Dienstag, 4. Juni 2019

Migration – ein Kürzestüberblick

Migration ist heute eines der meistdiskutierten und dabei umstrittensten globalen Themen. Migrationsströme nehmen generell und in der Perspektive stark zu. Internationale Institutionen gehen weitgehend übereinstimmend davon aus, dass 2019 mehr als 250 Millionen Menschen Migranten oder Flüchtlinge sind; dass 750 Millionen kurzfristig migrieren würden, wenn sie könnten; dass die Zahl der Migranten bis 2050 auf mehr als 400 Millionen ansteigen wird; und dass bis 2100 die Zahl auf bis zu 2 Milliarden Migranten oder Migrationswillige anwachsen könnte
Sowohl die Zahlen wie die zeitliche Projektion sind umstritten. Manche gehen von höheren Zahlen aus, andere erwarten eine frühere Steigerung wegen Umweltveränderung und Bevölkerungszunahme; andere glauben dagegen an eine gewisse Stagnation wegen Anti-Globalisierungs- und Renationalisierungstendenzen. Einigkeit herrscht bezogen auf stabile und kontinuierliche Zunahme in den kommenden Jahren. 
Gründe dafür sind unter anderem: "Gefrorene" Kriege und Konflikte (frozen conflicts, das heißt Konflikte ohne mittel- bis langfristige Aussicht auf Lösung) nicht nur zwischen Staaten, sondern zunehmend auch auf Meso- und Mikroebene; wachsende Ungleichheit durch asymmetrische Globalisierungswirkungen; die für immer breitere soziale Schichten zugängliche Mobilität; und nicht zuletzt - immer bedeutsamer vor allem für die Bewegung von Süden nach Norden - die Umweltzerstörung sowie der Klimawandel. 
Die zunehmenden Zahlen ergeben sich aber wesentlich auch aus Talente-, Berufs- und Wirtschaftswanderungen, die vom Abbau von Grenzen und von der Öffnung von Handels-, Finanz- und Wirtschaftsgrenzen sowie steigender Konkurrenz und Kooperation durch die Globalisierung begünstigt werden. Die globale Wissensgesellschaft braucht legale Migration mehr als vorherige Organisationsformen und ist in vielen Bereichen sogar zunehmend auf sie angewiesen. 
Migration ist kein Objekt oder Zustand, sondern ein Prozess. Migration hat zahlreiche positive Implikationen und Folgen. Darunter sind geistige Öffnung und Kosmopolitismus; Zunahme an Toleranz und globalem Bewusstsein; Historisierung und vergleichende Relativierung absoluter Konzepte und Selbstverständnisse; kultureller Austausch und Zusammenarbeit sowie Abbau von Vorurteilen. 
Analytiker wie Manfred Steger sehen die Entstehung einer Welt mit einem gemeinsamen Gewissen, in der die Mobilität von Ideen, Informationen und Menschen die Menschheit in ein neues Paradigma voneinander abhängiger Gerechtigkeitskreisläufe versetzt hat. Die Schattenseiten können Entwurzelung und kulturelle Verständnisschwierigkeiten sein, die bis ins Verhältnis von Bevölkerungsteilen zur Grundverfassung von Gesellschaften und sozio-kulturelle sowie historische Brüche hinein reichen können. 
mehr:
- Weltthema Migration: Wo stehen wir? (Roland Benedikter, Telepolis, 02.06.2019)

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