Das Konzept der US-Regierung für die irakische Landwirtschaft findet sich in einem Dekret des einstigen Zivilverwalters Paul Bremer. Bevor er die Amtsgeschäfte im Juni 2004 an die irakische Übergangsregierung übergab, hat er genau einhundert Gesetze erlassen - seine „Order 81“ trägt den Titel „Gesetz über Patente, Industriemuster, unveröffentlichte Informationen, integrierte Schaltkreise und Pflanzensorten“. Sie ändert den Umgang mit Saatgut im Irak grundlegend.
[…] Über Tausende von Jahren wurden die […] Pflanzensorten von irakischen Bauern gezüchtet, die Samen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, jeder durfte sie anbauen und das Beste aus diesem Gemeineigentum machen. […]
Paul Bremers „Order 81“ verbietet es irakischen Bauern künftig, über Saatgut frei zu verfügen. Neue Pflanzensorten – und unter bestimmten Voraussetzungen auch die alten – dürfen danach nicht mehr frei nachgebaut werden. Anders als bisher üblich, dürfen die Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte im folgenden Jahr aussäen – es sei denn, sie zahlen Gebühren an den Züchter. Diese Regelung sei „notwendig zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des irakischen Volkes“, schreibt Bremer in der Begründung seines Gesetzes, es biete Unternehmen einen Jairen, effizienten und verlässlichen Schutz für ihr intellektuelles Eigentum“. [sic!] Millionen irakischer Bauern macht „Order 81“, wenn sie umgesetzt wird, abhängig von Saatgutlieferanten – meist Großkonzerne wie Monsanto oder Syngenta. Das Dekret erschwere massiv die Ernährungssouveränität der Iraker, kritisiert die internationale Umwelt- und Agrarorganisation GRAIN, stattdessen werde die „Zukunft der irakischen Landwirtschaft an den Interessen von US-Unternehmen ausgerichtet“. […]
Mit der Reform der Landwirtschaft beauftragte die US-Regierung Daniel Amstutz, einen langjährigen Spitzenmanager von Cargill, einem der größten Agrarkonzerne der Welt. „Amstutz den Wiederaufbau der Landwirtschaft im Irak zu übertragen ist, als ob man Saddam Hussein zum Vorsitzenden einer Menschenrechtskommission machte“, kommentierte die britische Hilfsorganisation Oxfam. Einzige Kompetenz des Managers sei es, die Interessen von US-Unternehmen durchzusetzen. Jedenfalls drängten die Amerikaner in der Folgezeit auf ein Ende der staatlichen Lebensmittelrationen, weil diese die Entwicklung freier Märkte verhinderten. Vehement forderten sie die Abschaffung der Agrarsubventionen (mit denen Saddam Hussein früher die Lebensmittelproduktion förderte und zugleich viele Bauern zu treuen Anhängern machte). Entnervt klagte die Interims-Agrarministerin, Sawsan Ali Magid al-Sharifi: „Sogar amerikanische Farmer bekommen Subventionen! Warum sollen wir sie jetzt für die armen irakischen Bauern streichen?“ […]
Nutznießer von Regeln wie in „Order 81“ sind vor allem die Industriestaaten und dort ansässige Unternehmen; zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2002 auch eine Kommission der britischen Regierung. Einst profitierten die reichen Länder selbst von Urheberrechtsverletzungen und der Abschottung ihrer Märkte, heute predigen sie den Entwicklungsländern das Gegenteil. 1968 wurde die internationale UPOV-Konvention erlassen, die kommerziellen Züchtern erstmals das Eigentum an Pflinzensorten einräumte. Damals wurde Bauern noch das Recht zugestanden, einen Teil ihrer Ernte wieder auszusäen. Dieses „Landwirteprivileg“ ist seitdem immer weiter beschränkt worden, Bremers „Order 81“ schließt es gleich ganz aus. Sie legt fest, was Monsanto in den USA noch jedem einzelnen Farmer in den Kaufvertrag für sein Saatgut schreiben muss.
„Eine Klausel wie diese habe ich noch nie gesehen“, sagt Maria Julia Oliva vom Center for International Environmental Law (CIEL) in Washington. Im Auftrag des Greenpeace Magazins hat die Fachanwältin den Erlaß analysiert. Ihr Befund: In mehreren Punkten ist er konzernfreundlicher als die ohnehin unternehmerfreundlichen internationalen Standards. „Die Interessen der Bauern und ihr Anteil an der Entwicklung von Saatgut werden völlig ignoriert“, urteilt Oliva. Auch die Klauseln, mit denen gemeinnützigen Institutionen üblicherweise Ausnahmen eingeräumt werden, seien „sehr schwach“ verankert.
Weit reichende Entscheidungen verstecken sich bei „Order 81“ in Detailformulierungen. Ganz nebenbei wird dort Gentechnik als eine Möglichkeit zugelassen, neue Sorten herzustellen. En passant ermöglicht wird auch die Patentierung von Pflanzenteilen, die international umstritten ist. Damit gehe Bremers Erlass „weit über alles bisher bekannte hinaus“, kritisiert Andreas Bauer, Gentechnik-Experte beim Umweltinstitut München. Irakische Bauern könnten eines Tages sogar für ihr traditionelles Saatgut zur Kasse gebeten werden: Der Eigentumsschutz für eine neue Sorte erstrecke sich nämlich auch auf Pflanzen, die gleiche oder ähnliche Charakteristika besitzen.
Der BBC-Journalist Greg Palast ging vor zwei Jahren der Frage nach, wie dieses Gesetz zustande kam. Er stieß auf Grover Norquist, einen der einflussreichsten konservativen Wirtschaftslobbyisten von Washington. „Ich besuchte ihn in seinem Büro“, so Palast, „und Norquist konnte es gar nicht erwarten damit zu prahlen, wie er im Finanz-, Verteidigungs- und Außenministerium und auch im Weißen Haus ein- und ausgegangen ist und die Pläne für die Zeit nach der Eroberung des Iraks mitgestaltet hat – von den Steuern und Importzöllen bis zu den Rechten an geistigem Eigentum, nach denen ich ihn explizit fragte.“ […]
Die US-Armee hat ein eigenes Agrarprogramm im Irak, die „Operation Amber Waves“ (im Englischen der lyrische Ausdruck für goldgelbe Weizenfelder). Hunderte Tonnen Saatgut hat das Militär seit 2004 an irakische Bauern verteilt, und zumindest ein Teil davon stammte aus den USA. Das Unternehmen World Wide Wheat aus Phoenix, Arizona, zum Beispiel hatte auf Bitten des Verteidigungsministeriums Saatgut für je drei Sorten Brot- und Hartweizen gespendet. „Wir erwarten nicht, irgendetwas zurückzubekommen“, betont Pressesprecher Sheldon Richardson. Theoretisch aber könnte seine Firma, wenn sich ihre Sorten in einigen Jahren im Irak verteilt haben, unter Berufung auf „Order 81“ Lizenzgebühren kassieren. Damit nicht genug: Durch Pollenflug kann sich importierter Weizen in die alten irakische Getreidesorten einkreuzen, und dank Bremers Dekret könnte das Unternehmen auch so entstandene Saaten als sein Eigentum deklarieren. „Order 81“ umfaßt nämlich auch Sorten, die „im Wesentlichen von einer geschützten Sorte abstammen“. Dasselbe gilt übrigens auch für den – wahrscheinlichen – Fall, daß irakische Bauern etwas von den Millionen Tonnen amerikanischen Weizen ausgesät haben, die seit 2003 als Lebensmittellieferungen in das Land gelangten. […]
[…] Über Tausende von Jahren wurden die […] Pflanzensorten von irakischen Bauern gezüchtet, die Samen wurden von Generation zu Generation weitergegeben, jeder durfte sie anbauen und das Beste aus diesem Gemeineigentum machen. […]
Paul Bremers „Order 81“ verbietet es irakischen Bauern künftig, über Saatgut frei zu verfügen. Neue Pflanzensorten – und unter bestimmten Voraussetzungen auch die alten – dürfen danach nicht mehr frei nachgebaut werden. Anders als bisher üblich, dürfen die Bauern nicht mehr einen Teil der Ernte im folgenden Jahr aussäen – es sei denn, sie zahlen Gebühren an den Züchter. Diese Regelung sei „notwendig zur Verbesserung der wirtschaftlichen Lage des irakischen Volkes“, schreibt Bremer in der Begründung seines Gesetzes, es biete Unternehmen einen Jairen, effizienten und verlässlichen Schutz für ihr intellektuelles Eigentum“. [sic!] Millionen irakischer Bauern macht „Order 81“, wenn sie umgesetzt wird, abhängig von Saatgutlieferanten – meist Großkonzerne wie Monsanto oder Syngenta. Das Dekret erschwere massiv die Ernährungssouveränität der Iraker, kritisiert die internationale Umwelt- und Agrarorganisation GRAIN, stattdessen werde die „Zukunft der irakischen Landwirtschaft an den Interessen von US-Unternehmen ausgerichtet“. […]
Mit der Reform der Landwirtschaft beauftragte die US-Regierung Daniel Amstutz, einen langjährigen Spitzenmanager von Cargill, einem der größten Agrarkonzerne der Welt. „Amstutz den Wiederaufbau der Landwirtschaft im Irak zu übertragen ist, als ob man Saddam Hussein zum Vorsitzenden einer Menschenrechtskommission machte“, kommentierte die britische Hilfsorganisation Oxfam. Einzige Kompetenz des Managers sei es, die Interessen von US-Unternehmen durchzusetzen. Jedenfalls drängten die Amerikaner in der Folgezeit auf ein Ende der staatlichen Lebensmittelrationen, weil diese die Entwicklung freier Märkte verhinderten. Vehement forderten sie die Abschaffung der Agrarsubventionen (mit denen Saddam Hussein früher die Lebensmittelproduktion förderte und zugleich viele Bauern zu treuen Anhängern machte). Entnervt klagte die Interims-Agrarministerin, Sawsan Ali Magid al-Sharifi: „Sogar amerikanische Farmer bekommen Subventionen! Warum sollen wir sie jetzt für die armen irakischen Bauern streichen?“ […]
Nutznießer von Regeln wie in „Order 81“ sind vor allem die Industriestaaten und dort ansässige Unternehmen; zu diesem Ergebnis kam im Jahr 2002 auch eine Kommission der britischen Regierung. Einst profitierten die reichen Länder selbst von Urheberrechtsverletzungen und der Abschottung ihrer Märkte, heute predigen sie den Entwicklungsländern das Gegenteil. 1968 wurde die internationale UPOV-Konvention erlassen, die kommerziellen Züchtern erstmals das Eigentum an Pflinzensorten einräumte. Damals wurde Bauern noch das Recht zugestanden, einen Teil ihrer Ernte wieder auszusäen. Dieses „Landwirteprivileg“ ist seitdem immer weiter beschränkt worden, Bremers „Order 81“ schließt es gleich ganz aus. Sie legt fest, was Monsanto in den USA noch jedem einzelnen Farmer in den Kaufvertrag für sein Saatgut schreiben muss.
„Eine Klausel wie diese habe ich noch nie gesehen“, sagt Maria Julia Oliva vom Center for International Environmental Law (CIEL) in Washington. Im Auftrag des Greenpeace Magazins hat die Fachanwältin den Erlaß analysiert. Ihr Befund: In mehreren Punkten ist er konzernfreundlicher als die ohnehin unternehmerfreundlichen internationalen Standards. „Die Interessen der Bauern und ihr Anteil an der Entwicklung von Saatgut werden völlig ignoriert“, urteilt Oliva. Auch die Klauseln, mit denen gemeinnützigen Institutionen üblicherweise Ausnahmen eingeräumt werden, seien „sehr schwach“ verankert.
Weit reichende Entscheidungen verstecken sich bei „Order 81“ in Detailformulierungen. Ganz nebenbei wird dort Gentechnik als eine Möglichkeit zugelassen, neue Sorten herzustellen. En passant ermöglicht wird auch die Patentierung von Pflanzenteilen, die international umstritten ist. Damit gehe Bremers Erlass „weit über alles bisher bekannte hinaus“, kritisiert Andreas Bauer, Gentechnik-Experte beim Umweltinstitut München. Irakische Bauern könnten eines Tages sogar für ihr traditionelles Saatgut zur Kasse gebeten werden: Der Eigentumsschutz für eine neue Sorte erstrecke sich nämlich auch auf Pflanzen, die gleiche oder ähnliche Charakteristika besitzen.
Der BBC-Journalist Greg Palast ging vor zwei Jahren der Frage nach, wie dieses Gesetz zustande kam. Er stieß auf Grover Norquist, einen der einflussreichsten konservativen Wirtschaftslobbyisten von Washington. „Ich besuchte ihn in seinem Büro“, so Palast, „und Norquist konnte es gar nicht erwarten damit zu prahlen, wie er im Finanz-, Verteidigungs- und Außenministerium und auch im Weißen Haus ein- und ausgegangen ist und die Pläne für die Zeit nach der Eroberung des Iraks mitgestaltet hat – von den Steuern und Importzöllen bis zu den Rechten an geistigem Eigentum, nach denen ich ihn explizit fragte.“ […]
Die US-Armee hat ein eigenes Agrarprogramm im Irak, die „Operation Amber Waves“ (im Englischen der lyrische Ausdruck für goldgelbe Weizenfelder). Hunderte Tonnen Saatgut hat das Militär seit 2004 an irakische Bauern verteilt, und zumindest ein Teil davon stammte aus den USA. Das Unternehmen World Wide Wheat aus Phoenix, Arizona, zum Beispiel hatte auf Bitten des Verteidigungsministeriums Saatgut für je drei Sorten Brot- und Hartweizen gespendet. „Wir erwarten nicht, irgendetwas zurückzubekommen“, betont Pressesprecher Sheldon Richardson. Theoretisch aber könnte seine Firma, wenn sich ihre Sorten in einigen Jahren im Irak verteilt haben, unter Berufung auf „Order 81“ Lizenzgebühren kassieren. Damit nicht genug: Durch Pollenflug kann sich importierter Weizen in die alten irakische Getreidesorten einkreuzen, und dank Bremers Dekret könnte das Unternehmen auch so entstandene Saaten als sein Eigentum deklarieren. „Order 81“ umfaßt nämlich auch Sorten, die „im Wesentlichen von einer geschützten Sorte abstammen“. Dasselbe gilt übrigens auch für den – wahrscheinlichen – Fall, daß irakische Bauern etwas von den Millionen Tonnen amerikanischen Weizen ausgesät haben, die seit 2003 als Lebensmittellieferungen in das Land gelangten. […]
Greenpeace Magazin 3/06
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