Freitag, 21. Dezember 2012

Die unerträgliche Leichtigkeit des Seins

Um sie herum, 1945

Der Mann im Mond 

Der Mann im Mond hängt bunte Träume, 
die seine Mondfrau spinnt aus Licht, 
allnächtlich in die Abendbäume, 
mit einem Lächeln im Gesicht. 

Da gibt es gelbe, rote, grüne 
und Träume ganz in Himmelblau. 
Mit Gold durchwirkte, zarte, kühne, 
für Bub und Mädel, Mann und Frau.

Auch Träume, die auf Reisen führen 
in Fernen, abenteuerlich. 
– Da hängen sie an Silberschnüren! 
Und einer davon ist für dich. 

Mascha Kaléko


Das Bild trägt den Titel Um sie herum. Es entsteht 1945 nach einer der größten persönlichen Krisen in Chagalls Leben. Mit dem Tod seiner Frau Bella am 2.9.1944 wird es dunkel um den Maler, das Leben wird ihm unerträglich, das Sein sinnlos. Chagall legt Pinsel und Palette aus der Hand, seine Farben trocknen ein. Fast ein Jahr vermag er nicht mehr zu malen. 
Doch dann malt er dies: Es ist nicht das Bild eines Abschieds, sondern eher schon das Bild eines neuen Anfangs – ein Bild, das birgt, was bleibt zwischen ihm und seiner verstorbenen Frau. Chagall malt es über den Ent-wurf eines Zirkusbildes. Wie ein Zauberer oder Jongleur hebt der verstörte und fast kopflose Künstler eine Kristallkugel in die Mitte der Leinwand. In ihr malt er im sanften Mondlicht ihre gemeinsame Heimat, das russische Städtchen Witebsk wie eine Erinnerung, die wieder heil und rund werden will. 
Um diesen ruhenden Pol herum ist viel Bewegung im Bild. Es gibt eine aufsteigende Linie von rechts unten und rechts oben. Bella, seine Frau, steigt ins Bild und lehnt an der kristallenen Kugel, als ob sie diese schützen würde. Über ihr schwebt ein fliegendes Brautpaar, Sinnbild der Leichtigkeit der Liebe und der Intensität einer Verbindung, der auch der Tod nichts anzuhaben vermag. Diese Liebe bleibt, nichts kann sie zerstören. Sie ist eine Kraft, die von unten ins Bild aufsteigt, aus dem erfahrenen, gelebten, auch erlittenen Leben. Diese Bewegung wird mit dem absteigenden Salto einer Akrobatin, die vom Himmel kommt, zu einer Spirale, die wiederum ins Zentrum des Bildes zurückführt. Die Akrobatin ist vom Entwurf des ursprünglichen Zirkusbildes stehen geblieben. Mit ihren Fingerspitzen berührt sie die Kristallkugel. Himmel und Erde, Vergangenheit und Gegenwart kommen so miteinander in Berührung und werden zu einer einzigen großen Bewegung, in der das Leben und die Geschichte der Beiden geborgen ist. 
Es ist ein Bild, wie es nur das Leben selber malen kann: voller Schmerz und Hoffnung, voller Wunden und Wunder. Ich empfinde es als Einladung, mich versöhnt, vorbehaltlos und zuversichtlich der unerträglichen Leichtigkeit des Seins anzuvertrauen.



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