Donnerstag, 21. Mai 2015

Bologna oder Die Kapitalisierung der Bildung

Seit Wochen gehen in Deutschland wieder Studentinnen und Studenten auf die Straße und besetzen ihre Universitäten, um gegen die gegenwärtigen Studienbedingungen zu protestieren. Im Kern richtet sich ihr Protest gegen die im Zuge des Bologna-Prozesses erfolgten massiven Änderungen in der Studienorganisation. Und das völlig zu Recht. Es sind nämlich bei weitem nicht bloß „handwerkliche Fehler“, wie Bundesbildungsministerin Annette Schavan behauptet, die die „Umsetzung“ der Hochschulreform erschweren. Im Gegenteil: Auf diese Weise wird die Verantwortung für die gegenwärtige Misere lediglich von der politischen auf die universitäre Ebene verschoben, und die tiefer liegenden Probleme werden nicht zur Sprache gebracht.

In der Bundesrepublik bedeutet der Bologna-Prozess eine Kulturrevolution. Er vollzieht einen sich schon länger anbahnenden fundamentalen Wandel der Vermittlung von Bildung und Beschäftigung – und durchbricht die lange wirksamen Widerstände gegen diesen Wandel, die jedoch zumindest unter den Studierenden (zu Recht) noch nicht beseitigt sind.

Der „Bologna-Prozess zur Schaffung eines europäischen Hochschulraumes“ sollte die nationalen Bildungssysteme für den europäischen Integrationsprozess öffnen. Der durch diesen Prozess eingeleitete Umbau besteht jedoch nicht nur aus einer formalen Angleichung von Hochschulabschlüssen: Bologna hat eine zunehmende Schichtung und Hierarchisierung nationaler Bildungseinrichtungen zur Folge. Die angestrebte transnationale Integration der Bildungssysteme wird von einer nationalen Desintegration begleitet. Das ist des Pudels Kern, der den gesamten Prozess so umstritten macht.

Der Kampf ums Prestige: Märkte als Mittler zwischen Bildung und Beschäftigung
Bildung wird unter den neuen Bedingungen in der Tendenz nicht mehr als Kollektivgut der Gesellschaft gestaltet (durch die Fachgesellschaften der Professoren und Berufsverbände), sondern als Individualgut und Ware auf einem globalen Bildungsmarkt gehandelt. Im neuen akademischen Kapitalismus dreht sich alles um die Renditen, die Investitionen in Humankapital erbringen. Der Kampf um Bildungsprestige verschärft sich und verteuert Bildung enorm. Zum Erfolg kann in einem solchen System nur derjenige kommen, dessen Eltern schon im Kindergarten, in Primarschule und Sekundarschule mit dem nötigen Geld die Weichen stellen, wie man in den USA und in Großbritannien am besten beobachten kann.

Offene Märkte treten an die Stelle der Berufsordnungen, als Mittler zwischen Bildung und Beschäftigung. Das schafft gravierende Unsicherheiten.

In Deutschland haben wir eine gewachsene Tradition der engen Kopplung von Bildung (Titel) und Beschäftigung (Stelle). Das wurde durch feste Berufsbilder gewährleistet, die von Fachgesellschaften (etwa bei Chemikern und Physikern) und Berufsverbänden (etwa bei Ärzten, Anwälten, Architekten, Ingenieuren und Lehrern) in öffentlicher Verantwortung gestaltet wurden. Diese Berufsbilder haben die Studiengänge (Staatsexamina, Diplome) und die Stellenanforderungen in der beruflichen Praxis eng miteinander verzahnt.

Die neuen Bachelorstudiengänge können das nicht leisten. Sie vermitteln lediglich Grundlagenkompetenzen und entlassen die Absolventen auf einen für sie viel weniger durch eindeutige Stellenprofile vorbereiteten Arbeitsmarkt. Was man im Bachelorstudium gelernt hat, muss deshalb umso mehr durch zusätzliche Qualitäten der Selbstdarstellung und Selbstvermarktung und durch das sogenannte lebenslange Lernen ergänzt werden. 1

Weil man Arbeitgeber nicht mehr mit einem beruflichen Profil für sich gewinnen kann, muss mehr in das persönliche Profil investiert werden: durch Auslandsaufenthalte, soziale Kompetenzen, sicheres Auftreten, Eloquenz und nicht zuletzt durch den Prestigewert des erworbenen Bildungstitels, der gegenüber dem reinen Sachwert die Oberhand gewinnt. Es kommt in Zukunft weniger darauf an, welchen Bildungstitel man erworben hat, sondern mehr darauf, von welcher Hochschule er verliehen wurde.

Es entwickelt sich ein Kampf um Prestige, der zu einer fortschreitenden Verteuerung der Bildungstitel führt, wie man an der explosionsartigen Steigerung der Studiengebühren in den USA besonders anschaulich beobachten kann. Dort kostet ein vierjähriges Bachelorstudium zwischen 40000 und 180000 US-Dollar allein an Studiengebühren. Wie in der Fußball-Champions-League erlangen die kapitalkräftigsten Bildungseinrichtungen auch das höchste Prestige und erzielen die dauerhaftesten Erfolge auf dem Bildungsmarkt. Sie schließen sich zu Allianzen europäischer Spitzeneinrichtungen zusammen, die sich durch akademischen Luxus von der Masse der übrigen Einrichtungen absetzen und dadurch den Abstand nach unten immer weiter vergrößern.

mehr:
- Bologna oder Die Kapitalisierung der Bildung (Richard Münch, Berliner Republik 1/2010)

ZDF Frontal21: Die Bachelor-Falle [8:17]

Veröffentlicht am 30.07.2014
Mit dem Bologna-Prozess wurde vor 15 Jahren das Bachelor-Master-System beschlossen, um die Lage an den Universitäten und am Arbeitsmarkt zu verbessern. Doch die Realität sieht heute anders aus.

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