Mittwoch, 6. Januar 2016

Die Instrumentalisierung der Angriffe auf Frauen in der Kölner Silvesternacht: jedem seine Deutungsschublade

Jetzt mal gaaanz langsam!
Nach den Übergriffen auf Frauen in Köln (ich verzichte bewußt auf eine moralische Attribuierung) schießen jetzt alle möglichen interessengruppen wie Pilze aus dem Boden und versuchen, die Vorfälle für eigene Interessen zu benutzen (Rechtsgerichtete: »Flüchtlinge, die das Asylrecht mißbrauchen«, Feministen: »Männer«)
Wenn Machotum (herrgottnochmal: Wer muß denn seine Männlichkeit ständig unter Beweis stellen? Der, der ihrer unsicher ist!) gesamtgesellschaftlich endlich mal als Angst vor der Frau (= Mutter) verstanden werden würde, wären wir schon ein ganzes Stück weiter. 

Und wenn Lesbe Alice Schwarzer seit Jahrzehnten vor einem politisch korrekt ergriffenen Publikum rumblökt, Männer seien potenzielle Vergewaltiger und Mörder, macht das den Umgang junger Männer mit den eigenen Gefühlen und der eigenen sexuellen Identität bestimmt nicht einfacher.

- Krise bei den jungen Männern (Post, 12.05.2015)

Weshalb müssen sich die Frauen in den nordafrikanischen und arabischen Ländern verhüllen? Weil die Männer Angst vor ihrem eigenen Begehren haben. (Das kennen wir schon aus der Bibel: Eva war es, die Adam den Apfel vom verbotenen Baum gab!) Somit wird die Frau zur Projektionsfläche der eigenen schuldhaft erlebten sexuellen Begehrlichkeit. Und was kriegt ein Selbstmörder im Paradies? Jungfrauen, rein und unerfahren! Eine sexuell selbstbewußte Frau würde das Schwellkörpersystem der narzißtisch an die sie verherrlichenden Mütter Gebundenen empfindlich stören. 
Eine gelassenere Betrachtungsweise der vergewaltigungsbereiten, hormongeschwängerten (möglicherweise auch nordafrikanischen) Männerscharen würde uns allen guttun. Das wird aber noch eine zeitlang dauern…

Vorerst gilt es für jeden, der sich einen klaren Kopf bewahren möchte, die Bananenschalen der Mainstream-Deutungsmaschinerien zu erkennen und zu umgehen.
- Ist der Sexist immer der Moslem? (Peter Nowak, Telepolis, 06.01.2016)
Köln: "Völlig neue Dimension der Gewalt" (Florian Rötzer, heise Online, 05.01.2016)
- Kölner Polizei: "Wir haben bisher noch keinen Tatverdächtigen" (Florian Rötzer, Telepolis, 05.01.2016)
- Köln: De Maizière kritisiert Polizeieinsatz (ZEIT Online, 06.01.2016, Beachte auch die Kommentare!)
- VideoKommentar: Sonia Seymour Mikich, WDR, zur Silversternacht in Köln (Tagesschau, 05.01.2015)
- Köln : Was sind das nur für Menschen? (Christoph Herwartz, ZEIT Online, 05.01.2016)
- Kriminalität: Unser Sexmob (Kommentar Thomas Fischer, ZEIT Online,12.01.2016 )

in folgendem Artikel steht das für mich Interessanteste drin:
- Der Tahrir-Platz von Köln (Tomasz Konicz, Telepolis, 05.01.2016)
Es war die "dunkle Seite" der Massenproteste gegen das Mubarak-Regime in Ägypten: Hunderte von Frauen sind während der Proteste und Auseinandersetzungen auf dem zentralen Tahrir-Platz in Kairo Opfer von Übergriffen und Vergewaltigungen von Banden junger Männer geworden, berichtete die Zeit auf ihrer Onlinepräsenz im Juli 2013: […]
Diese Vorfälle lassen nun sehr schnell eine Illusion verschwinden, die Illusion von der moralischen Überlegenheit der Opfer von Krieg und Vertreibung. Die Hölle aus Staatszerfall und Bürgerkrieg, der die Flüchtlinge entkommen sind, hat diese selbstverständlich geprägt, sie hat Spuren hinterlassen. Die Flucht aus dieser Anomie in die erodierenden Zentren des krisengeschüttelten kapitalistischen Weltsystems schaffen ohnehin nur die Stärksten: Die jungen Männer und diejenigen, die es sich noch leisten können, dies zu bezahlen.  
Es fliehen traumatisierte - oder brutalisierte - Menschen, die selbstverständlich die Hölle, der sie entkommen sind, nicht einfach hinter sich lassen, sondern in sich mit tragen. Die Krisenideologie des Islamismus wirkt oftmals auch bei all jenen nach, die ihm zum entkommen trachten. Die Flüchtlinge haben ein Recht zur Flucht - nicht weil sie als Opfer bessere Menschen sind, sondern weil sie Menschen sind. Die Erwartung, Flüchtlinge aus den Zerfallsregionen der Peripherie, die es bis in die BRD schaffen, würden sich besonders gut betragen und ein vorbildliches staatsbürgerliches Verhalten an den Tag legen, ist entweder naiv oder rassistisch. […]
Und selbstverständlich geht es hier nicht um einen kulturalistischen Kampf zwischen dem islamischen Morgenland und dem christlichen Abendland, wie ihn rechte Ideologen propagieren. Es ist kein Rückgriff auf "Traditionen", der junge Männer aus dem arabischen Raum zu Vergewaltigern macht. Die Clans, Milizen, Banden und Sekten, die sich im Windschatten von ökonomischen Zusammenbrüchen und Staatszerfall breitmachen, etablieren "entbundene Gewaltstrukturen, wie sie aus dem Zerfall der warenproduzierenden Anti-Zivilisation des Geldes hervorgehen", erläuterte der Krisentheoretiker Robert Kurz in seinem 2003 erschienenen Werk "Weltordnungskrieg". Die endemisch hohe Arbeitslosigkeit, gepaart mit der Verwilderung des Staatsapparates, der nicht mehr aus der Kapitalverwertung finanziert werden kann, bringe eine "verlorene Generation" desorientierter junger Männer hervor, die "auf ihre kapitalistische Überflüssigkeit bösartig reagieren und sich in den hoffnungslosen Milizen" der Zusammenbruchsregionen der Welt wiederfinden, so Kurz.  […]
Letztendlich gilt es, beiden Formen der krisenbedingten Barbarisierung - den arabischen Banden wie der deutschen Nazibande - entschieden entgegen zu treten und ihren gemeinsamen Nenner zu betonen. Das antifaschistische Engagement von Aktivisten und zivilgesellschaftlichen Gruppen muss um eine antisexistische Komponente gegen all die chauvinistischen arabischen "jungen Männer", die auf ihre ökonomische Überflüssigkeit nicht emanzipatorisch, sondern bösartig reagieren, erweitert werden.  

- Tahrir-Platz (Wikipedia)
- Unliebsames Verhalten junger Männer ohne Perspektive – «Schwierige» Asylsuchende aus Westafrika (NZZ, 18.07.2002)
Junge Männer: Söhne ohne Perspektive (Post, 02.11.2006)
- Gewalt durch Männer, Gewalt durch Frauen: Im Inneren des Walfischs (Post, 11.05.2009)
Arbeitslose junge Männer sind Ursachen für Kriege (Berthold Seewald, Die Welt, 16.01.2012)
- «Diese Männer leben isoliert, frustriert, ohne Perspektive und Wertschätzung» (Interview mit Thomas Kunz, Tagesanzeiger.ch, 12.06.2012)
- Jugendarbeitslosigkeit in nordafrikanischen Ländern (Steffen Angenendt, Silvia Popp, SWP aktuell 34, Stiftung Wissenschaft und Politik, Juni 2012)

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