Montag, 11. November 2019

Die Kampagnen gegen Peter Handke gehen weiter

Die Kampagnen gegen Peter Handke gehen weiter: “Warum Peter Handke vielleicht kein Österreicher mehr ist“ – solche fragwürdigen Thesen werden ganz aktuell über den österreichischen Schriftsteller und Literaturnobelpreisträger verbreitet. Der Anlass für die Artikel ist der „Fund“ eines lange bekannten Ausweisdokuments. Die Motivation ist mutmaßlich die Diskreditierung eines Kriegsgegners. Von Hannes Hofbauer.

„Ich wäre gerne in Serbien, wenn die Bomben auf Serbien fallen. Das ist mein Ort. Ich verspreche Ihnen, wenn die Kriminellen der Nato bombardieren, komme ich nach Serbien.“ Diese Worte sprach Peter Handke am 18. Februar 1999, als er vom serbischen Fernsehen im französischen Rambouillet interviewt wurde.

Im Schloss Rambouillet versuchten damals die Verhandler der USA und der Europäischen Union, Christopher Hill und Wolfgang Petritsch, die jugoslawische Seite dazu zu zwingen, die Provinz Kosovo unter internationale Kontrolle zu stellen und Serbien und Montenegro zum Aufmarschgebiet der NATO zu machen, damit sich, wie es in Artikel 8 hieß, “NATO-Personal … innerhalb der gesamten Bundesrepublik einschließlich ihres Luftraumes und ihrer Territorialgewässer frei und ungehindert bewegen können.” Eine solche Erpressung war unannehmbar, wie auch der frühere US-Außenminister Henry Kissinger seiner Nachfolgerin Madeleine Albright via Zeitungskommentar ausrichten ließ:

“Von Jugoslawien, einem souveränen Staat, verlangt man die Übergabe der Kontrolle und Souveränität über eine Provinz mit etlichen nationalen Heiligtümern an ausländisches Militär. Analog dazu könnte man die Amerikaner auffordern, fremde Truppen in Alamo einmarschieren zu lassen, um die Stadt an Mexiko zurückzugeben, weil das ethnische Gleichgewicht sich verschoben hat”, schrieb er am 28. Februar in der “Welt am Sonntag”.
Und der jugoslawische Delegationsleiter Milan Milutinović erklärte nach 17 Verhandlungstagen gegenüber der Presseagentur “Tanjug”:
“Es war ein Betrug passiert. Man wollte gar kein Abkommen. Das ganze Theater war zu dem Zweck arrangiert worden, dass wir Unannehmbares akzeptieren sollten oder, wenn wir es nicht akzeptierten, Bomben fielen …”
Einen Monat später fielen Bomben auf Serbien und Montenegro. Am 24. März 1999 griff die eben erst um die drei Mitgliedsländer Ungarn, Polen und Tschechien vergrößerte NATO Jugoslawien an. Der völkerrechtswidrige Überfall erfolgte ohne UN-Mandat. Es war eine kriminelle Tat. Und Peter Handke stand zu seinem Versprechen. Er fuhr nach Serbien. Schon 1996 war von ihm, mitten in die serbenfeindliche Stimmung der westlichen Medien und Politik hinein, sein Bericht über eine winterliche Reise zu den Flüssen Donau, Save, Morawa und Drina erschienen: “Gerechtigkeit für Serbien“, lautete der Untertitel. Und Anfang 1999 schloss er die Arbeit am Theaterstück “Die Fahrt im Einbaum oder das Stück zum Film vom Krieg” ab, in dem er sich klar und unmissverständlich gegen die kolonialen Begehrlichkeiten westlicher Militärs, Unternehmen und NGOs im bosnischen Bürgerkrieg ausspricht. Claus Peymann inszenierte die Uraufführung am Wiener Burgtheater am 9. Juni 1999, ausgerechnet an jenem Tag, an dem im makedonischen Kumanovo ein Vertrag zum Abzug der jugoslawischen Volksarmee aus dem Kosovo unterzeichnet wurde.

Medien und Behörden: Gemeinsam gegen Handke

Nach dem Krieg wurde Handke am 15. Juni 1999 ein jugoslawischer Pass ausgestellt. Obwohl dieser Pass in Form einer Kopie im Online-Archiv der österreichischen Nationalbibliothek seit Jahren zu bestaunen ist, erregt sich die Journaille nun erst darüber, um das Bild von Peter Handke als Freund einer blutrünstigen Serbendiktatur zu zementieren. “Das Milosevic-Regime stellte dem Literatur-Nobelpreisträger 1999 einen Pass aus”, heißt es beispielsweise am 8. November in der Wiener “Die Presse” – noch dazu in Verdrehung der Zeitenfolge, war doch Handke im Jahr 1999 der Literaturnobelpreis noch lange nicht verliehen worden. Und der liberale “Standard” stichelt weiter und titelt am selben Tag: “Warum Peter Handke vielleicht kein Österreicher mehr ist”. Die Handke-feindlichen Medien treiben die Behörden vor sich her. Weil Doppelstaatsbürgerschaften in Österreich nur in Ausnahmefällen erlaubt sind, muss nun geprüft werden, ob Handke vielleicht 1999 automatisch die österreichische verloren hat. Der sozialdemokratische Landeshauptmann von Kärnten, dem Heimatbundesland des Nobelpreisträgers, hat nun offiziell ein “staatbürgerschaftliches Ermittlungsverfahren” gegen Handke eingeleitet. So gehen Politik und angebliche Qualitätsmedien im Land der Künste mit ihrem eben erst mit höchsten Ehren ausgezeichneten Literaten um.

Sie können es ihm nicht verzeihen, dass Peter Handke in den 1990er Jahren nicht nur den Zerfall Jugoslawiens bedauert hat, sondern der damals vergleichsweise vernünftigsten Kraft, Slobodan Milošević, nahe gestanden ist. Am Grab des nach Den Haag Verschleppten und dort ohne eine von ihm gewünschte medizinische Behandlung zu Tode Gekommenen brachte Handke seine Sicht der Jugoslawien-Krise indirekt zum Ausdruck. Dieser 18. März 2006 wird noch heute skandalisiert. Damals sprach Handke auf dem Begräbnis von Milošević in dessen Geburtsstadt Požarevac die folgenden Worte (auf Serbo-kroatisch):

“Die Welt, die sogenannte Welt, weiß alles über Jugoslawien, Serbien. Die Welt, die sogenannte Welt, weiß alles über Slobodan Milošević. Die sogenannte Welt weiß die Wahrheit. Deswegen ist die sogenannte Welt heute abwesend, und nicht bloß heute, und nicht bloß hier. Die sogenannte Welt ist nicht die Welt. (…) Ich weiß die Wahrheit nicht. Aber ich schaue, Ich höre. Ich erinnere mich. Ich frage. Deswegen bin ich heute anwesend, nah an Jugoslawien, nah an Serbien, nah an Slobodan Milošević.”

mehr:
- Lob für Handke (Hannes Hofbauer, NachDenkSeiten, 11.11.2019)
siehe auch:
Peter Handke, der Nobelpreis und die Meute der Guten (Post, 16.10.2019)
- Daniela Dahn und die feindliche Übernahme der DDR Was hat der Sieger in den letzten 30 Jahren mit seinem Triumph angefangen? (Post, 12.09.2019)

  • Der Internationale Gerichtshof hat Serbien und Kroatien jeweils vom Vorwurf des Völkermords im Kroatienkrieg freigesprochen.
  • Kurz zuvor hatte das höchste UN-Gericht in Den Haag eine Klage Kroatiens gegen Serbien abgewiesen.
  • Es sei nicht erwiesen, dass Serbien die Absicht hatte, eine Bevölkerungsgruppe in Kroatien auszulöschen, urteilte Richter Tomka.
  • Anschließend sprach das Gericht auch Kroatien vom Vorwurf des Völkermordes frei und wies die Gegenklage Serbiens ab.
[Entscheidung in Den Haag: Richter sprechen Serbien vom Vorwurf des Völkermordes freiSZ, 03.02.2015 – Hervorhebung von mir] 

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