Donnerstag, 23. Januar 2020

Gemeinnützige Vereine am Gängelband

Aberkennung der Gemeinnützigkeit bremst kritisch-bürgerschaftliches Engagement per Steuerrecht aus und schadet einer lebendigen Demokratie. Während „attac“ und „VVN-BdA“ um ihren Status kämpfen müssen, gelten neoliberale und extrem rechte Vereine weiterhin unangefochten als „gemeinnützig“. Von Rolf Gössner.
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Im vergangenen Jahr ist etlichen linksprogressiven Vereinen durch die zuständigen Finanzämter die Gemeinnützigkeit aberkannt und entzogen worden – mit existentiellen Folgen für die betroffenen Organisationen. Es handelt sich nach Auffassung des Autors Rolf Gössner (Rechtsanwalt/Publizist, Internationale Liga für Menschenrechte) um ein staatliches Ausbremsen kritisch-bürgerschaftlichen Engagements mit den Mitteln des Steuerrechts und um einen Angriff auf Netzwerke demokratischer Willens- und Meinungsbildung.
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„Attac“-Urteil des Bundesfinanzhofs: Kehrtwende im Gemeinnützigkeitsrecht?

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Das globalisierungskritische Netzwerk „Attac“ war seit seiner Gründung Anfang der 2000er Jahre als gemeinnützig anerkannt. Zweck der Vereinigung ist „die Förderung des Schutzes der Umwelt und des Gemeinwesens, der Demokratie und der Solidarität, dies unter besonderer Berücksichtigung der ökonomischen und gesellschaftlichen Auswirkungen der Globalisierung“, so „Attac“-Anwalt Dr. Till Müller-Heidelberg („vorgänge“ 227/2019, S. 157ff.). Und weiter: „Außerdem fördert der Verein die Völkerverständigung und den Frieden. Hierzu betreibt der Verein Aufklärungs- und Öffentlichkeitsarbeit zu den Themen Nord-/Süd-Differenz und Entwicklung, Umweltschutz und Nachhaltigkeit … und weltweite Gerechtigkeit.“ Mit seinem Engagement für eine demokratische Kontrolle der Wirtschaft, für soziale Gerechtigkeit und ökologische Nachhaltigkeit verteidige „Attac“ das Gemeinwohl gegen mächtige Kapitalinteressen.
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2014 entzog das Finanzamt Frankfurt/M. „Attac“ den Status der Gemeinnützigkeit, weil der Trägerverein politische Forderungen aufstelle, so etwa zur Regulierung der Finanzmärkte. Seit 2015 klagt „Attac“ dagegen. Nachdem das Hessische Finanzgericht die Aberkennung widerrufen und damit die Gemeinnützigkeit bestätigt hatte, weil alle Aktionen von „Attac“ der Förderung der politischen Bildung und des demokratischen Staatswesens dienten, beantragte das zuständige Finanzamt auf Weisung des Bundesfinanzministeriums eine Revision der Entscheidung. Mit der Anfang 2019 veröffentlichten Revisionsentscheidung gab der Bundesfinanzhof (BFH), also das höchste Finanzgericht der Bundesrepublik, dem Revisionsantrag statt und bestätigte die Aberkennung der Gemeinnützigkeit von „Attac“ (BFH-Urteil v. 10.01.2019; Az. V R 60/17). „Attac“ sei nicht gemeinnützig, so das Gericht, weil das Netzwerk mit seinen Kampagnen versuche, die politische Meinung zu beeinflussen. Zwar gelte die unter Volksbildung zu fassende politische Bildungsarbeit nach dem Gesetz als gemeinnützig, nicht aber der Einsatz für allgemeinpolitische Forderungen zur Tagespolitik und auch nicht Kampagnen, die zu diesem Zweck veranstaltet werden. Die Volksbildung, so das Gericht weiter, müsse eigenständig und in „geistiger Offenheit“ betrieben werden (was im Gesetz allerdings so nicht normiert ist).
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Diese gerichtliche Vorgabe werde von „Attac“ jedoch nicht erfüllt. Warum? Weil der Trägerverein ganz konkrete Lösungsvorschläge und Forderungen zu bestimmten allgemeinpolitischen Themen durchsetzen wolle, so etwa zur Geldpolitik der Europäischen Zentralbank, zum „Spar-“ und zum „Klimapaket“ der Bundesregierung, zur Bekämpfung der Steuerflucht, zur Regulierung der Finanzmärkte, zur Besteuerung von Finanztransaktionen oder zum bedingungslosen Grundeinkommen. Eine solche Tätigkeit, „die darauf abzielt, die politische Willensbildung und die öffentliche Meinung im Sinne eigener Auffassungen zu beeinflussen“, sei „nicht als politische Bildungsarbeit gemeinnützig“ (BFH-Pressemitteilung Nr. 9/19 v. 26.02.2019) – obwohl doch gerade dies zuvor voll akzeptiert worden ist, sofern solche politischen Aktivitäten, Forderungen und Einflussnahmen der Verwirklichung anerkannt gemeinnütziger Zwecke dienen und die betreffenden Organisationen nicht parteipolitisch agieren (vgl. Grundsatzentscheidungen des Bundesfinanzhofs v. 29.08.1984 und 23.09.1999).

mehr:
- Wie politisch dürfen gemeinnützige Vereine agieren? (Rolf Gössner, NachDenkSeiten, 23.01.2019)
siehe auch:
- Steuerpolitik im Neoliberalismus: Attac nicht mehr gemeinnützig – Die Atlantik-Brücke schon (Post, 26.02.2019)

Autokratie spielerisch erklärt - Die Anstalt vom 16.07.2019 | ZDF {7:55 – Start bei 1:04 
– Pelzig: »Dann wollen wir’s jetzt mal richtig originell machen…«}

ZDF Comedy
Am 21.07.2019 veröffentlicht 
Mehr Die Anstalt: http://ly.zdf.de/UbH1V/
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