Bürger und Bürgerinnen
Unser Blick in die Vergangenheit
der deutschen Sprache reicht anderthalb Jahrtausende weit bis zu Fibeln und
Gürtelschnallen, auf denen unsere Vorfahren einander in Runen ihre
Zuneigung bekundeten.
In all dieser Zeit findet sich
kein Moment, in dem die Anwesenheit einer Frau nicht der Erwähnung wert
gewesen wäre.
Die von unseren Politikern so
verehrten (Bürger und) Bürgerinnen sind als Begriff wie die Fülle der deutschen
Städte über achthundert Jahre alt. Im Mittelalter wimmelt es von “beckerinnen,
weberinnen, wirtinnen, zouberinnen, arzatinnen, meisterinnen, friuntinnen”
und sogar einer “marnerin”, einer Seefahrerin.
Unter uns Germanen begannen
zuerst die Goten im vierten Jahrhundert nach Christus mit dem Schreiben.
Auch sie ließen Frauen nie unerwähnt: “frijond·s” (Freund) und “frijond·i”
(Freund·in).
Unser Blick reicht weit über das
Germanische hinaus. Die frühesten Schriftbelege der indogermanischen
Sprachfamilie, von der das Germanische nur einer von dreizehn Zweigen
ist, stammen von den Hethitern und sind dreieinhalb Jahrtausende alt.
Frauenbezeichnungen schöpften sie wie wir mit einem Suffix: “hassus”
(König) und daraus “hassus·saras” (König·in).
Die Motion, wie man solche
Frauenableitungen fachlich nennt, ist in der indogermanischen Kultur
überall Brauch und verdrießt uns erst, seit sie keine tatsächliche Frau
aus Fleisch und Blut mehr voraussetzt, sondern Programm ist.
Unser Programm lautet:
Geschlecht, Hautfarbe, sexuelle Orientierung und andere angeborene Eigenarten
sollen niemand davon abhalten, das aus seinem Leben zu machen, was er
möchte.
Gesucht wird schnellstmöglich Bundesligafußballtrainer/Bundesligafußballtrainerin. Bewerbungen bitte bis Samstag 15 Uhr 29 an den Hamburger Sport-Verein e.V., Sylvesterallee 7, 22525 Hamburg!
Mit Sicherheit keine
Stellenanzeige, die Frauen anlockt. Dennoch zwingt die Sitte den
Inserenten, Frauen ausdrücklich zu einer Bewerbung einzuladen.
Die Sitte, nicht das Gesetz.
Das Allgemeine Gleichstellungsgesetz (AGG) beschäftigt sich zwar
mit Stellenausschreibungen, erschöpft sich dabei aber in dem Gebot,
dass nichtqualifizierende Eigenschaften bei der Auswahl aus den Bewerbern
keine Rolle spielen dürfen. Formulierungsvorgaben oder die Sprache selbst
kommen darin nicht vor.
Das schafft juristischen
Kommentaren und Gerichten die Gelegenheit, sich an der Sprache
abzuarbeiten.
- Der Führerin entgegen (Belles Lettres)
Loriot - Nudel [3:07]
Veröffentlicht am 26.05.2014
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