Montag, 11. Mai 2015

Ukraine: Verbrannte Geschichte

Ukraine Es sind nicht zuletzt die weiter auseinander driftenden Geschichtsbilder, die zum 70. Jahrestag des Kriegsendes zu einem geteilten Gedenken führen

Es ist in etwa ein Jahr her. Ende April 2014 errichten Gegner der Regierung in Kiew nach dem Vorbild des Maidan ein Protestcamp inmitten der Hafenstadt Odessa. Am Vormittag des 2. Mai wird das Lager von Anhängern des nationalistischen Rechten Sektors überrannt, der seine Reihen durch Ultras aus der Fan-Szene des Fußball-Klubs Metalist Charkiw aufgefüllt hat. Viele Aktivisten fliehen ins Gewerkschaftshaus am Zentralbahnhof und geraten in eine tödliche Falle. Die Polizei bleibt untätig, obwohl es für die Eingeschlossenen immer bedrohlicher wird. Aus der Meute vor der Tür fliegen Blendgranaten und Molotow-Cocktails, so dass aus den Fenstern des Gebäudes bald Flammen schlagen. „Lasst sie uns abfackeln!“ – skandieren die Belagerer.

48 Menschen sterben – ersticken, verbrennen oder werden erschossen. Die ukrainische Regierung, die Stadt Odessa, die Staatsanwaltschaft bleiben erschöpfende Untersuchungen schuldig. Bis heute liegt kein abschließender Bericht vor. Wer russischen Opfermythen, vor denen in Kiew gern gewarnt wird, keinen Raum geben will, sollte aufklären: Wie konnte in einer ukrainischen Großstadt am helllichten Tag ein Massenmord verübt werden? Weshalb wurde die Polizei zum Komplizen der Täter? Was hatte Andrij Parubi, Gründer der profaschistischen Swoboda-Partei und seit Februar 2014 Chef des Nationalen Sicherheitsrates, an jenem 2. Mai in Odessa zu tun? Warum verfügte Kiew keinen nationalen Trauertag, um der Opfer zu gedenken? Weil es sich bei den Toten mehrheitlich um russischstämmige Bürger handelte?


Come and See Trailer (with music) [3:07]

Hochgeladen am 01.10.2010
Trailer for 1985 film "Come and See" (Idi i smotri). dir. E. Klimov
The music is slightly altered in order for it to be posted. The Ligeti piece had to be removed.

Komm und sieh!

Beim Nachdenken über das Massaker von Odessa drängen sich Assoziationen auf: das brennende Haus und brennende Holzkirchen. Es gab sie einst hundertfach in Weißrussland. Gotteshäuser, in die Menschen getrieben und eingesperrt wurden, um sie anschließend durch Flammenwerfer anzuzünden. Dieses Gerät zählte zur Ausrüstung von Sondereinheiten wie der von SS-Oberführer Oskar Dirlewanger, der 1943 häufig das Kommando führte, wenn von weißrussischen Dörfern nur Asche blieb. Komm und sieh! heißt der Spielfilm des sowjetischen Regisseurs Elem Klimow (produziert 1983/84), der gnadenlos realistisch rekonstruiert, wie es zuging, wenn Menschen ausgelöscht wurden. Man sollte ihn sich ansehen, um die Bilder ertragen zu müssen. Klimows historische Vorlage war der Untergang des Dorfes Chatyn am 22. März 1943.

Verbrannte Erde, verbrannte Menschen – Chatyn und Odessa, die Vorgänge zu vergleichen, heißt nicht, sie gleichzusetzen, auch wenn unbestreitbar ist: Wo sich Vernichtungswille entlädt, ist Barbarei nicht weit. Es gibt keine zwei Wahrheiten, schon gar nicht für die Geschichte.



„Der schlimmste Schaden jedoch, der dem deutschen Volkskörper aus den augenblicklichen Zuständen erwachsen wird, ist die maßlose Verrohung und sittliche Verkommenheit, die sich in kürzester Zeit unter wertvollem deutschen Menschenmaterial wie eine Seuche ausbreiten wird. Wenn hohe Amtspersonen der SS und Polizei Gewalttaten verlangen und sie in der Öffentlichkeit belobigen, dann regiert in kürzester Zeit nur noch der Gewalttätige. Überraschend schnell finden sich Gleichgesinnte und charakterlich Angekränkelte zusammen, um, wie es in Polen der Fall ist, ihre tierischen und pathologischen Instinkte auszutoben. Es besteht kaum noch Möglichkeit, sie im Zaum zu halten, denn sie müssen sich mit Recht von Amtswegen autorisiert und zu jeder Grausamkeit berechtigt fühlen.“
– Johannes Blaskowitz: Denkschrift zur militärpolitischen Lage vom 6. Februar 1940[11]  (zitiert in Ein General begeht Suizid, Post, 09.05.2015)

mehr:
- Verbrannte Geschichte (Lutz Herden, der Freitag, 08.05.2015)

Odessa MASSAKER - Angriff auf das Gewerkschaftsgebäude - 2Mai2014 [5:15]

Veröffentlicht am 03.05.2014

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