Donnerstag, 17. Januar 2019

„Chancengerechtigkeit“ im Neoliberalismus

„Chancengerechtigkeit“ ist ein Tarnbegriff der Eliten, um Schwächeren ihre Solidarität zu verweigern.

Natürlich sind wir Menschen nicht alle gleich, doch wir verdienen alle die gleichen Chancen. Unsere Gesellschaft basiert auf dem Gedanken, dass wir alle die gleichen Möglichkeiten haben, uns durch Bildung ein menschenwürdiges Leben aufzubauen. Dass dies in Wirklichkeit oft anders aussieht, wird nun einfach durch einen neuen Begriff gerechtfertigt, der seine brutale Wirkung bei den Abgehängten der Gesellschaft nicht verfehlt: Denn „Chancengerechtigkeit“ bedeutet, dass das Ergebnis gerecht, also selbst verschuldet ist.

Geben wir es gleich am Anfang zu: Der Begriff der „Chancengerechtigkeit“, der so zukunftsoffen und menschenfreundlich klingt, scheint eine durch und durch positive Vokabel zu sein, haushoch überlegen zum Beispiel dem kühleren Begriff der „Chancengleichheit“. Wieso also Misstrauen gegenüber diesem Begriff? Wieso Misstrauen gegenüber der Tatsache, dass vor allem die CDU, neben der FDP, die altvertraute „Chancengleichheit“ auszuwechseln versucht gegen die neue „Chancengerechtigkeit“?

Klar ist: Wo „Chancengleichheit“ vergleichsweise nüchtern im Ton objektiver Tatsachenfeststellung daherkommt, da setzt der Begriff der Chancengerechtigkeit von Beginn an ganz subjektiv auch auf einen Wärmeton. Gerechtigkeit, dieser Begriff ist assoziativ verbunden mit Recht, Rechtlichkeit, Rechtsstaat; für denjenigen, der christlich erzogen worden ist, mit einem gütigen Gott; und für die anderen, die eher an unsere Verfassung denken und deren Grundrechtekatalog, mit einem lauteren Staat.

Doch der Begriff der Chancengerechtigkeit täuscht nur ein Mehr an Wärme, Güte und Rechtlichkeit vor. In Wahrheit ist er ein erheblicher Rückschritt gegenüber dem Begriff der Chancengleichheit. Und: Beide Begriffe, der alte wie der neue, sind hochproblematische Propagandavokabeln.

Wieso?

Fangen wir mit der Differenz der beiden Begriffe an, mit dem suggestiven Vorsprung der Chancengerechtigkeit gegenüber der bloßen Chancengleichheit. Viele von uns haben es vermutlich schon häufiger erlebt: Der Begriff der Chancengleichheit stößt oft bereits beim ersten Äußern auf spontanen Widerspruch. „Menschen sind nicht gleich!“, heißt es da etwa, oder „Gleichmacherei!“.

mehr:
- Die Propaganda-Floskel (Holger Platta, Rubikon, 17.01.2019)

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