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- Umberto Eco – "Italien ist immer ein rechtes Land gewesen" (Giovanni di Lorenzo im Interview mit Umberto Eco, ZEIT Online, 08.10.2015)
Ja, es ist das Prinzip der sogenannten Dreckschleuder. Bei vielen Zeitungen gehört sie längst zum Inventar. Zwei beredte Beispiele aus jüngster Zeit sind die Bilder der siebenjährigen Queen Elizabeth, die den Hitlergruß zeigt, mit dem dämlichen Onkel daneben, der auch die kleine Schwester dazu bewegen will, und Angela Merkel, die dem libanesischen Mädchen nicht sagen kann: "Du darfst in Deutschland bleiben." Die Ärmste, was hätte sie denn tun sollen? Man könnte fragen, ob das ein rein italienisches Phänomen ist, aber diese Beispiele sprechen dagegen. […]
Ja. Nehmen Sie diesen Richter, der Berlusconi zu einer Geldzahlung an De Benedetti (Carlo De Benedetti ist ein mit Berlusconi rivalisierender Unternehmer und Investor, dem unter anderem La Repubblica und L’Espresso gehören, Anm. d. Red.) verdonnert hat. Er wurde von irgendeinem rechten Blatt dabei belauert, wie er in seinen amarantroten Socken zwei Stunden rauchend auf einer Parkbank gesessen und die Kippen weggeschnippt hat. Der Mann hat nichts Unrechtes getan, aber es wurde behauptet: Statt seine Robe zu tragen, hockt er wie ein Hippie rauchend auf einer Parkbank, womöglich kifft er sogar. Das ist die Dreckschleuder. […]
Pressekonferenzen sind das Gefährlichste, was man tun kann, es gibt tausend Fragen, man antwortet, so gut man kann, und dann macht jeder daraus, was er will. Die Frage lautete in etwa: Glauben Sie nicht, dass die Sozialen Netzwerke im Internet einen Haufen Schwachsinn verbreiten? Ich sagte, für mich ist die Sache ganz einfach: Bei einer Weltbevölkerung von sieben Milliarden gibt es einen entsprechenden Prozentsatz Schwachköpfe. Das sind nicht unbedingt Spinner, es reicht ein Ahnungsloser, der sich über internationale Politik auslässt, oder jemand, der ohne Sachverstand über die Steuerpolitik herzieht. Früher einmal standen diese Schwachköpfe leicht beschwipst am Tresen und gaben ihren Schwachsinn zum Besten, die anderen lachten darüber, und die Sache war erledigt. Heute tummeln sie sich im Netz. Sie glauben nicht, was für einen Schwachsinnigen-Aufstand meine Antwort ausgelöst hat! […]
Sie können den Menschen noch so sehr auseinandersetzen, wie hirnrissig ihre Verschwörungstheorien sind, die meisten wollen trotzdem daran glauben. Aus dem gleichen Grund pilgern sie in Massen nach Medjugorje im ehemaligen Jugoslawien, weil einer Handvoll Hellsehern alle Nase lang die Madonna erscheint, bis es selbst dem Papst zu bunt wurde und er verlauten ließ, die Muttergottes sei nicht der Typ, der dauernd Postkarten schreibt. […]
Ich wälze die Verantwortung ab. Aus dem gleichen Grund greifen die Menschen, die abends beruhigt einschlafen wollen, zu einem Krimi, weil er eine der großen metaphysischen Fragen befriedigt: Whodunit? – "Wer war’s"? Das betrifft die Bibel ebenso wie den Krimi. In der Bibel ist das Problem hochkomplex, im Krimi ist die Lösung einfach. Die Verschwörung überträgt unsere Schwäche für Whodunit? auf den Alltag – wer hat die Twin Towers zum Einsturz gebracht? – und befriedigt das, was man in Italien den benaltrismo nennt: Glaubst du ernsthaft, so ist es gelaufen? Da steckt ben altro – etwas "ganz anderes" – dahinter! Um es mit Chesterton zu sagen: Wenn die Menschen aufhören, an Gott zu glauben, dann glauben sie nicht an nichts, sondern an alles Mögliche. […] Meiner Ansicht nach war die Welt schon immer voller Verschwörungen. Der Mord an Cäsar war eine Verschwörung, die vermeintliche Vergiftung Napoleons ebenfalls. Für gewöhnlich kommen solche Verschwörungen aber ans Licht, egal, ob sie gelingen oder nicht. Verschwörungen, die im Dunkeln bleiben, sind es, die die kollektive Vorstellung in Wallung bringen.
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