Sonntag, 18. Oktober 2015

Analyse zur "Datenhehlerei": Gefährliches U-Boot im Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung

Justizminister Heiko Maas legt ein Gesetz vor, das unvorhersehbare Auswirkungen auf alle Lebensbereiche haben würde, in denen abhanden gekommene Daten eine Rolle spielen. Vor allem der investigative Journalismus ist gefährdet, findet Ulf Buermeyer.

Demokratie funktioniert nur mit einer freien Presse, die Unternehmen und den anderen demokratischen Institutionen auf die Finger schaut. Das geht manchmal nur mit geleakten Informationen. Ein Beispiel: Ein Ministerialbeamter stellt haarsträubende Rechtsverletzungen in seinem Haus fest. Er wendet sich vertrauensvoll an eine Journalistin, die frei für ein Nachrichtenmagazin arbeitet, und schickt ihr eine PDF-Datei, aus der dieser Sachverhalt hervorgeht. Die Journalistin wiederum gibt die Datei mit weiteren Recherchen an den Redakteur ihres Magazins weiter. Derzeit kann der Redakteur diese Informationen völlig legal veröffentlichen, denn es gibt kein Strafgesetz, das sein Handeln unter Strafe stellt.

Das Bundesministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat jüngst allerdings den Entwurf eines neuen Straftatbestands vorgelegt, der den Namen "Datenhehlerei" tragen soll. Und diese "Datenhehlerei" soll nach der Vorstellung der Großen Koalition begehen, wer irgendwelche Daten, die jemand anderes auf rechtswidrige Weise erlangt hat, sich verschafft oder sie "einem anderen überlässt, verbreitet oder sonst zugänglich macht".

Wenn der Redakteur aus dem Beispiel sich das PDF also verschafft, indem er es auf einen USB-Stick kopiert, erfüllt er schon den Tatbestand, denn die Journalistin hat die PDF-Datei durch eine rechtswidrige Tat des Ministerialbeamten erlangt, nämlich zumindest die Verletzung des Dienstgeheimnisses. Es genügt also schon ein im Journalismus alltägliches Dreiecksverhältnis, und schon könnte der Redakteur "dran" sein.

Der Redakteur müsste nun nur noch handeln, um sich oder einen anderen zu bereichern, aber auch das stellt keine wirkliche Hürde dar, denn hier würde etwa eine Gehaltserhöhung wegen des Scoops für ihn selbst oder eine Umsatzsteigerung für seinen Verlag ausreichen. Als Strafmaß steht eine Geldstrafe oder eine Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren im Raum – und das halbherzige Presse-Privileg, das das neue Gesetz nach einiger Kritik inzwischen vorsieht, wird Journalisten in vielen Fällen auch nicht schützen können.

mehr:
- Analyse zur "Datenhehlerei":Gefährliches U-Boot im Entwurf zur Vorratsdatenspeicherung (Ulf Buermeyer, heise News, 09.10.2015)

siehe auch:
- EU-Datenschützer setzen Ultimatum für Safe Harbor 2.0 (Christian Schulzki-Haddouti, heise News, 17.10.2015)
- Vorratsdatenspeicherung gefährdet Pressefreiheit: Enttarnt durch Metadaten (Daniel Mossbrucker, Cicero, 23.09.2015)
Quellenschutz ist kein persönliches Privileg von Journalisten, sondern essenziell für das Funktionieren einer Demokratie. In den wegweisenden Urteilen zur „Spiegel“- und zur „Cicero“-Affäre hat das Bundesverfassungsgericht dies bekräftigt und den publizistischen Informantenschutz gestärkt. Journalisten müssen ihren Quellen Anonymität zusichern können, betonten die Richter, um sensible Informationen zu erhalten. Nur so sei kritische Berichterstattung möglich. Journalisten dürfen vor Gericht daher die Aussage verweigern, Redaktionsräume sind für Durchsuchungen tabu.

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