Mittwoch, 12. August 2020

Telematik in Coronazeiten: Spahn läßt die Maske fallen!

TP-Exklusiv. Seit langem fordert die Industrie einen direkten Zugang zu Versichertendaten. Einen indirekten hat sie jetzt bekommen. Der fleißige Herr Spahn: Mit Vollgas gegen den Datenschutz -Teil 7

Es half nichts. Der Deutsche Gewerkschaftsbund hatte verlangt, die Hintertür zu schließen. Jetzt steht sie sperrangelweit auf.

Seit langem fordert die Industrie einen direkten Zugang zu den Versichertendaten von 73 Millionen gesetzlich versicherter Bürger. Ende Dezember 2019 dann hatte die CDU ein Positionspapier vorgelegt, das dieser Forderung Rechnung trug: Die "in Deutschland ansässigen forschenden Unternehmen der Gesundheitswirtschaft" sollen, so forderten die CDU-Politiker, "in den Kreis der Antragsberechtigten" für das mit dem Digitale-Versorgung-Gesetz geschaffene staatliche Forschungsdatenzentrum aufgenommen werden.
Wenn auch diese Forderung sich bisher nicht durchsetzen konnte, so wurde doch mit einer aktuellen Verordnung des Gesundheitsministers jetzt der Weg dahin geebnet.


Das Forschungsdatenzentrum bietet Daten zur Nutzung an – sowohl aus erzwungenen als auch aus freiwilligen Datenweitergaben:
a) Digitale-Versorgung-Gesetz: Ohne Einräumung eines Widerspruchsrechts werden von den Krankenkassen gespeicherte Sozial- d.h. auch Gesundheitsdaten der Versicherten ans Forschungsdatenzentrum weitergegeben.
b) ePA-Datengesetz: Freiwillig sollen die Versicherten ihre in der ePA gespeicherten Gesundheitsdaten ab 2023 ans Forschungsdatenzentrum weitergeben.



Dabei enthielt bereits das im November verabschiedete Digitale-Versorgung-Gesetz ein Schlupfloch, auf das sich CDU/CSU und SPD geeinigt hatten: In Ausnahmefällen durften die Nutzungsberechtigten nach Genehmigung eines gesonderten Antrags die Daten auch an Dritte weitergeben.

Die folgende Liste enthält allein die Nutzungsberechtigten des Forschungsdatenzentrums:

die für die Wahrnehmung der wirtschaftlichen Interessen gebildeten maßgeblichen Spitzenorganisationen der Leistungserbringer auf Bundesebene, der Spitzenverband Bund der Krankenkassen, die Bundes- und Landesverbände der Krankenkassen, die Krankenkassen, die Kassenärztlichen Bundesvereinigungen und Kassenärztlichen Vereinigungen, die Institutionen der Gesundheitsberichterstattung des Bundes und der Länder, die Institutionen der Gesundheitsversorgungsforschung, die Hochschulen sowie außeruniversitäre Forschungseinrichtungen und sonstige Einrichtungen, die Daten zur unabhängigen wissenschaftlichen Forschung benötigen, der Gemeinsame Bundesausschuss, das Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen, das Institut des Bewertungsausschusses, die Beauftragte für Patientenbelange, maßgebliche Selbsthilfeorganisationen chronisch kranker und behinderter Menschen auf Bundesebene, das Institut für Qualitätssicherung und Transparenz im Gesundheitswesen, das Institut für das Entgeldsystem im Krankenhaus, die für die gesetzliche Krankenversicherung zuständigen obersten Bundes- und Landesbehörden sowie übrige oberste Bundesbehörden, die Bundesärztekammer, die Bundeszahnärztekammer, die Bundespsychotherapeutenkammer sowie die Bundesapothekenkammer und schließlich die Deutsche Krankenhausgesellschaft.

Grundsätzlich galt bisher aber: "Die Nutzungsberechtigten dürfen die […] zugänglich gemachten Daten nicht an Dritte weitergeben." Dieser Satz ist in Spahns neuer Daten-Verordnung nicht mehr auffindbar. 

Aber nicht nur das. Der Gesundheitsminister hat sich darüber hinaus über die Forderung des Deutschen Gewerkschaftsbundes hinweggesetzt, den Kreis dieser "Dritten" auf "öffentliche, den Sozialversicherungsträgern angehörende oder nicht gewinnorientierte Institutionen zu begrenzen".

Im Klartext: Damit sind die sensiblen Gesundheitsdaten von 73 Millionen gesetzlich versicherter Bürger jetzt mittelbar dem Zugriff der gewinnorientierten Gesundheitswirtschaft ausgesetzt.

Hinzu kommt, dass Spahn, wie Telepolis am Dienstag berichtete (Spahn erhöht Datenschutz-Risiko, durch zwei andere Regelungen derselben Verordnung das Risiko der Bürger, identifiziert zu werden, stark erhöht hatte:

1. Neben anonymisierten Daten bietet das Forschungsdatenzentrum jetzt nämlich regulär (d.h. nicht mehr nur als Ausnahme) auch pseudonymisierte Einzeldatensätze zur Datennutzung an.

2. Zusätzlich hat Spahn allen Warnungen zum Trotz auch noch den Datenumfang derart erweitert, dass ein Re-Identifikationsrisiko auch in der Verordnung selbst nicht in Abrede gestellt wird.

Genaueres dazu: Schon wieder: Spahn erhöht Datenschutz-Risiko.

mehr:
- Spahn öffnet Industrie Hintertür zu Versichertendaten (Brigitta Engel, Florian Rötzer, Telepolis, 12.08.2020)
siehe auch:
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