Bei den dramatischen Bildern, die heute aus Frankfurt kamen, und der Aufregung, die sie auslösten, ist es zur Klärung vielleicht wichtig, damit zu beginnen, was da eben nicht passiert ist.
Natürlich war die große Blockupy-Mehrheit friedlich. Natürlich sind die meisten EZB-Kritiker keine Schläger. Auch sind die heutigen Ausschreitungen nicht etwa der Beweis, dass linke und rechte Extremisten doch gleich schlimm sind. Weiterhin gilt: Gewalttätige Rechte machen Jagd auf Menschen. Linke zerstören Sachen.
Die Blockupy-Eskalation bedeutet auch nicht, dass Kritik an der gegenwärtigen Finanzpolitik nun überflüssig wäre. Die Verarmung in Griechenland und anderswo ist dramatisch, real, und hat sehr viel damit zu tun, was Banker dort oben in der neuen EZB entscheiden. Man kann das beispielsweise an den absurden Zwangsprivatisierungen in Griechenland erkennen. Die Kritik an solcher Politik kann laut sein und sie darf weh tun, sie muss es sogar.
Denn Sitzblockaden, lahmgelegte Innenstädte, ausfallende Straßenbahnen und Schulstunden, teure Polizeieinsätze, kurz: Sand im alltäglichen Getriebe des Systems – das muss der demokratische Staat nicht nur aushalten, er braucht es sogar. Weil es eben nicht reicht, dass er irgendwie funktioniert, sondern weil er wandelbar sein muss. Weil er seinem Souverän, dem Volk zuhören muss – und zwar nicht nur, wenn dieses brav an der Urne steht, sondern auch, wenn es wütend durch die Straßen marschiert. Das gilt übrigens für Blockupy wie für Pegida. Die Demokratie ist die einzige Herrschaftsform, in der sich der Staat beschimpfen lässt und zum Zuhören verdammt ist. Diese vermeintliche Schwäche ist ihre größte Stärke.
mehr:
- Blockupy-Proteste: Diese Feuer waren nicht gerecht (Kommentar Lenz Jacobsen, ZEIT, 18.03.2015)
Mein Kommentar:
Nachdem sich in unserem Mainstream allmählich die Vorstellung entfaltet, daß sich Gewalt in der Familie nicht auf körperliche Gewalt beschränkt
- Gewalt gegen Männer – Wenn Frauen ihre Fäuste einsetzen (Katharina Schuler, ZEIT, 12.03.2015)
scheint öffentlich auch über Gewalt in der politischen Auseinandersetzung vorurteilsfreier diskutiert werden zu können:
- Die Hoffnung demokratischer Gegengewalt (Jean Ziegler, die nicht gehaltene Salzburger Rede, veröffentlicht in Neues Deutschland, 27.07.2011)
Zitat:
Sehr verehrte Damen und Herren, alle fünf Sekunden verhungert ein Kind unter zehn Jahren. 37 000 Menschen verhungern jeden Tag, und fast eine Milliarde sind permanent schwerstens unterernährt. Und derselbe Weltfood-Report, der alljährlich diese Opferzahlen gibt, sagt, dass die Weltlandwirtschaft in der heutigen Phase ihrer Entwicklung problemlos das Doppelte der Weltbevölkerung normal ernähren könnte.
Schlussfolgerung: Es gibt keinen objektiven Mangel, also keine Fatalität für das tägliche Massaker des Hungers, das in eisiger Normalität vor sich geht. Ein Kind, das am Hunger stirbt, wird ermordet. ("Ein Kind, das an Hunger stirbt, wurde ermordet", Peter Nowack, Telepolis, 19.11.2012)
Gestorben wird überall gleich. Ob in somalischen Flüchtlingslagern, Elendsvierteln von Karachi oder Slums von Dacca – der Todeskampf folgt immer denselben Etappen.
Bei unternährten Kindern setzt der Zerfall nach wenigen Tagen ein. Der Körper braucht erst die Zucker-, dann die Fettreserven auf. Die Kinder werden lethargisch, dann immer dünner. Das Immunsystem bricht zusammen. Durchfälle beschleunigen die Auszehrung. Mundparasiten und Infektionen der Atemwege verursachen schreckliche Schmerzen. Dann beginnt der Raubbau an den Muskeln. Die Kinder können sich nicht mehr auf den Beinen halten. Ihre Gesichter gleichen Greisen. Dann folgt der Tod. Die Umstände jedoch, die zu dieser tausendfachen Agonie führen, sind vielfältig und oft kompliziert.
Ein Beispiel: die Tragödie, die sich gegenwärtig, im Juli 2011, in Ostafrika abspielt. In den Savannen, Wüsten, Bergen von Äthiopien, Djibouti, Somalia und Tarkana (Nordkenia) sind zwölf Millionen Menschen auf der Flucht. Der Boden ist hart wie Beton. Neben den trockenen Wasserlöchern liegen die verdursteten Zebu-Rinder, Ziegen, Esel und Kamele. Wer von den Frauen, Kindern, Männern noch Kraft hat, macht sich auf den Weg, in eines der vom UNO-Hochkommissariat für Flüchtlinge und vertriebene Personen eingerichteten Lager.
Zum Beispiel nach Dadaad, auf kenianischem Boden. Dort drängen sich seit drei Monaten über 400 000 Hungerflüchtlinge. Die meistens stammen aus dem benachbarten Südsomalia, wo die mit Al-Quaida verbundenen fürchterlichen Shaabab-Milizen wüten. Platz im Lager gibt es schon lange nicht mehr. Das Tor im Stacheldrahtzaun ist geschlossen. Vor dem Tor machen die UNO-Beamten die Selektion: nur noch ganz wenige – die eine Lebenschance haben – kommen herein.
Das Geld für die intravenöse therapeutische Sondernahrung – die ein Kleinkind, wenn es nicht zu sehr beschädigt ist, in zwölf Tagen zum Leben zurück bringt – fehlt. Das Geld fehlt. Das Welternährungsprogramm, das die humanitäre Soforthilfe leisten sollte, verlangte am 1. Juli für diesen Monat einen Sonderbeitrag seiner Mitgliedstaaten von 180 Millionen Euros. Nur 62 Millionen kamen herein. Das WPF (World-Food-Programm)-Budget lag 2008 bei 6 Milliarden Dollars. 2011 ist das reguläre Jahresbudget noch 2,8 Milliarden. Warum? Weil die reichen Geberländer – insbesondere die EU-Staaten, die USA, Kanada und Australien – viele Tausend Milliarden Euro und Dollar ihren einheimischen Bankhalunken bezahlen mussten: zur Wiederbelegung des Interbanken-Kredits, zur Rettung der Spekulations-Banditen. Für humanitäre Soforthilfe (und reguläre Entwicklungshilfe) blieb und bleibt praktisch kein Geld.
Die Tonne Getreide kostet heute auf dem Weltmarkt 270 Euro. Ihr Preis war genau die Hälfte im Jahr zuvor. Reis ist um 110 Prozent gestiegen. Mais um 63 Prozent. Die Folge? Weder Äthiopien noch Somalia, Djibouti oder Kenia konnten Nahrungsmittelvorräte anlegen – obschon die Katastrophe seit fünf Jahren voraussehbar war. Dazu kommt: Die Länder des Horns von Afrika sind von ihren Auslandsschulden erdrückt. Für Infrastrukturinvestitionen fehlt das Geld.
Viele der Schönen und der Reichen, der Großbankiers und Konzern-Mogule dieser Welt kommen in Salzburg zusammen. Sie sind Verursacher und Herren dieser kannibalischen Weltordnung.
»Es gibt den strukturellen Hunger. Das ist das tägliche Massaker. Dieser Hunger ist implizit in der Unterentwicklung der Länder des Südens. Der unsichtbare Hunger, der jeden Tag Menschen vernichtet aufgrund der ökonomischen Unterentwicklung. Der Hunger, die Unterernährung und die unmittelbaren Folgen sind bei Weitem die wichtigste Todesursache auf diesem Planeten. Dann gibt es den konjunkturellen Hunger. Das ist der sichtbare Hunger. Der passiert, wenn eine Wirtschaft plötzlich implodiert durch Krieg wie in Darfur oder durch Klimakatastrophen wie jetzt am Horn von Afrika oder im Sahel-Gebiet. Das sind die sogenannten Hungersnöte. Dies erscheint dann kurz im Fernsehen. Kinder in Darfur, die sich nicht mehr auf den Beinen halten können, oder die hungernden Mütter mit halbverdorrten Kindern auf den Armen im Niger oder in Mali. Dieser konjunkturelle Hunger kommt zusätzlich zum täglichen Massaker […]
Unter dem Vorwand des Klimaschutzes haben zum Beispiel die USA letztes Jahr 138 Millionen Tonnen Mais und hunderte Millionen Tonnen Getreide verbrannt, um Bioethanol und Biodiesel herzustellen. Das ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Dazu kommt: Die Produktionsmethode von Bioethanol ist total umweltschädigend. Die Herstellung eines Liters Bioethanol erfordert 4000 Liter Wasser und setzt Unmengen CO2 frei.« („Wir lassen sie verhungern“ - Interview mit Jean Ziegler (André Nagel, Bundeszentrale für politische Bildung, 09.10.2012)
Sting sings Brecht Die Moritat vom Räuber Mackie Messer (Musik Kurt Weill) Dreigroschenoper [2:37]
Hochgeladen am 15.03.2010
Mark Knopfler, Eric Clapton, Sting & Phil Collins- Money for Nothing (Live Montserrat) [7:38]
Hochgeladen am 23.07.2011
Mark Knopfler (lead guitar, lead vocals), Eric Clapton (Rhythm guitar), Phil Collins (drums), Sting (backing vocals)
Zitat:
Konzerne wie „Cargill, Archer Midland, Bunge oder Louis Dreyfus, die weltweit 85 Prozent des Handels mit Grundnahrungsmitteln beherrschen, entscheiden jeden Tag – über ihren Einfluss auf die Preisbildung – ganz konkret, wer lebt und wer stirbt.“
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