihnen zu konkurieren.«
Aber Geschichten zu erzählen traute er sich noch, etwa die folgende aus The Gibbon in China, die ich stark gekürzt wiedergebe:
Achtes Jahrhundert: Literaturkandidat Sun K'o durchstreift das Land, nachdem er seine Doktorprüfung nicht bestanden hat. Am See von Wei-wang entdeckt er ein großes Landhaus und erfährt von einem Passanten, daß Fräulein Yüan dort wohnt. K'o klopft an die Eingangstür, aber niemand öffnet. Durch eine unverschlossene Seitentür gelangt er auf das Anwesen und erblickt ein junges Mädchen im Hof. Sie erinnert ihn an eine ›in Mondlicht getauchte Perle‹, an ›einen im Morgennebel schimmernden Weidenbaum‹, sie besitzt den ›zarten Reiz einer Orchidee und die vollkommene Form einer Jadeskulptur‹.
Das Mädchen singt:
Manche finde ich reizvoll wie funkelnden Wein. Andere so geschmacklos wie trockenes Gras. Allein die blauen Berge und die weißen Wolken kennen die Gefühle, die ich in meiner Seele bewahre.
Eine Romanze entwickelt sich: Der gescheiterte Student und das anmutige junge Mädchen umarmen sich. Sie heiraten sogar, und der Student ist nun ein reicher Mann, denn seine Frau besitzt viele Ländereien. Ihr Yang harmoniert mit seinem Yin, und das Paar bekommt zwei Söhne. Ihr Glück dauert viele Jahre, bis K'o eine Reise unternehmen muß und einen früheren Freund, einen Doktor der Literatur, trifft, der die Geheimnisse taoistischer Tricks studiert hat. K'o erzählt ihm, wie er seiner jetzigen Frau begegnet ist und welch ein glückliches Leben er führt.
Der Freund ist beunruhigt. Er erklärt K'o die taoistische Magie, denn er hat an K'os Verhalten erkannt, daß dieser verhext ist. Schon allein die Tatsache, daß K'o keinen Verdacht schöpft, beweist, daß seine Frau eine Hexe ist. Solche Schönheit, solcher Liebreiz, ein so ausgeglichener Charakter, eine derartig vollkommene Beherrschung des Wu-wei, der Kunst, die Dinge geschehen zu lassen, ohne selbst aktiv zu werden … welcher gewöhnliche Mensch könnte eine solche Heilige sein? K'os Frau ist ein böser Geist oder ein Werwolf oder ein Werfuchs. K'o muß sie umbringen.
»Wie kann ich sie umbringen«, fragt K'o, »wenn sie so mächtig ist?«
Der Freund weiß Rat. Er leiht K'o sein Zauberschwert das ein heiliger Eremit geschmiedet hat.
K'o nimmt die Waffe mit nach Hause, wagt aber nicht sie zu gebrauchen. Er liebt seine Frau und verbirgt das Mordwerkzeug, doch sie findet das Schwert und zeigt es ihm. »Bin ich nicht gut zu dir gewesen? Warum willst du mich töten?«
K'o verneigt sich tief, und sie vergibt ihm. Sie zerbricht das Schwert so leicht, als wäre es ein Zweig. Sie leben weiter zusammen, und K'o nimmt, ermutigt durch seine Frau, sein Studium wieder auf, besteht die Prüfung und wird in einer fernen Stadt zum Richter ernannt. Er begibt sich mit seiner Frau und seinen Söhnen auf die Reise und übernachtet in einem Tempel. Gibbons singen an jenem Abend in den Bäumen, und seine Frau geht hinaus, um ihnen zuzusehen. K'o folgt ihr, aber die Gibbons verschwinden, sobald sie ihn erblicken. Sie nimmt einen Pinsel und schreibt ihr Abschiedsgedicht:
Durch Liebe verwirrt, weigerte ich mich eigensinnig, meine ursprüngliche Form wieder anzunehmen. Zum Scherz hatte ich mich in einen Menschen verwandelt und war beinahe verloren. Es ist besser, wenn ich nun meinen Gefährten in die Berge folge Und zwischen Nebel und Wolken meine Stimme erklingen lasse.
Sie läßt den Pinsel fallen und küßt ihre Kinder. Sie verneigt sich vor ihrem Gemahl. Sie reißt sich die Kleider vom Leib und verwandelt sich in einen schlanken Gibbon.
K'o sieht ihr nach, bis sie in den Baumspitzen verschwindet.
Yüan ist das chinesische Wort für Gibbon; so mag der chinesische Leser bereits am Anfang geahnt haben, wie die Geschichte ausgeht.
Phantasterei, werden Sie sagen, ein hübsch erfundenes Märchen, und Sie haben natürlich recht, aber sind wir nicht alle schon Frauen von solch eigenartigem Liebreiz begegnet, daß wir uns verwundert die Augen gerieben haben? Van Gulik hat vielleicht seinen Gibbon Bubu angesehen, als er über die Geschichte der geheimnisvollen Dame Yüan nachdachte. Ein Menschenaffe. Und ein Affenmensch.
Tschinie, van Guliks Gibbonmännchen, konnte sich in der holländischen Botschaft in Kuala Lumpur, Malaysia, frei bewegen – ein glücklicher kleiner Bursche, bis er sich erkältete. Tschinie bekam viel Ruhe und Liebe verschrieben, aber der Arzt stellte keine Besserung fest. Er diagnostizierte eine Lungenentzündung. Der Patient erhielt Antibiotika, bekam Fruchtsaft gefüttert und wurde dennoch immer schwächer. Tschinie schlief nur noch, und die Familie gab die Hoffnung auf.
Die van Guliks tranken gerade Tee im Garten, als sie plötzlich Tschinie mit kleinen schleppenden Schritten auf den höchsten Baum im Botschaftsgarten zugehen sahen. Sie beobachteten still, wie der Gibbon den Baum erreichte, den Stamm umarmte und mühsam seinen kleinen schmerzenden Körper hochzog. Schließlich, in über zwanzig Meter Höhe, leicht im Wind schaukelnd, fand Tschinie eine bequeme Stelle und wartete, ruhig in die Ferne blickend.
»Ein würdiger Tod«, sagt van Gulik in seinem Buch, »auf den ein Mensch neidisch sein könnte.«
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Van Guliks Todesanzeige stand in der Zeitung, und ich dachte, daß es mir niemand übelnehmen würde, wenn ich zum Begräbnis ginge.
Es war ein Abschied wie so viele andere, mit feierlichen Herren in dunklen Anzügen und schweigenden Damen mit fremdartigen Hüten. Die Stille wurde von Geräusper, Flüstern und einem gelegentlichen Seufzen unterbrochen. Die Gesichter der Trauergemeinde zeigten das vertraute vaterländische Rosa und andere, exotischere Farben. Die Königin hatte als Vertreter einen Militärbeamten geschickt, dessen Uniform schwer einzuordnen war. Ein General vielleicht? Seine Kopfbedeckung war mit reicher Goldstickerei verziert, und er trug ein Kavallerieschwert, und auf seinem Gesicht stand ein diensteifriges, aber sanftes Lächeln. Der letzte Säbeltiger, dachte ich. Ich war froh, daß der General gekommen war, denn ich erinnerte mich, daß einer von van Guliks Vorfahren ebenfalls der Armee angehört hatte. Er war ein hoher britischer Offizier namens Gollicke gewesen, der über den Kanal geschickt worden war, um gegen einen gemeinsamen Feind, die spanischen Unterdrücker, die Westeuropa an sich rissen, Truppen zu kommandieren.
Ich muß die Augen geschlossen haben – feierliche Reden lösten einander ab, und ihr monotoner Rhythmus schläferte mich ein, ohne jedoch meine Wahrnehmung zu beeinträchtigen. Ich hatte eine höchst realistische Vision, in der ich all die nackten Frauen sah, die van Gulik für seine chinesischen Mordgeschichten gezeichnet hatte. Sie hielten sich an den Händen und verbargen ihre Füße (denn nackte Damenfüße durften im alten China nicht gezeigt werden, weil sie verkrüppelt und kein schöner Anblick waren). Dennoch liebliche Frauen, die vergeblich den mächtigen Richter zu verführen suchten und bei seinen kräftigen Assistenten mehr Glück hatten. Ich sah einige intime Szenen, in denen der stille Tschiao Tai und der ungestüme Ma Jung auftauchten. Verlegen wandte ich den Blick ab und konzentrierte mich auf die hochgewachsene Gestalt von Richter Di, der allein auf der Bühne stand – in der Tat ein schöner, stattlicher Mann mit seinem Vollbart, der unter den Seitenklappen des seidenen Amtshutes verschwand. Die breiten Schultern fielen leicht ab unter dem Brokatgewand, das bei jedem seiner langsamen und tiefen Atemzüge raschelte. Die beiden Leutnants, die ihr erotisches Zwischenspiel beendet hatten, traten nun vor und stellten sich zu beiden Seiten ihres Vorgesetzten auf, prächtig anzusehen in ihrer Uniform eines Oberst der kaiserlichen Garde und in den mit feuerspeienden goldenen Drachen verzierten Panzerhemden, die ihre breite muskulöse Brust schützten. Tao Gan kam aus dem Schatten hervor und lächelte schwach. Ein ehemaliger genialer Hochstapler, jetzt mächtiger Sekretär des obersten Gerichts und hochbezahlter Beamter, aber immer noch in ein einfaches Flickengewand gekleidet, einen vom Alter glänzenden Hut auf dem Kopf. Und der bescheidene Mann neben ihm? Ach, natürlich, der alte Wachtmeister Hung, Dis privater Ratgeber, gesetzt, anspruchslos und weise, bekleidet mit einem einfachen schwarzen Gewand und einer kleinen viereckigen Kappe.
Ich sehe auch Dr. van Gulik in seinem dreiteiligen Anzug, mit Ascheresten auf Weste und Hose. Seine dunklen Augen glitzern geheimnisvoll hinter den kleinen runden Gläsern seiner Brille, die er nicht mehr braucht, aber noch nicht abgenommen hat. Höflich lauschend wartet er darauf, endgültig von seinen Amtspflichten hier unten befreit zu werden. Ich höre sein kleines, trockenes Husten nicht, er atmet so leicht wie Di. Die beiden verneigen sich kurz voreinander. Sah ich sie zwinkern?
Und da sind ja auch Bubu und Tschinie, die sich, hoch über der Bühne, an ihren unmöglich langen und schlanken Armen hängend, von Balken zu Balken schwingen, vor sich hinmummeln und sich auf ihr Begrüßungslied vorbereiten. Aber sie müssen noch ein wenig warten, denn ein Professor der berühmten Universität Leiden hat das Wort. Er spricht gut, glaube ich, ich kann seine Worte nicht ganz verstehen, denn ich höre aus weiter Ferne zu und habe Mühe, meine Augenlider zu heben.
Nun kommt Meneer Hendriks den Gang entlang, in Begleitung von Hauptmann Uyeda. Hendriks ist groß und dünn, etwas gebeugt von der höllischen Folter. Er hält seinen triefenden Filzhut in der Hand, und sein fadenscheiniger Regenmantel ist völlig durchnäßt. Als er an mir vorbeigeht, bemerke ich den Duft von Wacholdergin. Uyeda riecht nach Sake. Mit den krummen Beinen, der Armeeuniform, den dicken Brillengläsern auf der kurzen, flachen Nase, den vorstehenden Zähnen und dem langen Samuraischwert an der Seite seines schmächtigen Körpers könnte er einer Propagandaschmähschrift des Zweiten Weltkriegs entsprungen sein, aber er löst kein Haß gefühl aus. Ich glaube, daß die Schlinge, die ihn erdrosselte, ein Durchbruch war und daß der ewige Schnee des Fudschijama auch für Uyeda schmelzen wird, während er, wie wir alle, mit den zehntausend Dingen kämpft, die so geheimnisvoll aus der allumfassenden Leere aufsteigen. Die arabischen Terroristen aus The Given Day lächeln mir ebenfalls zu, rezitieren die Dichtung des Koran und machen Platz für Meister Kalebasse und Kranichtracht, die gemeinsam die Unwissenheit ihres Publikums transzendieren. Die Sprecher sind nun verstummt, ein unsichtbarer Chor singt ein Requiem. Alle Illusionen verblassen. Van Gulik nickt uns zu, dreht sich um, geht langsam davon; eine Tür öffnet sich, schließt sich – wohin ist er verschwunden?
Zen-Vagabund Lu erscheint, verneigt sich, taucht seinen riesigen Pinsel in einen Farbeimer und wirft seine untadelige Kalligraphie an die Wand:
Wir alle kehren dahin zurück, wo wir herkamen: Wo die Flamme der gelöschten Kerze erstarb.
Die großen Schriftzeichen glänzen triumphierend an der Wand. Die Trauergemeinde erhebt sich und drückt den Hinterbliebenen ihre Anteilnahme aus.
»Nicht das Ende«, sagt ein buddhistischer Priester, »nur ein Ende. Ein kleines. Es gibt so viele.«
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