Tariq Ramadan tritt als Vertreter konservativer und orthodox-sunnitischer Positionen auf und bezeichnet sich als „Reformsalafist“. Ramadan setzt sich für die daʿwa ein, die islamische Mission in Europa. Ihr Ziel sei, dass die Europäer den Islam freiwillig annähmen, ohne ihre Sprache oder Sitten ablegen zu sollen, solange diese mit der Scharia vereinbar seien. Ramadan äußerte, die Europäer nicht arabisieren oder turkisieren zu wollen. Auch äußerte er sich kritisch zu der Auffassung, dass Europäer als Ḥarbīs keinerlei Rechte hätten.
Ausgangspunkt von Ramadans Lehre ist die These, dass weder der Islam noch die Schari'a in der Geschichte statische Größen gewesen seien, wie muslimische Fundamentalisten es behaupteten. Die Anwendung des Begriffs dar al-harb („Bezirk des Krieges“) auf Europa sei deshalb heute überholt, zumal in Europa volle Religionsfreiheit gewährleistet sei, Muslime also nicht verfolgt würden. Ansonsten wären sie gezwungen, den dar al-harb zu verlassen und in den dar al-islam („Bezirk des Islam“) zu flüchten. Wichtig sei es, in nicht-islamischen Ländern zwischen den Traditionen der islamischen Welt und dem eigentlichen Kernzu unterscheiden, dem Ziel der Religion. Als eigenständige Leistung in der islamischen Begrifflichkeit gilt sein Konzept des Dar asch-Schahada („Bezirk des Glaubensbekenntnisses“), welches den geographischen Bezirk außerhalb des dar al-islambezeichnet, in dem die Muslime ihr Glaubensbekenntnis äußern und leben können, ohne Repressalien erwarten zu müssen. [Tariq Ramadan, Positionen, Wikipedia]=======================
An Tariq Ramadan scheiden sich die Geister. Der 1962 als Enkel von Hasan al-Banna, dem Mitbe- gründer der ägyptischen Muslimbruderschaft, in Genf geborene Vordenker des „Euro-Islam“ gilt als einflussreiches Vorbild vieler junger Muslime in Europa. Ramadan, Professor für Islamwis- senschaft in Genf und derzeit Gastprofessor am St. Antony’s College der Oxford University, hat insbesondere zum Thema „Muslimsein in Europa“ (so der Titel seines 2001 in Marburg erschienenen Buches) publiziert. Dort plädiert er, ähnlich wie im nachfolgenden Aufsatz, für eine „euro-islamische“ Neuinterpretation des Koran. Er propagiert eine Verbindung von westlichen Werten und islamischen Prinzipien und hat sich wiederholt gegen fundamentalistische Interpretationen des Islam und gegen islamistisch begründete Gewalt ausgesprochen.
Gleichzeitig gilt Ramadan vielen Beobachtern als „Doppelagent“ („Die Zeit“). Dabei wird ihm insbesondere vorgeworfen, dass seine Distanzierungen von radikaleren islamischen Stimmen halbherzig seien und er sich in konkreten Auseinandersetzungen oft als Wortführer problemati- scher Bestrebungen betätigt habe. Besonders umstritten waren seine Agitation gegen die Auf- führung von Voltaires „Mahomet“ in Genf, sein Plädoyer für ein „Moratorium“ hinsichtlich der Steinigung von Ehebrecherinnen und Ehebrechern in islamischen Ländern, seine Kritik jüdischer Intellektueller und sein Eintreten für das Kopftuch.
Umstritten ist Ramadan allerdings nicht nur im Westen; Einreiseverbote bestehen für ihn in Frankreich und in den Vereinigten Staaten, aber auch in Saudi-Arabien, Tunesien und Ägypten. Gerade weil er als dezidiert „konservativer Reformer“ (Ludwig Ammann) eine gewichtige Rolle im europäischen Islam einnimmt, halten wir die Auseinandersetzung mit seinen Positionen für unabdingbar. Der folgende Beitrag basiert auf einem Vortrag, den Tariq Ramadan auf Einla- dung des Zentrums Moderner Orient (ZMO) am 16. März d.J. in Berlin gehalten hat. – D. Red.
mehr:
- „Ihr bekommt die Muslime, die Ihr verdient“ – Euro-Islam und muslimische Renaissance (Tariq Ramadan, Blätter für deutsche und internationale Politik, 6/2006 )
Democracy Now [06/07/2016] | Tariq Ramadan [17:16]
Veröffentlicht am 07.07.2016
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