Donnerstag, 1. März 2007

Stinkige Psychotherapeuten oder Über den Wert von BSG-Urteilen

Am 25.8.1999 gab es ein Urteil des Bundessozialgerichts (BSG, Az B 6 KA 14/98 R), wonach die Leistungen eines Psychotherapeuten durch die Kassenärztliche Vereinigungen mit einem Punktwert von mindestens 10 Pfennigen zu vergüten sind. (Zum Nachrechnen: Für eine Sitzung erhält der Therapeut 1450 Punkte = 145 DM = 74,14 €) Der damals über die Klagen von Psychotherapeuten entscheidende Richter machte eine Art „Sicherheitsberechnung“: Er verglich die Psychotherapeuten mit den Haus- und den Nervenärzten und gab das Ziel vor, ein Psychotherapeut solle maximal so viel verdienen können, wie ein durchschnittlicher Verdiener aus der Vergleichsgruppe.

Dieses Urteil wurde jedoch nicht in die Tat umgesetzt: die Psychotherapeuten bekamen weiterhin zu wenig Geld. Der Bewertungsausschuß der Kassenärztlichen Bundesvereinigung hatte nämlich die vom Bundessozialrichter zugrundegelegten Berechnungen nachgerechnet. Die Berechnungsformeln wurden mit angeblich realistischeren Zahlen gefüttert und ergaben – wen wundert’s – niedrigere Punktwerte.

Dagegen klagten wieder die Psychotherapeuten und bekamen im nächsten Urteil des BSG wieder Recht. Mit seinem Urteil vom 28.1.2004 [Az: B 6 KA 53/03 R und B 6 KA 52/03 R] blieb das BSG „damit auf der Linie seiner Urteile von 1999 und bestätigte außerdem die Urteile der vorherigen Instanzen. Diese hatten, wie z.B. das Sozialgericht München, befunden, daß das pflichtgemäße Ermessen, das dem Bewertungsbeschluß nach § 85 Absatz 4, SGB V auferlegt ist, fehlerhaft, wenn nicht sogar grob fehlerhaft ausgeübt wurde. Verschiedene Landessozialgerichte hatten geurteilt, daß die Berechnungsmethodik des Bewertungsausschusses fehlerhaft und es nicht nachvollziehbar sei, warum der Bewertungsausschuß nicht der gerichtlich vorgegebenen Modellrechnung des BSG aus dem Jahre 1999 gefolgt sei. Die komplizierten Berechnungen des Bewertungsausschuß würden auf dem falschen Bezugsjahr 1998 aufbauen und seien überdies in sich widersprüchlich.“ [Zitat aus der Pressemitteilung 04/2 des Bundesverbandes der Vertragspsychotherapeuten (bvvp)] Man lasse sich die Worte „grob fehlerhaftes Ausüben des pflichtgemäßen Ermessens“, „fehlerhafte Berechnungsmethodik“, „falsches Bezugsjahr“, „widersprüchliche Berechnungen“ und „der gerichtlichen Modellrechnung des BSG nicht gefolgt“ auf der Netzhaut zergehen.

Jetzt würde es lustig werden, wenn’s nicht so traurig wäre: Die Psychotherapeuten haben also Geld nachgezahlt bekommen. Wäre ja auch noch schöner. Das Gericht sagte: „Wir haben 99 geurteilt, Ihr seid den Verpflichtungen nicht nachgekommen, jetzt müßt Ihr nachzahlen.“ Soweit so gut, aber nur diejenigen Therapeuten bekamen die Nachzahlungen, die auch in schöner Regelmäßigkeit Widerspruch gegen die Quartalsabrechnungen eingelegt hatten. D.h. diejenigen Abrechnungen, denen ein Therapeut nicht widersprochen hatte, waren rechtskräftig geworden.

Und es kommt noch besser: In der Begründung zum BSG-Urteil aus dem Jahr 1999 wurde der Satz, die Vergütung dürfe nur kurzfristig und nur geringfügig unter die 10-Pfennig-Grenze sinken, wie folgt präzisiert: „kurzfristig“ heißt „für ein Quartal“ und „nicht wesentlich“ heißt „nicht unter 9,25 Pfennige“ [aus der Stellungnahme des bvvp-Vorsitzenden Norbert Bowe vom 4.12.99]. Wenn man sich nun die Quartale 1/2005 bis 3/2006 ansieht, so liegt in vieren dieser sieben Quartale der Punktwert, den die Kassenärztliche Vereinigung Niedersachsen zahlt, wieder unter 10 Pfennigen. Herzlichen Glückwunsch, die Herren wissen, was sie sich leisten können!

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