Mittwoch, 10. Dezember 2014

Die Lunten für die Ukraine-Krise sind bis in die 90er Jahre zurückverfolgbar

Alle durften, sollten, mußten sich freuen, als der antifaschistische Schutzwall geschliffen und Deutschland in den Grenzen des alten Bismarck-Reichs einigermaßen wiederhergestellt war. Im Januar 1993 verbuchte die deutsche Außenpolitik mit den Ergebnissen des Nato-Gipfels ihren seither größten Erfolg. Gefeiert wurde diesmal intern: ”,Seit Montag haben wir eine neue NATO’, so jubilierten die Bonner Vertreter in Brüssel. ,Die Deklaration der 16 Staats- und Regierungschefs ist säkular. Das war der wichtigste Nato-Gipfel sei dem Ende des Kalten Krieges.’ Tatsächlich hatten die 16 Verbündeten fast unbemerkt die sicherheits- und verteidigungspolitische Weichen neu gestellt”, schrieb die SZ. Die wesentlichen Ergebnisse des Gipfels:


1. Nicht mehr die USA, sondern die WEU werden in Zukunft für Militärinterventionen in Europa verantwortlich sein. Infrastruktur und Ressourcen der NATO wird künftig die WEU – nach gemeinsamer Beratung – auch ohne US-Beteiligung nutzen können.

2. Die so umgewandelte NATO offeriert allen osteuropäischen Staaten das Angebot vertiefter militärischer Zusammenarbeit mit der Perspektive einer möglichen späteren Aufnahme in das Bündnis.


3. Beide Beschlüsse gehören zusammen: Da eine NATO-Erweiterung in absehbaren Zukunft vom US-Kongress boykottiert werden würde, werden Europäische Union (EU) und Westeuropäische Union (WEU) als Beitrittsgremien aktiviert: “Das bedeutet, daß zum Beispiel die Aufnahme Polens in die Europäische Union diesem Land nicht nur das Recht gäbe, WEU-Mitglied zu werden. Es würde hierdurch faktisch auch zum Verbündeten Amerikas und Kanadas. Das bedeutet, daß ein Land durch die Aufnahme in die Union de facto die Schutzgarantie der Nato – und damit die Beistandsverpflichung Amerikas – erwerben kann, ohne selbst Natomitglied geworden zu sein, vor allem aber ohne daß Washington dazu gefragt werden müßte, ohne daß es an dem Aufnahmeverfahren selbst beteiligt wäre.” (FAZ, 7.1.94)


Wer die Bedeutung dieser Veränderungen allein auf der Basis hiesiger Kommentarspalten zu erklären sucht, bleibt im Propaganda-Käfig der deutschen Interessenpolitik gefangen. Die internationalen Widersprüche, die Deutschland mit seiner Politik provoziert, erscheinen aus diesem Blickwinkel so verworren, wie der Schreibmaschinentext, der entsteht, wenn ein mit 10-Fingern tippender Schreiber seine Zeigefinger versehentlich auf die falschen Buchstaben legt: Es klappert wie gewöhnlich, ergibt aber keinen Sinn.


Die folgende Darstellung ist deshalb in zwei Abschnitte unterteilt. Zunächst werden die ideologischen Prämissen der deutschen Bündnispolitik und die Bonner Vorarbeit für den Nato-Gipfel referiert. Anschließend wird der us-amerikanische Blick auf die deutsche Entwicklung dargestellt und die grundlegende Differenz im bilateralen Verhältnis, die eine “Europäisierung der NATO” aus deutscher Sicht erst notwendig macht, kommentiert.
mehr:
- Der Zwang nach Osten – NATO-Erweiterung und Bundeswehrmission 2000 (Matthias Künzel, Texte, März 1994)
Zitat (Hervorhebungen von mir):
Rühes Kampagne, die Nato bis zur russischen Grenze auszuweiten, provozierte in der Außenpolitik der USA einen Richtungsstreit, der in zwei Grundsatzartikeln der renommierten Zeitschrift “Foreign Affairs” im Herbst 1993 ihren Niederschlag fand. Ein konfrontativer Kurs wurde darin unter der Überschrift “The Collapse of ,The West’” von Owen Harris verfochten: Osteuropa, schrieb Harris, sei seit Jahrhunderten eine Einflußsphäre der russischen Politik. Diesen Tatbestand, wie Manfred Wörner es tue, zu ignorieren und ausgerechnet jetzt Osteuropa als Nato-Gebiet einverleiben zu wollen, sei ein Akt von außerordentlicher Torheit (“outstanding folly”). Die aktive Beteiligung der USA an den Europäischen Dingen bleibe auch für die Zukunft notwendig “um ein Auge auf Deutschland zu haben und um sicherzustellen, daß es vor Abschluß dieses Jahrhunderts nicht ein drittes Mal entgleist.” Harris warnte die US-Politik davor, sich hinsichtlich der künfigen deutschen (und russischen) Rolle in Sicherheit zu wiegen. Es sei, wenn die Wachsamkeit nachlasse, höchst zweifelhaft, “ob die USA im Falle einer schlagartigen Krisenentwicklung die Deutschland oder Rußland noch genug politische Zustimmung mobilisieren kann, um (mehr noch im Hinblick auf mögliche Kriegsopfer als im Hinblick auf die Finanzierung) zu einer wirklich entschlossenen Intervention in der Lage zu sein (S. 51). Bei Harries wurde die Warnung vor der Möglichkeit eines Dritten Weltkriegs mit einer pessimistischen Perspektive in Bezug auf den westlichen Zusammenhalt verknüpft: Was sich in die neue Ära verlängern werde, sei eher “der begrenzte “Westen” von 1917 und 1941 – also die USA, Großbritannien und Frankreich – als der erweiterte Westen von 1957 oder 1977.”
Die Gegenposition (“Building a New Nato”) wurde von den RAND-Analytikern Asmus, Kugler und Larrabee formuliert. Auch sie hält eine “Reaktivierung von alten Verwerfungslinien und historischen Rivalitäten” – etwa zwischen Rußland und Deutschland für wahrscheinlich. Für das deutsche Bemühen um die Nato-Erweiterung wird jedoch Verständnis gezeigt. Diese habe “wenig mit einem mythischen ,Drang nach Osten” zu tun, sondern resultiere stattdessen aus einem ,Zwang nach Osten’, um Demokratie und Stabilität für Deutschland selbst zu gewahren”, behaupten die Autoren. Um aber nicht durch eine WEU/NATO-Konkurrenz die Allianz zu zerstören, solle sich die Allianz freiwillig nach Osten hin öffnen: “Eine Situation, in der ein Land wie Deutschland Polens Sicherheit mittels der Westeuropäische Union zu sichern verspricht, nicht aber mittels der NATO, könnte die Atlantische Allianz zerstören. Es ist deshalb eindeutig besser, wenn jene Sicherheitsgarantie innerhalb einer neuen Nato ausgesprochen wird, wo sie glaubwürdig ist und wo die USA sie beeinflussen kann.” (S. 35)
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In einem offenen Brief an den damaligen Präsidenten der USA Bill Clinton vom 26. Juni 1997, äußerten mehr als 40 ehemalige Senatoren, Regierungsmitglieder, Botschafter, Abrüstungs- und Militärexperten ihre Bedenken gegenüber der von ihm geplanten Osterweiterung der NATO und forderten ihre Aussetzung. Zu den Unterzeichnern gehörten der Verteidigungsexperte des Senats Sam NunnGary HartBennett JohnstonMark HatfieldGordon J. Humphrey, sowie die Botschafter in Moskau Jack Matlock und Arthur Hartman, außerdem Paul Nitze, Reagans Abrüstungsunterhändler, Robert McNamara, Verteidigungsminister a. D., Admiral James D. Watkins, ehemals Direktor des CIA, Admiral Stansfield TurnerPhilip Merrill und die Wissenschaftler Richard Pipes und Marshall D. Shulman. Der Brief bezeichnet die Beitrittsangebote der NATO 1997 als „politischen Irrtum von historischen Ausmaßen“.
Die Unterzeichner befürchteten, dass die Sicherheit und Stabilität Europas in Gefahr sei, und begründeten dies mit vier Argumenten:
  1. In Russland werde die NATO-Osterweiterung, die von allen politischen Kräften abgelehnt wird, die undemokratische Opposition stärken und die Reformkräfte schwächen. Russland werde dazu gebracht, die Vereinbarungen nach dem Ende des Kalten Krieges infrage zu stellen und Widerstand gegen die Abrüstungsverträge zu mobilisieren.
  1. Es werde eine neue Grenze zwischen Mitgliedern und Nicht-Mitgliedern gezogen. Dies verstärke die Instabilität und führt zu einem geschwächten Sicherheitsempfinden bei den Nicht-Mitgliedern.
  1. Die Osterweiterung vermindere das Potential der NATO, indem sie Garantien an Länder mit ernsthaften Grenz- und Minderheitsproblemen sowie uneinheitlich entwickelten demokratischen Systemen gebe.
  1. In den USA werde eine Kostendebatte ausgelöst, die das Engagement der USA für die NATO infrage stellen werde.
Als Alternative zur Osterweiterung forderten die Unterzeichner eine ökonomische Öffnung im Sinne einer Osterweiterung der EU, eine Verstärkung des Partnerschaft für den Frieden-Programms, eine engere Kooperation zwischen Russland und NATO und eine Fortsetzung der Abrüstungsbemühungen.
Weitere US-amerikanische Positionen
Die Entscheidung der Regierung Clinton, die NATO bis zu den Grenzen Russlands zu erweitern, wurde von dem Historiker und DiplomatenGeorge F. Kennan 1997 als „verhängnisvollster Fehler der amerikanischen Politik in der Ära nach dem Kalten Krieg“ beurteilt, weil „diese Entscheidung erwarten lasse, dass die nationalistischen, antiwestlichen und militaristischen Tendenzen in der Meinung Russlands entzündet werden; dass sie einen schädlichen Einfluss auf die Entwicklung der Demokratie in Russland haben, dass sie die Atmosphäre des Kalten Krieges in den Beziehungen zwischen Osten und Westen wiederherstellen und die russische Außenpolitik in Richtungen zwingen, die uns entschieden missfallen werden.“[18]
Der ehemalige Verteidigungsminister der Vereinigten Staaten Robert Gates veröffentlichte in seinen Memoiren eine ähnliche Ansicht.[19][20] 
Haltung Russlands 
Russland lehnte die Osterweiterung der NATO als den falschen Weg zu einer neuen europäischen Sicherheitsordnung ab, konnte sie aber nicht verhindern. Mit der NATO-Russland-Grundakte von 1997 wurde der Versuch unternommen, Russlands Vorbehalte abzuschwächen. Darin erklärten NATO und Russland ihre Absicht, eine starke, stabile, dauerhafte und gleichberechtigte Partnerschaft aufzubauen. Ziel sei es, die Sicherheit und Stabilität im euro-atlantischen Raum zu stärken. 
[NATO-Osterweiterung, Kritik an der Osterweiterung, Wikipedia, abgerufen am 20.09.2019]
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aktualisiert am 20.09.2019

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