x
Im Oktober 2019 ist das neue Buch, „Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland“ des Politologen und Publizisten Hermann Ploppa erschienen. Im Gespräch mit dem Rubikon bezeichnet der Autor das Verhalten der Bundesregierung gegenüber Russland als ein „Selbstmordkommando“. Anstatt die NATO weiter aufzurüsten und gegen Russland in Stellung zu bringen, sollte man das für Rüstung verschwendete Geld stattdessen für den „sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Wiederaufbau Europas“ verwenden, so der Autor. Das Gespräch führte Flo Osrainik.
x
Flo Osrainik: Herr Ploppa, seit Oktober ist Ihr neues Buch „Der Griff nach Eurasien: Die Hintergründe des ewigen Krieges gegen Russland“ erhältlich. Darin beschreiben Sie die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland in den letzten einhundert Jahren. Wie haben sich die Verhältnisse seitdem denn grob umrissen entwickelt?
x
Hermann Ploppa: Wir müssen uns zunächst einmal die Europakarte aus der Zeit vor dem Ersten Weltkrieg vor Augen führen. Wir sehen dann, dass das zaristische Russland und das von Kaiser Wilhelm II. regierte Deutsche Reich damals direkte Nachbarn waren. Es herrschte reger Austausch. Die Grenzen waren offen. Russische Adlige absolvierten ihren Kuraufenthalt in Deutschland. Deutsche siedelten in den Weiten Russlands. Nicht unerwähnt lassen wollen wir auch die enge Verflochtenheit der Herrscherhäuser beider Länder. Diese Entwicklung wurde auch in Großbritannien und in den USA registriert.
Im Jahre 1904 warnte der englische Geopolitiker Halford Mackinder in einem viel beachteten Vortrag vor den neuen Potenzialen, die sich aus Eisenbahn- und Straßennetzen für kontinentale Nationen ergeben. Festlandstaaten wie Deutschland und Russland könnten mit den neuen Verkehrsmitteln ihre Rohstoffe, aber auch Truppenverbände viel schneller und effizienter hin und her bewegen. Die Wettbewerbsvorteile der Seemacht Großbritannien seien damit aufgebraucht.
Daraus ergibt sich für Mackinder folgende Agenda: Erstens, Großbritannien muss verhindern, dass sich Deutschland und Russland zusammentun. Die Verbindung deutscher Ingenieurkunst mit russischen Rohstoffen ergäbe eine neue Großmacht, gegen die der angloamerikanische Block keine Chance mehr hätte. Zweitens, wenn Großbritannien die enormen Rohstoffvorkommen der eurasischen Kontinentalplatte für sich selber nutzen will, muss es sich zur Unterstützung eine Art „Juniorpartner“ auf dem europäischen Festland suchen, mit dem zusammen die Eroberung des von Mackinder so genannten „Herzlandes“ gelingen könnte.
Nach dem Ersten Weltkrieg wird ein Gürtel von neu gegründeten Staaten zwischen Russland und Deutschland gelegt. Trotzdem gelingt den Regierungen Deutschlands und der neuen Sowjetunion mit dem Vertrag von Rapallo im Jahre 1922 eine enge militärische und wirtschaftliche Verbindung, die sich der Kontrolle der Westmächte entzieht. Die Westmächte unternehmen alles, um die Weimarer Republik von diesem Bündnis von Rapallo wegzubringen. Mit dem Dawes-Plan von 1924 und dem Young-Plan von 1930 wird Deutschland in eine direkte Abhängigkeit von US-amerikanischen Banken durch Kredite gebracht.
mehr:
- Der falsche Feind (Flo Ostrainik, Hermann Ploppa, Rubikon, 08.02.2020)
siehe auch:
- Wünschenswert? – Amerikas Abschiedsvorstellung (Post, 24.01.2020)
- Der Schlüssel zur Weltherrschaft – die Heartland-Theorie (Post, 05.11.2019)
- Von der Heartland-Theorie über Brzezinski zur nahen Zukunft (Post, 20.10.2019)
STRATFOR Chef legt die Außenpolitik der USA offen: Ukraine, Russland, Deutschland, Nahost {12:52 – Start bei 3:18}
LT-News.com
Am 26.08.2015 veröffentlicht
Am 26.08.2015 veröffentlicht
Ziel: Allianz zwischen Russland und Deutschland verhindern
Zum Video:Beginn: »Europa wird zum menschlichen Normalfall zurückkehren: Es wird seine Kriege und seine Toten haben. Die einzelnen euopäischen Länder leben in völlig unterschiedlichen Universen. Sie sind uneins. Deshalb gibt es kein ›Europa‹.«
ab 1:45
»Das Hauptinteresse der Vereinigten Staaten war und ist, eine Zusammenarbeit von Deutschland und Russland zu verhindern, weil, wenn vereint, diese Koalition die einzige Macht auf der Erde ist, die den USA gefährlich werden kann. Diese Koalition gilbt es zu verhindern.«
Screenshot aus dem Friedman-Vortrag |
»Wir können größere Länder nicht besetzen, aber wir können
1. unter ihnen Zwietracht sähen, dafür sorgen, daß sie sich gegenseitig bekämpfen und jede der Parteien mit Beratern und Waffen versorgen
und
2. mit Präventivschlägen vorgehen. Dadurch bringen wir unsere Feinde aus der Balance.
Ich hoffe, wir haben unsere Lektion gelernt und reduzieren unsere Interventionen. Alles andere ist zu teuer und kostet zu viele Tote.«
ab 8:50
»Die Frage ist, ob sich Russland damit zufrieden gibt, die Ukraine als »neutrale« Pufferzone zwischen sich und Europa zu erhalten oder ob Europa dazu in der Lage ist, in die Ukraine vorzudringen und dann wenige hundert Kilometer vor Leningrad oder Moskau steht.
Screenshot aus dem Friedman-Vortrag |
Unsere bevorzugte Lösung ist das Intermarum (das Zwischenmeer-Land – das Territorium zwischen Ostsee und Schwarzem Meer). Aber wir wissen nicht, wie sich Deutschland positionieren wird. Das Intermarum dient dazu, Deutschland und Russland voneinander abzuschneiden, und wir wissen nicht, wie Deutschland reagieren wird, weil sie Gegenden brauchen, in die sie ihre Exporte liefern können.
Für Russland ist es entscheidend, daß die Ukraine nicht prowestlich wird.
Und in dieser Situation ist die große Frage, was Deutschland tun wird.«
- Zbigniew Brzezinski, Die einzige Weltmacht (Post, 28.11.2014)
mein Kommentar:
Wenn man von Mackinders Heartland-Theorie über Brzezińskis »Die einzige Weltmacht« (1997) bis zu George Friedmans Vortrag vor dem Chicago Council on Global Affairs eine Linie zieht (was mir nicht so schwer zu sein scheint)
könnte man auf den Gedanken kommen, daß sowohl
- die 9/11-Katastrophe wie auch
- der arabische Frühling,
- die Ukraine-Krise und
- der syrische Bürgerkrieg
auf dieser Linie liegen…
Zu Brzezińskis Buch hat Christoph von Marshall 2015 etwas geschrieben:
Schon damals [Die einzige Weltmacht: Amerikas Strategie der Vorherrschaft, 1997, Wikipedia] sagte Brzezinski voraus: Die Ukraine wird der Schlüssel sein, für Russlands Zukunft und den Frieden. Denn in der Ukraine entscheide sich, ob Russland sich nach Europa orientiert oder in imperiales Auftrumpfen zurückfällt.
„Allein schon die Existenz einer unabhängigen Ukraine hilft, Russland zu verändern. Ohne die Ukraine hört Russland auf, ein eurasisches Imperium zu sein. Es kann zwar immer noch imperialen Status beanspruchen, würde dann aber in Konflikte mit den zentralasiatischen Staaten verwickelt. Auch China würde sich erneuter russischer Dominanz in Zentralasien entgegenstellen. Wenn Russland aber die Kontrolle über die Ukraine zurückgewinnt, wäre es wieder eine Imperialmacht.“
All die westlichen Hoffnungen, dass Russland sich öffnet und modernisiert, dass es zu einem demokratischen Partner eines demokratischen Amerika wird, sind aus Brzezinskis Sicht davon abhängig, dass Russland den Herrschaftsanspruch über die Ukraine aufgibt.
[Zbigniew Brzezinski – Rückblick in die Konflikte der Zukunft,mein Kommentar zu Marschalls Artikel:
Christoph von Marschall, Deutschlandfunk, 03.08.2015]
Ein einfaches Modell:
Ich nehme mir im Jahr 2014 ein Kochbuch von Johannes Lafer aus dem Jahr 1997 und backe nach seinem Rezept einen Kirschkuchen.
Dann kann der Christoph von Marschall (siehe obiges Zitat) 2015 sagen: »Ist doch unglaublich, wie der Lafer diesen Kirschkuchen vor 20 Jahren so exakt vorausgesagt hat!« Eine Täter-Theorie ist ihm aber zu verschwörungstheoretisch: »Das wirkt aber weit hergeholt.«
Während der Lektüre ist man immer wieder versucht, zum Copyright-Vermerk zu blättern: Ist dieses Buch wirklich 1997 erschienen? Es liest sich wie eine brandaktuelle Analyse, welche geopolitischen Triebkräfte die internationale Politik heute bestimmen. Geschrieben hat Zbigniew Brzezinski „The Grand Chessboard“ – wörtlich: „Das große Schachbrett“ – aber vor 18 Jahren! Damals regierte Bill Clinton, der Weltwirtschaft ging es gut, die Bundesregierung bereitete den Umzug von Bonn nach Berlin vor. Islamistischer Terror war noch nicht im allgemeinen Bewusstsein, 9/11 kam ja erst vier Jahre später. Der Ost-West-Konflikt war beendet. Polen, Tschechien und Ungarn bereiteten sich auf den Beitritt zu EU und NATO vor. Man hoffte, dass Russland mit etwas Verspätung ebenfalls zu Demokratie und Rechtsstaat findet und ein Friedenspartner wird. […]
Manche nehmen solche Weitsicht zum Anlass für den Verdacht, Brzezinski habe diese Entwicklung als Strippenzieher mit herbeigeführt. Das wirkt aber weit hergeholt. Er hatte seit Jahrzehnten kein Regierungsamt und steuert auch nicht die US-Geheimdienste.
Vielmehr kommen bei ihm Biografie, präzise Analyse und treffsichere Instinkte zusammen. Er ist gebürtiger Pole, war Sicherheitsberater des demokratischen Präsidenten Jimmy Carter, ist bis heute einer der angesehensten außenpolitischen Denker der westlichen Hemisphäre. Sein Buch beginnt mit der Frage, welche geostrategischen Imperative die USA berücksichtigen müssen, wenn sie die ihnen zugefallene Vorrangstellung behalten wollen. Sie sind die erste Weltmacht der Geschichte, die nicht auf dem eurasischen Kontinent zuhause ist. Dort werde aber auch in Zukunft die Machtfrage entschieden.x
[Christoph von Marschall, Zbigniew Brzezinski – Rückblick in die Konflikte der Zukunft, Deutschlandfunk, 03.08.2015, Hervorhebung von mir]
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen