Schon als Vandana Shiva ein kleines Mädchen war, lernte sie von ihren Eltern, die Natur zu lieben und zu achten. Schon Mutter und Vater haben als Bauern und Waldhüter gearbeitet und ihre sichere Stellung in der Schule und beim Militär aufgegeben. Die Familie ist nicht ganz arm, und die junge Vandana Shiva erhält eine Chance, die die wenigsten indischen Jugendlichen erhalten: Sie darf im fernen Kanada Physik studieren und meistert die wissenschaftlichen Herausforderungen mit Bravour. Gerade 30 Jahre alt und ihrer Forscherkarriere schon sicher, besinnt sich Vandana Shiva auf ihre Wurzeln und kehrt – mit einem Doktortitel in der Tasche – nach Indien zurück. In ihrer Heimatstadt Dehradun gründet sie das unabhängige Institut für Forschung, Wissenschaft, Technologie und Ökologie – im ehemaligen Kuhstall ihrer Mutter. Zusammen mit Frauen aus der indigenen Bevölkerung gründet Vandana Shiva die erste Umweltvereinigung des Landes, die Chipko-Bewegung. Die unbelesenen Bäuerinnen werden berühmt, weil sie von Rodung bedrohte Bäume umarmen. Sie weichen nicht im Angesicht der Bulldozer. Die Bilder gehen um die Welt, die Aktion findet überall Nachahmung. Die Umarmung der Bäume, eine Liebeserklärung an die Natur, soll den Raubbau stoppen und wird zum Hoffnungssymbol für eine immer stärker bedrohte Erde. Aus dieser grundlegenden Erfahrung heraus entwickelt Vandana Shiva seither ihre Theorien des Ökofeminismus und der Erddemokratie, über die die mittlerweile schon berühmte Aktivistin bis heute viele Bücher geschrieben hat. Zusammen mit den Chipko-Frauen sammelt Vandana Shiva seltene Saatgutarten in den Bergregionen Indiens und untersucht sie in ihrem Institut. Die Ergebnisse sind verblüffend: Roter Reis etwa hat viel mehr Vitamine als industriell vermarktete Sorten der Agroindustrie. An diesem Punkt entwickelt sich Vandana Shiva von der Umweltschützerin zur Konzern- und Globalisierungskritikerin. Erfolgreich bekämpft sie die Patentierung von Saatgut und unterstützt internationale Kampagnen gegen gentechnisch veränderte Lebensmittel.
Schnell erwirbt sich Vandana Shiva internationale Anerkennung und wird zuverlässige Beraterin vieler wichtiger Organisationen wie des Weltzukunftsrates oder der Welternährungsorganisation (FAO). Und: Vandana Shivas Arbeit findet einen breiten öffentlichen Zuspruch. Die Vereinten Nationen verleihen ihr den Global-500-Award, das Time-Magazine kürt sie zur Umweltheldin, 2003 erhält sie den Alternativen Nobelpreis, zwei Jahre später wird sie für den offiziellen Friedensnobelpreis nominiert. Aktuell hat sie den Blue-Planet-Award der Stiftung Ethecon erhalten (siehe Kasten).
Doch all diese Auszeichnungen beeindrucken die engagierte Kämpferin nur wenig, solange noch Menschen Hunger leiden. Hart geht sie mit den Unternehmen der Agroindustrie ins Gericht. »Sie pressen unseren Bauern Lizenzgebühren ab, Geld für patentierte Samen, Dünger und Pestizide«, kritisiert Vandana Shiva, die darauf setzt, dass Menschen auf der ganzen Welt gegen diese Ungerechtigkeit gemeinsam vorgehen. »Die Bedürfnisse der Menschen müssen im Mittelpunkt wirtschaftlichen Handelns stehen und nicht die Profite der Konzerne«, so lautet das Credo einer großen Frau, die nicht aufhört, die Bäume zu umarmen, solange sie noch stehen.
• HUBERT OSTENDORF
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Die Welt für unsere Kinder retten
Ethecon wurde 2004 von zwei älteren Menschen gegründet, die sich einfach nicht damit abfinden können, der nächsten Generation den Planeten in einem Zustand am Rande des Kollapses zu hinterlassen. Auch nach ihrem eigenen Tod soll, so die Idee den Kindern und Enkeln eine starke Stiftung im Engagement für Frieden, Gerechtigkeit und Ökologie zur Seite stehen. Zu den beiden Gründungsstiftern sind mittlerweile fünf Zustifter und 58 Fördermitglieder hinzugekommen, das Stiftungskapital liegt bereits bei 499 000 Euro – 5 Millionen werden mittelfristig angestrebt.
Ethecon – Stiftung Ethik & Ökonomie, Akeleiweg 7, 12487 Berlin, E-Mail: Info@ethecon.org, Internet: www.ethecon.org, Spendenkonto: GLS-Bank 8023314500, BLZ 43060967
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Wir haben den roten Reis gefunden
ALLE MACHEN PROFIT, UND MEINE LANDSLEUTE VERHUNGERN DABEI. PROVO SPRACH MIT VANDANA SHIVA
PROVO: Vandana Shiva, Sie haben immer wieder den Hunger in der Welt angeprangert.
VANDANA SHIVA: Der Hunger kommt in den Ländern des Südens ausgerechnet in bäuerlichen Gegenden vermehrt vor, also dort, wo Menschen Nahrungsmittel anbauen. Das ist doch absurd. Wie kann es sein, dass Bauern, die Nahrung anbauen, Hunger leiden? Sie geraten in eine Lage, die es ihnen nicht ermöglicht, ihre eigenen Nahrungsmittel für sich und ihre Familien zu behalten. Die Ursachen liegen in der Abhängigkeit von Saatgut, Düngemitteln und Pestiziden, die die Konzerne der Agroindustrie ihnen für teures Geld verkaufen. Dies führt nicht nur zu Hunger, sondern auch zur Zerstörung der Natur. Tausende von Bauern bringen sich selbst um, weil die Schuldenlast sie erdrückt. Ich weiß auch von einigen, die ihre Frau oder Kinder verkauft haben, andere haben eine Niere verkauft.
PROVO: Manche sagen, die Gentechnik könne den Hunger bekämpfen.
VANDANA SHIVA: Das ist falsch. Allerdings wurde die Biotechnologie sogar auf dem offiziellen Welternährungsgipfel der Vereinten Nationen in Rom 2002 als Wunderwaffe gegen den Hunger propagiert. In Wahrheit dient sie nur dem Geschäft von Nahrungsmittelkonzernen wie Monsanto und Nestlé.
PROVO: Was spricht denn gegen die Biotechnologie?
VANDANA SHIVA: Die Biotechnologie bietet überhaupt keinen Ansatzpunkt gegen den Hunger in der Welt. Es wird etwa behauptet, dadurch käme es zu höheren Erträgen in der Landwirtschaft. Das ist einfach falsch. Gentechnisch veränderte Nutzpflanzen verbessern nirgendwo in der Welt die Ernten der Bauern und bringen die Kleinbauern in eine wirtschaftliche Abhängigkeit von den Konzernen. Eine Greenpeace-Studie über die Landwirtschaft in Argentinien beweist sogar, dass die Ernteerträge durch Gentechnik geringer werden. Gleichzeitig steigt aber der Verbrauch an gefährlichen Pestiziden und teuren Düngemitteln.
PROVO: Also alles nur eine Frage des Profits?
VANDANA SHIVA: Ja, leider. Die armen Länder sind ein riesiger Absatzmarkt für die Produkte der Agroindustrie, der größte der Welt. Die Konzerne pressen unseren Bauern Lizenzgebühren ab, Geld für patentierte Samen, Dünger und Pestizide. Gleichzeitig bestimmen die Weltbank und der Internationale Währungsfonds die Bedingungen für den Außenhandel. Die indische Bevölkerung etwa bezahlt für das eigene Getreide doppelt so viel wie die Exporteure Also verhungern meine Landsleute, weil ihnen die Nahrungsmittel verwehrt werden, die sie selbst produzieren.
PROVO: Was muss geschehen?
VANDANA SHIVA: Die Regierungen des Nordens sollten dafür sorgen, dass die Konzerne sich aus der Nahrungsmittelproduktion heraushalten. Außerdem müssen wir verhindern, dass diese Unternehmen gentechnische Pflanzen anbauen. Sie tun dies oft ohne rechtliche Regelungen und schaffen damit Tatsachen. Wie brauchen ein neues System der Nachhaltigkeit. Schlüsselfragen müssen sein: Wie nutzt man den Boden am besten, was ist am gesündesten, was ist gerecht, wie nutzen wir die Artenvielfalt am besten?
PROVO: Gutes Stichwort: Artenvielfalt ist sozusagen das Credo Ihrer Bewegung »Navdanya«? VANDANA SHIVA: Genau. Wir sammeln Saatgut in den Bergregionen Indiens, wo wir zum Beispiel roten Reis gefunden haben. Mein erster Gedanke war, wenn er rot ist, muss er viel Eisen oder Betacarotin enthalten. Ich ging also ins Labor und stellte tatsächlich fest, dass der rote Reis extrem viel mehr Vitamine und Eisen enthält als Gen-Reis.
PROVO: Aber das ist nur ein Beispiel …
VANDANA SHIVA: … das sich übertragen lässt. Ökologie in der Landwirtschaft vor allem in der Dritten Welt ist das Ziel von Navdanya. Wildkräuter eignen sich zudem zur Bekämpfung von Krankheiten. Hinzu kommt: Mit angestammten Arten lassen sich faire Bedingungen des Handels aufbauen.
PROVO: Ein besonderes Problem ist die Privatisierung.
VANDANA SHIVA: Nehmen Sie zum Beispiel das Wasser. Da, wo das Wasser von großen Konzernen privatisiert wurde, ist es um das Zehnfache teurer geworden Und diese horrenden Summen lassen sich über die von der Weltbank diktierten Dumping-Erträge nicht wieder einfahren. Hinzu kommt, dass das ganze ungerechte System auch noch mit öffentlichen Mitteln subventioniert wird. Wir müssen unbedingt dafür kämpfen, dass dieses öffentliche Geld, also unser Geld, in die ökologische Landwirtschaft der Kleinbauern fließt. Außerdem hoffe ich, dass die europäische Bevölkerung sich gegen die Einfuhr gentechnisch belasteter Nahrungsmittel zur Wehr setzen wird.
Die Fragen stellte Hubert Ostendorf
aus der Jugend-Beilage »Provo«, enthalten in Publik-Forum Nr. 3•2008
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