Freitag, 26. Juni 2015

Unser liebstes Kind

Geburtenrate Deutschland ist weltweit auf den letzten Platz gerutscht. Jetzt geht die Mütterdebatte wieder los
Wir hatten Freunde zu Besuch am Wochenende, drei Paare, Mittdreißiger, ohne Kinder. Wir hockten im Wohnzimmer, in der Mitte auf dem Boden spielte unser Sohn, zusammen mit den Erwachsenen. Ich fühlte mich seltsam, ich gehörte jetzt zu den Müttern. Das war lange gar nicht abzusehen. Mein Freund fragte hinterher ein wenig nachdenklich: Wollen die anderen auch mal Kinder?

Auf dem Titel der Bild stand einen Tag später: „Warum wollen deutsche Frauen keine Babys? Zu emanzipiert? Zu feige? Oder sind die Männer schuld?“ Das überraschte mich. Denn ich hatte in der letzten Zeit häufig Geschichten gelesen, in denen Menschen, die „kinderlos und trotzdem glücklich“ waren, ausführlich von sich erzählten, in Stern, Brigitte oder im Fernsehen. Da wurde vorgerechnet, wie viel man einsparen kann ohne Kind. Oder wie frei man ist. Jetzt aber kam eine Studie heraus, nach der Deutschland bei den Geburtenraten weltweit auf den letzten Platz gerutscht ist. Hinter Japan!

Da muss nun wieder was „erforscht“ werden. Die Menschen in Deutschland wollen sich nicht festlegen, diagnostiziert der Göttinger Psychotherapeut und Angstforscher Borwin Bandelow, so lebe man im Jahr 2015. Die unsicheren Jobs, Partner, man will festen Boden, bevor ein Kind kommt. Nur wieso fällt es manchmal so schwer, das zu benennen? Warum sagt man nicht selbstbewusst: Ein Kind nicht um jeden Preis, nur mit einem Partner, im Moment ist aber eben einfach keiner da. Ich habe früher eine Weile gebraucht, bis ich das konnte, denn es tut ja auch ein bisschen weh.

Ein Kind ist zauberhaft! Für manche Frauen kann es aber selbst dann zur Last werden, wenn das Umfeld materiell und seelisch überhaupt nicht prekär ist.

Mitte April gab es Aufregung um die israelische Studie: Darf man bereuen, Mutter zu sein? Unter dem Hashtag #regrettingmotherhood redeten sie über die Last, die das Muttersein mit sich bringt, Frauen unterschiedlichen Alters und aus allen sozialen Schichten erzählten von dem Gefühl, durch die Kinder ihr Leben, ihre Identität verloren zu haben. Auf Twitter wurde intensiv debattiert – ein Tabu war gebrochen. Das war ehrlich. Weil es ambivalent war. Man würde sein Kind nicht hergeben, spürt aber ein Unbehagen in der Rolle als Mutter in der Gesellschaft. Man muss das sagen dürfen.

mehr:
- Unser liebstes Kind (der Freitag, 26.06.2015) beachte auch die Kommentare!
siehe dazu auch:
- Männer auf dem Rückzug (Post, 21.06.2015)
Krise bei den jungen Männern (Post, 12.05.2015)
- Weniger Nachkommen? Europa stirbt doch nicht aus! (martin Kugler, Die Presse, 04.08.2012)
Quelle: Verfassungswidriges Unrecht gegen Familien beseitigen
(Medrum, Christliches Informationszentrum, 08.10.2009)
Geburtenziffern im europäischen Vergleich 1980 und 2002 (Kinder pro Frau)
Quelle: Geburtenziffern im europäischen Vergleich (Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Gesundheit)

- Demografie: Überraschende Trendwende in der Geburtenstatistik (Dagny Lüdemann, ZEIT Online, 21.03.2013)  

Man kann sich jetzt natürlich über alles Mögliche die Köpfe heiß reden. Aber das Problem ist primär nicht da draußen, es existiert zuerst einmal in den Köpfen. Es geht um die ganz individuellen Vorstellungen, die sich Frauen oder Paare von einer festen Beziehung oder vom Kinderkriegen machen. 




Nehmen wir an, die Geburtenrate in Deutschland pro Frau (laut BmfFSFJ) betrug 1980 2,02 und 2002 1,37, würde dies unter Benutzung der Formel Folgendes bedeuten:
∑Vpos  sei die Summe der individuell gewichteten positiven Erwartungen, die eine Frau mit der Geburt eines Kindes verbindet, 
∑Vneg sei die Summe der indivduell gewichteten negativen Erwartungen, die eine Person mit der Kindgeburt verbindet.

Die Summe der positiven Erwartungen wog 1980 etwa doppelt so schwer wie die Summe der negativen Erwartungen, 2002 wogen diese nur noch 1,37 mal so viel wie die negative Erwartungssumme.
Ab diesem Punkt kann man jetzt diskutieren. Man kann drüber reden, daß die Menschen zunehmend verunsichert sind, daß die wirtschaftliche Situation die Phase des sich Etablierens verlängert. Daß die Menschen immer mehr Angst vor Fehlern bekommen. Und daß die Welt immer weniger abschlätzbar erscheint. Usw. usw.
Fakt ist, daß die Erwartungen schlechter werden.

Gebärstreik - Warum Frauen keine Kinder wollen [34:19]

Veröffentlicht am 12.10.2014
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Gebärstreik - Warum Frauen keine Kinder wollen
3sat, Juli 2009, TV-Dokumentation, Österreich 2009,
Sendereihe "Kreuz & Quer"

In den vergangenen 30 Jahren ist die Geburtenrate in allen europäischen Ländern deutlich gesunken. Sie liegt aktuell unter jenem Wert, der als bestandserhaltend für eine Gesellschaft erachtet wird (2,1 Kinder pro Frau). Die Unterschiede sind enorm: In Österreich bringt die Durchschnittsfrau heute nur noch 1,3 Kinder zur Welt, auch in Deutschland, Italien und Spanien sind es ähnlich wenig, während Schweden, Dänemark, Norwegen, Finnland, Irland sowie Frankreich mit einer Fertilitätsrate zwischen 1,71 und 1,89 zu den Ländern mit relativ hohen Kinderzahlen in Europa gehören.
An Geldzuwendungen liegt es nicht: Familienbeihilfe und Kindergeld sind in Österreich vergleichsweise hoch. Forscher haben die Ursachen aber längst identifiziert: Es ist die auch von großen Teilen der katholischen Kirche getragene, konservativ-traditionelle Rollenaufteilungen eher fördernde Familienpolitik, die bei den Frauen zum Gebärstreik in einem Ausmaß führt, wie er für die Gesellschaft bereits bedrohlich wird. Der Grund: Wenn berufliche Weiterentwicklung und Kinder unvereinbar sind, entscheiden sich immer mehr Frauen für den Beruf.
Am Beispiel Dänemark wird gezeigt, wie der Trend zu sinkenden Kinderzahlen durch bessere Betreuungsangebote für Kleinkinder mit einer PädagogIn für je drei Kinder und einer Veränderung des Images von berufstätigen Müttern umgekehrt werden konnte. „Das hat mit Kinder abgeben nichts zu tun“, erzählt Elisabeth Sörensen, Mutter von zwei Kleinkindern: „Die Kinder erleben dort viel und werden mehr gefördert, als es Eltern je tun könnten“. Zum Vergleich: In Österreich sind 6,6 Prozent der 0-3 Jährigen in Betreuungseinrichtungen untergebracht, im dänischen „childcare service“ sind es 62 Prozent. Und während in Dänemark auf drei Kinder eine Pädagogin kommt, muss in Österreich eine Kindergärtnerin neun Kleinkinder betreuen.

Konservative Werte [3:23]

Veröffentlicht am 26.02.2014
Albrecht Humboldt hat Recht.

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