Montag, 16. Januar 2017

"Das Café der Existenzialisten": Genug dekonstruiert!

Es geht wieder um das Leben, wie es ist: Sarah Bakewell führt eloquent durch "Das Café der Existenzialisten".

Nachdem Jean-Paul Sartre am 15. April 1980 gestorben und, begleitet von einer riesigen Menschenmenge, auf dem Friedhof Montparnasse begraben worden war, blieben vom Existenzialismus nur noch ein paar zerlesene dunkelrote rororo-Bändchen in der zweiten Regalreihe und ein schlechtes Gewissen, weil man Sartres Das Sein und das Nichts noch immer nicht zu Ende gelesen hatte. Das existenzialistische Zeitalter war vorbei. In den Pariser Hörsälen sprach man lieber über die Dispositive der Macht als über die Freiheit des Menschen. Jean-Paul Sartre, Albert Camus, Maurice Merleau-Ponty und Simone de Beauvoir waren abgelöst durch Michel Foucault, Roland Barthes, Claude Lévi-Strauss und Jacques Derrida. Und keine Brücke führte vom Existenzialismus der einen zum Poststrukturalismus der anderen. Die großen Worte aus der Camus-und-Sartre-Welt – Gleichgültigkeit, Ekel, Revolte, Absurdität, Verantwortung für die eigene Existenz – hatten ihr Gewicht verloren und waren zu einem Spiel aus Zeichen geworden, dessen Spielleiter anonym blieb. Die französische Philosophie arbeitete an der Dekonstruktion des Menschen. Die französische Literatur experimentierte mit unpersönlichen Erzählhaltungen. Drei Jahre nach Sartres Tod fragte Jacques Derrida voller Missachtung: "Was für eine Gesellschaft muss die unsrige sein, damit so ein Mann derart die kulturelle Szene beherrschen und sogar zu einer Berühmtheit werden kann?" Und Jean Baudrillard tat sich mit der Erkenntnis hervor, dass niemand mehr "die existenzialistischen Hinterlassenschaften" benötige, denn "wer sorgt sich heute um die Freiheit, um Unaufrichtigkeit und Authentizität?"

Doch auch das ging vorüber. Der Poststrukturalismus hat seinerseits seine beste Zeit hinter sich. Erschöpft von endlosen Dekonstruktionen und Fiktionalisierungen, sucht das philosophische Denken im Augenblick nach neuen Perspektiven und nach neuerlichem Bodenkontakt.

mehr:
- "Das Café der Existenzialisten": Genug dekonstruiert! (Iris Radisch, ZON, 12.01.2017)

Foucault gegen Foucault - Arte -Doku {53:18}

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Veröffentlicht am 06.02.2015
Mit seinen desillusionierenden Gesellschaftsanalysen wurde Michel Foucault zu einem der bedeutendsten und umstrittensten Philosophen des 20. Jahrhunderts. Foucault starb vor 30 Jahren, am 25. Juni 1984, im Alter von 57 Jahren an Aids. Zum 30. Todestag zeigt ARTE ein Porträt, das Foucaults unglaublich vielseitiges, in nur 20 Jahren geschaffenes Werk sowie seine Zeit beleuchtet. Michel Foucault gilt als einer der wichtigsten Vertreter des französischen Strukturalismus. Seine Arbeiten, in denen er das Entstehen und die Mechanismen von Macht untersucht, und Schulen, Kasernen und Krankenhäuser mit Gefängnissen vergleicht, sorgten stets für Kontroversen. Zu seinen wichtigsten Werken zählen unter anderem „Wahnsinn und Gesellschaft“, „Die Ordnung der Dinge“, „Archäologie des Wissens“, „Überwachen und Strafen“ sowie seine großangelegte, dreiteilige Geschichte der Sexualität. Wie seine Schriften war auch der Mensch Foucault komplex und voller Widersprüche: einerseits ein politisch engagierter und streitbarer Freigeist und Aktivist des Mai 68, andererseits ein Gelehrter, der seinen Lehrstuhl für die Geschichte der Denksysteme (1970-1984) am Collège de France sehr ernst nahm und sich als zentrale Figur der Institution Universität verstand. Foucault war ein scharfsinniger und rebellischer Intellektueller, der sich sowohl im akademischen als auch im öffentlichen Raum einmischte; ein Mann seiner Zeit, der ein zeitloses Werk schuf und Maßstäbe setzte. Die Dokumentation beschreibt Foucaults philosophische Entwicklung, die nie linear verlief, sich oft selbst negierte, verschiedene Ansätze, Disziplinen und Forschungsgegenstände wählte, aber stets kohärent blieb. Er war Vertreter des Poststrukturalismus, Psychologe, Historiker, Soziologe und Begründer der Diskursanalyse. In 20-jähriger Arbeit entstand ein Gesamtwerk, dessen allgemein anerkannte Originalität wohl einzigartig ist. (Quelle: Arte.tv)

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