Dienstag, 13. September 2005

Ersatzfamilie in der Kids-Küche

Organisationen wie die „Berliner Tafel” bieten warme Mahlzeiten für Kinder aus armen Familien oder schwierigen Verhältnissen. Der Bedarf ist erschreckend hoch.

Mittagszeit im Jugendzentrum „Arche” in Hellersdorf, der tristen Plattenbausiedlung im Osten Berlins. Schulranzen und Jacken fliegen mit Karacho in die Ecke, an der kleinen Essensausgabe drängeln sich die Kids um einen Teller deftigen Eintopf. Noch schnell ein Gebet, dann wird gegessen, gequatscht und herumgealbert. Mehr als 170 Kinder holen sich hier täglich eine kostenlose warme Mahlzeit ab. Für viele ist es das erste Essen an diesem Tag für einige wird es das einzige bleiben. „Hier in Hellersdorf bekommt nur jedes dritte Kind ab und zu in der Woche eine warme Mahlzeit”, weiß Pastor Bernd Siggelkow, der die „Kids-Küche” vor drei Jahren gründete. Seitdem hat sich die Zahl der kleinen Besucher verachtfacht. Die Arche ist für sie Ersatzküche und vielleicht auch ein wenig Ersatzfamilie, weil zu Hause niemand Zeit, Geld oder Lust zum Kochen hat. „Arbeitslosigkeit, Verschuldung, Alkoholismus: Die familiären Hintergründe der Kinder sind zum Teil dramatisch”, sagt Siggelkow.
In Berlin versorgen derzeit vier Einrichtungen gezielt Kinder und Jugendliche mit Essen, in anderen Städten gibt es ähnliche. Viele von ihnen organisieren die Mahlzeiten über Vereine wie die Berliner Tafel. Deren 200 ehrenamtliche Helfer sammeln bei Supermärkten, Bäckereien oder Restaurants überzählige Lebensmittel ein und geben sie an Bedürftige weiter. Die Berliner Tafel bietet nicht nur Mahlzeiten für täglich 15.000 Menschen, sondern verteilt zusätzlich für 20 Cent Frühstückspakete mit Käsebrötchen, Apfel und Safttüte an 14 Grundschulen. „Die Essensversorgung bei Kindern hat sich in den vergangenen Jahren drastisch verschlechtert”, sagt Tafel-Vorsitzende Sabine Werth. „Ein Viertel unserer Essen geht an Kinder.”
Solche Zahlen zeigen das Ausmaß der Kinderarmut in Deutschland. Laut Kinderschutzbund leben mehr als eine Million Kinder von Sozialhilfe. Bei den unter Siebenjährigen hat sich die Zahl der Sozialhilfeempfänger in den letzten Jahren verdreifacht. „Tauchen Probleme wie Arbeitslosigkeit auf, dann verlieren manche Eltern ihre Kinder aus dem Blick”, so Gabriele Wichert, Geschäftsführerin des Kinderschutzbundes. „Immer öfter fällt das gemeinsame Essen aus, und damit eine wichtige Gelegenheit zum Reden.” Deshalb sollten Suppenküchen die Kinder nicht einfach nur schnell abfüttern, sondern ein Ort sein, an dem sich die kleinen Besucher wohlfühlen, Ansprechpartner finden und spielen können.
aus Greenpeace Magazin 6/2004

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