Donnerstag, 21. Mai 2015

Ukrainekonflikt und kein Ende?

Mit dem Abschluss von „Minsk II“ ist es, wenn auch unter großen Schwierigkeiten, zu einem höchst fragilen Waffenstillstand in der Ostukraine gekommen – inklusive einer Entzerrung der Frontlinien, des Abzugs schwerer Waffen und weiterer Deeskalationsschritte.[1] Ob die Beendigung der militärischen Auseinandersetzungen diesmal von Dauer sein wird, bleibt abzuwarten. Das hängt nicht zuletzt davon ab, ob die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) jetzt – anders als im ersten Konfliktjahr 2014 – von ihren 57 Mitgliedstaaten die ausreichenden personellen, finanziellen und logistischen Mittel erhält, damit sie die ihr in „Minsk II“ zugewiesenen Aufgaben auch erfüllen kann. Doch selbst dann wäre der Weg zu einem nachhaltigen Frieden noch weit.

Selbst wenn es tatsächlich gelingen sollte, den Krieg in der Ostukraine dauerhaft zu beenden, wäre der hinter den innerukrainischen Auseinandersetzungen stehende geopolitische Großkonflikt zwischen Russland und den Mitgliedstaaten von Nato und EU keineswegs überwunden. Voraussetzung dafür ist vielmehr, dass diese Konfliktparteien ihre grundlegenden Fehler und die falsche Politik der letzten Jahre korrigierten.

Theoretisch könnte den Vereinten Nationen dabei eine wichtige Rolle zukommen. Sie müssten den Konfliktparteien dazu verhelfen, in einen Deeskalationsprozess einzusteigen. Aus realpolitischen Gründen ist der UN-Sicherheitsrat jedoch das ungeeignete Gremium: Denn jedes Mandat des UN-Sicherheitsrates für eine wie auch immer geartete Präsenz in der Ukraine, das über die bisherige OSZE-Mission hinausginge, würde an einem Veto des ständigen Sicherheitsmitglieds Russland scheitern.

Erforderlich wäre daher eine gemeinsame Initiative von UN-Mitgliedstaaten, die nicht oder zumindest nicht in vorderster Linie an dem Konflikt beteiligt sind, die aber dennoch auch ein Interesse an seiner Deeskalation und Beilegung haben könnten. Denn eine Fortsetzung oder gar eine weitere Verschärfung des Konflikts zwischen Nato/EU und Russland hätte globale negative Auswirkungen. Einige sind schon jetzt spürbar: Die enormen Spannungen zwischen den USA und Russland wegen der Ukraine erschweren zusätzlich die so dringend nötige Kooperation zwischen den beiden Mächten bei der Beendigung des syrischen Bürgerkriegs und anderer Konflikte. Die schwere Wirtschaftskrise, in die Russland infolge der westlichen Sanktionen sowie zusätzlich wegen des deutlich gefallenen Weltmarktpreises für Öl geraten ist, werden zunehmend auch zum Problem für Länder, die mit Russland Handel treiben und deren Unternehmen in Russland investieren.

Notwendige Fehlerkorrekturen der Nato


Eine entscheidende Rolle spielt dabei auch die Nato: Die Nato-Staaten müssten in erster Linie – anstatt die Regierung in Kiew durch Waffenlieferungen und politischen Zuspruch in ihrem Ziel eines Nato-Beitritts zu bestärken – den Beschluss ihres Gipfels von 2008 aufheben und die klare, auch für die Wahrnehmung in Moskau unzweideutige Entscheidung treffen, dass eine Nato-Mitgliedschaft der Ukraine wie auch Georgiens und Moldawiens nicht geplant ist. Um diesen Konfliktpunkt mit Moskau aus der Welt zu schaffen, reicht es nicht aus, wenn die deutsche Bundeskanzlerin Angela Merkel oder Regierungsvertreter in anderen EU-Hauptstädten in Hintergrundgesprächen mit Journalisten die Einschätzung äußern, dass „die Ukraine weder der Nato noch der EU in den nächsten zwanzig Jahren beitreten“ werde – weil „die Bedingungen schlicht nicht gegeben“ seien.

Zum Zweiten müssten die Mitgliedstaaten von Nato und EU die Sanktionen gegen Russland aufheben. Diese Sanktionen waren von Beginn an zum Scheitern verurteilt, gemessen an ihrem erklärten politischen Ziel, die Regierung Putin zu einer grundlegenden Veränderung ihrer Haltung zu bewegen. Offensichtlich kann davon keine Rede sein, ja mehr noch: Inzwischen wirken die Sanktionen sogar kontraproduktiv und erschweren eine Deeskalation des Konflikts und seine politische Lösung.

Die EU müsste zu der Einsicht gelangen, dass ihre seit etwa 2005 betriebene Ukrainepolitik, mit der sie Kiew vor die Entweder-oder-Alternative einer Partnerschaft mit der EU oder mit Russland stellte, dem Land nur geschadet hat. Denn die Ukraine ist zum einen ein in mehrfacher Hinsicht gespaltenes Land – unter anderem in der Interpretation der historischen Ereignisse nach der Besetzung durch Nazideutschland 1941. Zum anderen ist die Ukraine für ihr wirtschaftliches Überleben unbedingt angewiesen auf gute Handels- und Wirtschaftsbeziehungen sowohl mit Russland als auch mit der EU sowie zunehmend auch mit China und anderen asiatischen Ländern. Hintergrund der verfehlten und in ihrer Wirkung schädlichen Ukrainepolitik der EU war ihre 2001 verkündete „Lissabon-Strategie“. Diese Strategie hatte zum Ziel, die EU bis 2010 zum wirtschaftlich, technologisch und in anderer Hinsicht stärksten und wettbewerbsfähigsten „globalen Player“ zu machen. Nach Überzeugung der damals verantwortlichen Brüsseler Strategen benötigte die EU für dieses Ziel zwei große Staaten wegen ihrer geografischen Lage und regionalen Bedeutung, wenn nicht als Vollmitglieder, so doch als eng angebundene Partner in einer Zoll- und Wirtschaftsunion: die Türkei und die Ukraine. Weitere 14 Länder, darunter die nordafrikanischen Maghrebstaaten Marokko, Tunesien, Algerien und Libyen, dann Ägypten, Israel, die besetzten palästinensischen Gebiete, Syrien, Irak, Libanon und Jordanien sowie Aserbaidschan, Armenien und Weißrussland sollten in abgestufte Partnerschaftsbeziehungen an die EU angebunden werden und zu ihrem Einflussgebiet und ihrer vorgelagerten Peripherie werden. Das sind eindeutig geopolitische Zielsetzungen. Die EU veröffentliche diese Zielsetzungen 2004 allerdings unter dem verbrämenden Titel „Nachbarschaftspolitik“. Das Wort „Geopolitik“ benutzen die EU und ihre Mitgliedsregierungen lediglich als Vorwurf an Russland.

Als dritte Deeskalationsmaßnahme sollten die westlichen Staaten die Auszahlung ihrer versprochenen Kredite an Kiew in Höhe von 27 Mrd. US-Dollar bis zum Jahr 2019 abhängig machen von der konkreten Umsetzung der bereits im Sommer 2014 von der Regierung in Kiew zugesagten Reformen. Vordringlich ist dabei eine Verfassungsgarantie für sprachliche und sonstige Minderheitenrechte sowie eine Dezentralisierung des Landes, die den Provinzen mehr Kompetenzen gibt. Letzteres ist keineswegs nur eine Forderung, die in den ostukrainischen Provinzen mit einem hohen russischstämmigen Bevölkerungsanteil erhoben wird, sondern auch in westlichen Regionen des Landes.

mehr:
- Ukrainekonflikt und kein Ende? (Andreas Zumach, Berliner Republik 4/15)

Die Anstalt - Tatsachenanalyse zu ISIS und RUSSLAND - auf den Punkt gebracht - September 2014 [26:14]

Veröffentlicht am 30.09.2014
Geschichte der Politik des Westens im Mittleren und Nahen Osten und die aktuelle Russland-Politik. Schade und sehr bezeichnend, wenn man Wahrheiten in unseren deutschen Medien fast nur noch von Kabarettisten zu hören bekommt. Wo ist der journalistische Ehrgeiz geblieben? Gab es ihn überhaupt in der deutschen Medienlandschaft, wurde er jemals zugelassen? Armes Deutschland!

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