Die Mainstream-Medien schüren Kriegsstimmung gegen Russland, verbreiten Propaganda und erklären Russia Today zum „Feindsender“.
Aufklärung zu delegitimieren, ist eine ganz wesentliche Strategie im Medienkrieg. So erging es auch RT Deutsch, einem russischen Sender, der immer wieder mal blinde Flecken der üblichen westlichen Presseberichterstattung aufzeigt. Der Vorwurf, ausgerechnet diese Form der Gegenöffentlichkeit sei „Propaganda“, ist natürlich besonders peinlich, wenn sie von notorischen Kampfsendern des bellizistischen westlichen Establishments kommen — etwa dem ZDF, das unlängst durch besonders unsachliche Kriegshetze auffiel.
Es ist kurz vor vier Uhr morgens. Graue Leopard-Panzer mit Bundeswehr-Kreuz rattern in die Angriffsstellungen vor einem polnischen Dorf. Ihre Aufgabe — das Dorf „zurückzuerobern“. „Und wenn es niemand offen ausspricht“, sagt die Off-Stimme, es geht um die „Abschreckung Russlands“. Es ist Donnerstagabend, 22 Uhr in der Realwelt. Das Zweite Deutsche Fernsehen zeigt den Film „Alte Bündnisse — neue Bedrohungen“. Kurz davor hat Claus Kleber im heute journal erklärt, Russland habe den INF-Vertrag gebrochen und bei der Niederschlagung des Warschauer Aufstandes habe die Rote Armee dem deutschen Gemetzel „vom anderen Ufer der Weichsel“ tatenlos zugeschaut. Die Amerikaner und die Briten dagegen seien nur zu weit entfernt gewesen.
„Ich werfe keine Bomben, ich mache Filme“ — so hat einmal der große Rebell des deutschen Films Rainer Werner Fassbinder die Wirkung seiner Werke beschrieben. Das kann im Prinzip auf andere, profanere publizistische Genres übertragen werden. Ihren Produkten fehlt zwar die künstlerische Wucht und die revolutionäre Bildsprache einer „Sehnsucht der Veronika Voss“. Doch der stete mediale Tropfen entfaltet auf Dauer eine nicht geringere Sprengkraft. Allein schon durch die Masse und die Omnipräsenz. Insbesondere wenn kein Gegengewicht, kein Kontrapunkt, kein Perspektivwechsel gegeben ist.
Der Rote Platz. Eine Fallschirmjägerformation marschiert im Gleichschritt auf dem Bildschirm über das Steinpflaster, Marschmusik bläst, Putin schaut von der Gästetribüne zu, Xi Jinping an seiner Seite. „Russland beansprucht Territorium“, erläutert Peter Tauber, CDU, den Zusammenhang. „Und erstmals seit dem 2. Weltkrieg nimmt sich ein Land dieses Territorium mit Waffengewalt“. „Es gibt definitiv eine Bedrohung, die von Russland ausgeht“ — pflichtet ihm Obamas Sicherheitsberaterin Julianne Smith bei.
Niemand widerspricht. Niemand fragt, was das für eine „Waffengewalt“ ist, wenn kein Schuss fällt und die Bevölkerung mit den „Besatzern“ unbekümmert Selfies macht. Keiner bohrt bei Claus Kleber nach, warum etwa die NATO das russische Inspektionsangebot der kritischen Rakete vor Ort ausgeschlagen hat und was es mit der langen Reihe der jüngsten US-Waffensysteme auf sich hat, die aus russischer Sicht gegen den Vertrag verstoßen. Auch die Tragik des Warschauer Aufstandes und seiner grausamen Niederlage bleibt der zynischen Untätigkeit der Roten Armee angeheftet. Dabei ist historisch dokumentiert, dass die Aufständischen der Armia Krajowa einen gemeinsamen Waffengang mit der Roten Armee, der an ihrer Seite kämpfenden Wojsko Polskie und den Partisanen der Armia Ludowa von Anfang an ausgeschlossen hatten.
Als die Stoßspitzen der Roten Armee die Weichsel nach einem beispiellosen Vormarsch über 500 Kilometer in 5 Wochen erreicht hatten, waren sie abgekämpft, erschöpft und von den eigenen Nachschublinien getrennt. Ein Sturm der gut befestigten Stadt wäre ein operativer Wahnsinn gewesen. Ebenso ein Aufstand zu diesem Zeitpunkt. Doch genau dies geschah. Die Armia Krajowa wollte unbedingt der Sowjetarmee zuvorkommen — und das fatale Wettrennen endete in einem unfassbaren Blutbad. Das erfährt man nicht im ZDF.
Zurück im Film: Granaten gleiten in den Munitionsbunker einer Panzerhaubitze, dramatisch nah. Elektroantriebe summen, Patronenhülsen klacken. Die Bundeswehr-Brigade wird aufmunitioniert für ein „Gefecht hoher Intensität“. „Bündnis- und Landesverteidigung sind nicht mehr ein theoretisches Konstrukt“, heißt es aus dem Off, „sondern 74 Jahre nach dem Ende des 2. Weltkrieges auch für deutsche Soldaten wieder ein denkbares Szenario“. Bedeutet wieder, dass es 1945 ein Verteidigungsfall war? Oder fällt den Filmemachern die absurde Doppelsinnigkeit gar nicht auf?
Indes passiert der Truppe in Polen ein kleines Ungemach: Ein Stück Maschendrahtzaun verklemmt sich in der Panzerkette. Die Maschine muss anhalten, die Besatzung zieht und ruckelt am Drahtklumpen, bis er freikommt. „Auf geht‘s“, ruft der Kommandeur. Beklemmend realistisch sei die Aufmachung, kommentiert die Off-Stimme, weil so greifbar die „Angst vor dem Einmarsch feindlicher Truppen“ sei. „Und zwar genau hier, in Polen, in Europa“. Denn „die Provokationen häufen sich“ –zwei russische Jets überfliegen gerade im Bild ein US-Kriegsschiff in der Ostsee, „130 Kilometer vor Kaliningrad“. Russland teste die Grenzen der Allianz mit dem „Einmarsch in die Ostukraine“ aus.
An dieser Stelle fragt keiner, wieso die „russischen Truppen“ für die Beobachter der OSZE-Mission in der Ostukraine bislang unsichtbar bleiben. Warum werden sie nicht in den OSZE-Berichten registriert, sondern nur in den Medien? Und wie kann ein Land mit Militärausgaben von 61,4 Milliarden Dollar, Tendenz sinkend, eine globale Militärallianz herausfordern, die letztes Jahr zusammengenommen 987,5 Milliarden (1), Tendenz steigend, für ihre Armeen ausgegeben hat? Ein Sparkurs bei der Rüstung wäre „nicht nur grob naiv, das ist fahrlässig und gefährlich“, beschwört Prof. Carlo Masala von der Bundeswehr-Universität in München die Zuschauer. „Jeder, der jetzt sozusagen fordert: ‚Keine Nachrüstungsdebatte‘, er ist nicht nur naiv, es ist gefährlich, brandgefährlich“. Der Professor berät nach der Auskunft der Filmemacher die Bundesregierung in Sicherheitsfragen.
Und so geht es weiter über 43 Minuten öffentlich-rechtlicher Sendezeit. Bisweilen so holzhammermäßig, dass es fast satirisch erscheint. Auch die lobbyistische Federführung ist kaum verdeckt. Doch die Botschaft wird konsequent ins Bewusstsein genagelt, und sei es mit dem Holzhammer: Ein Krieg liegt in der Luft und der Feind liegt im Osten. Es sind dringend mehr Waffen nötig und es darf nicht mit Geld geknausert werden.
mehr:
- Die Medien spielen Krieg (Ivan Rodionov, Rubikon, 10.08.2019)
siehe auch:
- Medienkritik und Kriegspropaganda (Bundesweiter Friedensratschlag, Linksammlung, undatiert)
- Der Fall Skripal: Die Gift-Lügen (Hannes Hofbauer, Neue Debatte, 18.08.2019)
- Parteiischer Journalismus ist kein Journalismus (Hannes Hofbauer, Neue Debatte, 10.08.2019)
- US-Propaganda: Die Medien spielen mit! (Post, 10.08.2019)
- Propagandaregen: Die ideologische Mobilmachung der Republik (Post, 10.08.2019)
- Parteiischer Journalismus ist kein Journalismus (Alexander Kissler, Cicero, 02.05.2019)
- Russische Propaganda – Putins Geniestreich (Stefan Krempl, heise Online, 28.11.2018)
- Internet 2018: Desinformation und Propaganda "vergiften" die Digitalsphäre Die US-Organisation Freedom House warnt in ihrem Jahresbericht zur Netzfreiheit vor einem zunehmenden "digitalen Autoritarismus". (Stefan Krempl, heise Online, 01.11.2018)
- Propaganda-Videos : Wie russische Onlinemedien die Demokratie destabilisieren wollen (Stefan Krempl, heise Online, 01.11.2018)
x
Abonnieren
Kommentare zum Post (Atom)
Keine Kommentare:
Kommentar veröffentlichen