Mittwoch, 3. Juni 2015

Der Fall Edathy – Was in den Köpfen bleibt

Johannes der Täufer wird 1610 als 
nackter Jüngling dargestellt, Caravaggio, 
Herkunft, Jugend und Lehre: Mailand (1571–1592)
[Wikipedia]
Von Sebastian Edathy ist lediglich ein Wort geblieben: Kinderpornos. Sein Verdienst während der Untersuchung des NSU scheint jetzt schon vergessen zu sein.

Die "Edathy Affäre" ist verwirrend. Sie ist es deshalb, weil sie ein Kapitel eines an sich verwirrenden Buches ist. Das Buch heißt "Deutschland, seine Sicherheits- und Ermittlungsbehörden und der Rechtsterrorismus". Sebastian Edathy spielt in diesem Buch eine gewichtige Rolle. Bevor er der Pädophilie beschuldigt und von diesem Vorwurf freigesprochen wurde, war er der Vorsitzende des "Bundestagsuntersuchungsausschuss zur Aufklärung der Taten der Terrorgruppe Nationalsozialistischer Untergrund".

Der Ausschuss begann seine Arbeit am 26. Januar 2012 und legte am 22. August 2013 seinen 1.357-seitigen Abschlussbericht vor. In diesen eineinhalb Jahren befragte der "NSU-Ausschuss", wie er abgekürzt genannt wurde, zumeist immer an einem Dienstag und einem Donnerstag geladene Zeugen. Die Autorin dieser Zeilen saß diesem Ausschuss viele Monate lang bei und verfolgte die Sitzungen, die manchmal acht, zehn, zwölf, dreizehn Stunden andauerten.

CaravaggioAmor als Sieger [Wikipedia]
Bei den Zeugen handelte es sich um Bundes- und Landesminister, Präsidenten der Verfassungsschutzbehörden, des Bundeskriminalamtes, Oberstaatsanwälte, Sonderermittler, Mitarbeiter des MAD, kurz: um die Eliten der Bundesrepublik Deutschland aus Judikative, Exekutive und Legislative.


Die Zeugen gehörten wechselnden Regierungen, unterschiedlichen Parteien und Bundesländern an. Es waren Männer, die über den zu untersuchenden Zeitraum von 14 Jahren nicht wissen wollten oder konnten, dass Rechtsterroristen in diesem Land unbescholtene Bürger aus rassistischen Motiven töteten. Diese Männer hatten Macht und Mandate. Sie beschuldigten sich nie gegenseitig. Sie hielten dicht ("Das darf ich Ihnen nicht erzählen"). Und zusammen.

Kein einziges Mal hat die Autorin dieser Zeilen den Satz "Ja, ich trage persönliche Verantwortung" vernommen. Immer, ich wiederhole, immer hieß es, "das föderale System der Bundesrepublik trägt Verantwortung an den Ermittlungspannen".

Was da als Panne umschrieben wurde, sind zuhauf geschredderte Akten, lügende
Caravaggio, Kleiner kranker Bacchus (1593), 
Museo Galleria „Borghese“, Rom [Quelle: ebda]
Verfassungsschützer, Minister, die Vernehmungen behinderten, Kriminaloberkommissare, die die Opfer in den Akten als "Schmarotzer" degradierten. Es war – egal, wer befragt wurde, egal in welchem Fall man stocherte – eine Aneinanderreihung von Merkwürdigkeiten und Zufällen, stets zugunsten der Täter und zu Lasten der Opfer. Asservatenkammern wurden geplündert, Spuren verwischt, eine Leiche wurde beklaut und zwei Zeugen starben auf mysteriöse Weise vor ihrer Prozessvernehmung im Münchener NSU Prozess.

mehr:
- SPD – Die "Edathy Affäre" ist ein Kapitel (Mely Kiyak, ZEIT Online, 03.06.2015)
siehe auch:
- Caravaggios irdischer Amor – Bildbeschreibung (Susanne Haun, 26.01.2013)

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