Donnerstag, 11. Juni 2015

Ein westlicher Wert: Habeas Corpus

Habeas Corpus (lateinisch „du sollst den Körper haben“) waren die einleitenden Worte von Haftbefehlen im Mittelalter. Zu Beginn der Neuzeit waren die Worte ein Begriff für Verhaftung.[1] Durch den Habeas Corpus Act in England wurde aus den beiden Worten ein Begriff für das Recht Verhafteter auf unverzügliche Haftprüfung vor Gericht.[2] Lange nach der Magna Cartaund kurz vor der Bill of Rights war dieses Gesetz im Jahr 1679 ein historischer Schritt zum Rechtsstaat.
In England missbrauchte Karl I. dieses mächtige Instrument, indem er von wohlhabenden Bürgern Zahlungen erpresste mit der Androhung, sie bei Verweigerung der Zahlungen einsperren zu lassen. Trotz der 1628 durch das Parlament gegen diese Praxis erlassenen Petition of Right verfiel der König bald wieder darauf. 1641 musste Karl, der wegen eines Aufstands von Schotten und Iren in Geldnot war, einem neuerlichen Erlass des Parlaments zustimmen, der Verhaftungen nur noch mit angemessener Begründung zuließ. Nach dem englischen Bürgerkrieg (1642–1649), der in der Hinrichtung Karls I. gipfelte, und dem Commonwealth-Regime unter Oliver Cromwell (1649–1660) kam Karl II. an die Macht. Auch dieser König griff bald wieder die Praxis der willkürlichen Festnahmen auf, wobei er Gegner zumeist in Gebiete außerhalb Englands bringen ließ, in denen diese Einschränkungen nicht galten. Am 27. Mai 1679, während einer Schwächeperiode seiner Herrschaft, sah sich Karl II. gezwungen, den Habeas Corpus Amendment Act zu unterzeichnen, der eine Verschärfung der bisherigen Regelung bedeutete. Inhaftierte mussten nun innerhalb von drei Tagen einem Richter vorgeführt werden und durften unter keinen Umständen außer Landes gebracht werden. Um dem Habeas Corpus Act größeres Gewicht zu verleihen, wurden Beamte für den Fall der Missachtung mit empfindlichen Geldstrafen bedroht.
Die Europäische Menschenrechtskonvention stuft das Recht auf Schutz vor willkürlicher Inhaftierung in Artikel 5 als Menschenrecht ein. Insbesondere ist die Praxis des Verschwindenlassens von Personen (engl. Forced Disappearance) im so genannten Rom-Statut völkerrechtlich als Verbrechen gegen die Menschlichkeit definiert. Es bildet damit eine Rechtsnorm für die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs in Den Haag. […]
In der Verfassung der USA wurde 1789 festgeschrieben, dass das Recht auf richterliche Haftprüfung nur im Falle eines Aufstandes oder einer Invasion vorübergehend ausgesetzt werden kann, wenn die öffentliche Sicherheit dies erfordert. Abraham Lincoln machte während des Sezessionskrieges davon Gebrauch, um Südstaatensoldaten auch ohne den Nachweis konkreter Gewaltakte als Kriegsgefangene festhalten zu können. Im Jahre 2006 wurde dieses Recht für als „ungesetzliche Kombattanten“ eingestufte Nicht-US-Bürger durch den Kongress abgeschafft, wobei diese Einstufung im freien Ermessen der Regierungsbehörden lag und kein Einspruch dagegen möglich war.[6] Die Abschaffung erfolgte vor dem Hintergrund, den Häftlingen von Guantánamo eine gerichtliche Rechtsprüfung ihrer Inhaftierung zu verweigern, betraf allerdings potentiell sämtliche Ausländer. Nachdem der Versuch einer Wiedereinführung 2007 bereits im Senat scheiterte, wurde die Regelung am 12. Juni 2008 vom Supreme Court in der Entscheidung Boumediene v. Bush für verfassungswidrig erklärt, so dass auch terrorverdächtigen Ausländern das Recht zusteht, vor zivilen Gerichten die Rechtmäßigkeit ihrer Inhaftierung prüfen zu lassen.[7][…]
Am 31. Dezember 2011 unterzeichnete Präsident Barack Obama das Nationale Verteidigungsbevollmächtigungsgesetz für das Fiskaljahr 2012 (NDAA) „mit ernsthaften Bedenken“.[8] Es erlaubt die Festnahme von Personen unter Terrorverdacht durch das Militär und eine Haft unbegrenzter Dauer in Militärgefängnissen ohne Gerichtsverfahren, Rechtsbeistand oder Berufungsmöglichkeit. Eine Verbringung ins Ausland oder die Übergabe an ausländische Rechtsträger ist möglich. Festnahmen auf dem Boden der USA sowie von US-amerikanischen Bürgern sollen durch nicht-militärische Kräfte erfolgen. Neben zahlreichen nationalen und internationalen Medien[9][10][11][12][13][14][15] kritisieren unter anderem die Amerikanische Bürgerrechtsunion[16] sowie die US-amerikanische Sektion von Amnesty International[17] das Gesetz scharf.[Habeas Corpus, Wikipedia]
siehe auch:
- Boumediene v. Bush (Wikipedia)

Magna Carta - Robin Hood 2010 [2:58]

Veröffentlicht am 21.09.2014
This three minute clip from the movie Robin Hood is provided purely as an educational resource. This clip was taken from the 2010 version of Robin Hood. While the film is not historically accurate, the speech by Robin Hood (played by Russel Crowe) does convey these significant ideas presented by the Magna Carta: limitations of the power of a king and the ideals of liberty.

Keith Olbermann on the Death of Habeas Corpus [8:59]

Hochgeladen am 18.10.2006
Keith Olbermann's commentary on the President, and the signing of the bill stripping the writ of habeas corpus from american citizens.
- Noam Chomsky on the shredding of our fundamental rights and the common good (Alternet, 10.06.2012)
- Was machen wir mit den Terroristen? (Louis Begley, Die Welt, 09.02.2002)


Besonders offensichtlich ist die besondere Wertschätzung der Schutzinstrumente und - mechanismen, die die meisten europäischen und nordamerikanischen Staaten im Kampf gegen den Terror aktiviert haben. Dieser Vorrangigkeit der Sicherheit von Bürgern und politischen Institutionen wird die hochgeschätzte individuelle Freiheit untergeordnet, wie Ronald Dworkin schon bald nach den Attentaten die zukünftige Entwicklung antizipierte. Diese augenscheinlichste Veränderung in der Wertehierarchie des Politikverständnisses stellt nur einen kleinen Teilbereich der eigentlichen Umwälzungen dar. Die konkreten Formen und die vermeintlichen Ursprünge der politischen Gewalt des neuen internationalen Terrorismus haben noch weitgehend unbemerkt zu einer nachhaltigen Modifikation unserer Auffassung von politischer Ordnung geführt.
Die Debatten und die politischen Reaktionen auf den internationalen Terrorismus sind selbst in besonderer Weise in dessen Wesen und Funktionsweise verschränkt. Das vom Terror bewusst intendierte Gefühl der Verletztheit und der Verletzbarkeit von Menschen hat Auswirkungen auch auf deren Denken und Handeln selbst – und dies betrifft auch institutionelle Prozesse.
So antworten die Staaten auf die spezifische Form der hyperbolischen und alle ethischen Regeln sprengenden terroristischen Gewalt mit neuen Gewaltformen und – institutionen (vgl. das Gefangenenlager von Guantanamo, die willkürlichen Entführungen durch CIA-Beamte, die neuen Überwachungsregelungen in Deutschland etc.). Diese neuen staatlichen Gewaltformen und – institutionen entsprechen einem veränderten Verständnis der Ausübung des staatlichen Gewaltmonopols. Der erklärte ‚Krieg gegen den Terror’ nimmt keine Rücksicht darauf, dass die klassische Definition des Krieges als Gewalthandlung zwischen zwei oder mehr quasistaatlichen Kollektiven ein solches Vorhaben nicht zulässt. Die Kriegserklärung suggeriert, dass gewisse im Krieg scheinbar legitime Gewaltpraktiken möglich sind.
Eine ebenfalls bedeutende Verschiebung im Begriff politischer Gewalt betrifft das Verhältnis von Täter und Opfer. Die das Opfer willkürlich und allein der öffentlichen Wirkung gemäß auswählende Gewalttat der Terroristen findet eine Entsprechung in der Auffassung staatlicher Gewalt als vor allem und einzig dem Zweck des Schutzes des Gemeinwesens verpflichtete. (In der politischen Praxis zeigt sich dies zum Beispiel in den Bemühungen um das Gesetz zum Abschuss von zivilen Linienjets.) Hierbei treten die Menschen- und Grundrechte oft in den Hintergrund und die habeas corpus – Rechte werden missachtet. ( Alfred Hirsch, Gewaltformen, Vorbemerkungen zu einigen Gewaltformen des Terrorismus, Arbeitsgemeinschaft für Friedens- und Konfliktforschung, April 2008)
siehe auch:
- Die Welt ist in einer prekären Schieflage (Guido Kalberer, Tagesanzeiger.ch, 07.12.2013)
Peter Sloterdijk bezeichnet in seinem neuen Essay Europa als Unterhaltungsgemeinschaft und die USA als Kampfgemeinschaft. Beides seien Formen der Selbstzerstörung.
- „In Europa läuft was schief“ (Michael Kluger, Frankfurter Neue Presse, 17.06.2013)
In seiner fulminanten Dankrede beschwor der Karlsruher Großgeist ein tiefes Unbehagen am Zustand Europas und Amerikas - und plädierte für eine neue offensive Gemeinsamkeit.
Zitat:
„Das europäische Projekt steht vor dem Zerfall“, warnte Sloterdijk. „In Europa laufen die Dinge seit einiger Zeit auf unheimliche Weise schief.“ Politik sei nur noch ein „Reparaturbetrieb“ für vorausgegangene Fehler. Er verglich Europa mit einem lethargisch-schläfrigen Urlaubscamp in Österreich nach fünf Wochen Regen. Die Europäer sollten sich indes weigern, bloß „Zuschauer dieses Endspiels zu sein“, so der Philosoph. Auf ebenso unheimliche Weise laufe in den USA etwas schief, sagte Sloterdijk. Der „maximale Stress“ der Amerikaner nach den Anschlägen von 9/11 habe die Welt in ein riesiges Schlachtfeld verwandelt. Der reflexhafte „Krieg gegen den Terror“ führe zu einer schleichenden „Selbstvergiftung“ der Demokratie, bis hinein in die globale Sprache: In Erdogans Rhetorik mutierten türkische Demonstranten leichthin zu „Terroristen“.

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