Donnerstag, 10. Juli 2008

Felder, der zweite von vieren

Wechselwirkung in der Physik

Seit mehr als 2000 Jahren fragen die Philosophen sich, woraus die Dinge in unserer Welt bestehen und wie sie miteinander verbunden sind. Das aristotelische Schema mit seinen vier Elementen, deren Wechselwirkung auf ihre jeweiligen Qualitäten zurückging, nahm auf allerdings sehr schematische Weise bereits unser Verständnis des Aufbaus der Materie vorweg, auch wenn deren Grundhausteine, wie wir sie heute kennen, natürlich nichts mit Feuer, Wasser, Luft und Erde gemein haben.

Wenn es um die Kräfte geht, die zwischen den TEILCHEN wirken, ziehen die Physiker es vor, von Wechselwirkungen zu sprechen, denn diese Kräfte beeinflussen zwar die Bewegung der Teilchen, können aber auch zu einer grundlegenden Veränderung der Teilchen führen, etwa wenn sich eines in ein anderes umwandelt.

In der klassischen Physik übertragen sich Kräfte zwischen zwei Teilchen im Raum über ein Feld: Eines der beiden Teilchen erzeugt ein Feld, das sich im Raum ausbreitet und dann auf das andere Teilchen einwirkt. Sowohl die QUANTENPHYSIK als auch die RELATIVITÄTSTHEORIE zwangen die Physiker, diese Auffassung zu revidieren. Wenn es zu einer Wechselwirkung kommen soll, muss danach »irgendetwas« ausgetauscht werden. Dieses als Quant bezeichnete Etwas ist ein für das Feld charakteristisches Teilchen. Zu einer Wechselwirkung kommt es demnach zwischen zwei Teilchen nur über den Austausch eines dritten Teilchens. Dieses dritte Teilchen, das die Wechselwirkung überträgt oder vermittelt, wird als Eichboson der Wechselwirkung bezeichnet (siehe BOSON UND FERMION). Da man es nicht unmittelbar aufspüren kann, sagt man, es sei VIRTUELL (doch das heißt nicht, dass es kein wirkliches Teilchen wäre). Die Reichweite der Wechselwirkung ist umso geringer, je größer die Masse des Eichbosons ist, das sie überträgt.

Um alle bekannten Phänomene erklären zu können, benötigen die Physiker insgesamt vier Wechselwirkungen [alles Fette in diesem Artikel ist eine Hervorhebung von mir], die als fundamental gelten: die Gravitation natürlich; die elektromagnetische Wechselwirkung, die für den Zusammenhalt der Materie im Bereich unserer menschlichen Größenordnungen sorgt; die schwache Wechselwirkung, die bestimmte radioaktive Prozesse steuert; und die starke Wechselwirkung, die für den Zusammenhalt der Atomkerne sorgt.


Die Gravitation

Die GRAVITATION beherrscht unsere alltägliche Welt, vom Fall eines Körpers bis hin zur Bewegung der Planeten. Dennoch ist sie unvergleichlich schwächer als die übrigen drei fundamentalen Wechselwirkungen, so dass man sie auf der Ebene der Teilchen vernachlässigen kann.

Die gravitative Wechselwirkung ist anziehenden Charakters und von unendlicher Reichweite. Soll sie auf der Ebene der Teilchen mit einer den übrigen Wechselwirkungen vergleichbaren Stärke wirksam werden, bedarf es ganz außergewöhnlicher Bedingungen, wie sie in den ersten Augenblicken des Urknalls herrschten, als eine extrem hohe Energiedichte bestand. Warum hat dann die Gravitation auf makroskopischer Ebene so große Bedeutung? Der Grund liegt darin, dass sie eine ausschließlich anziehende Kraft ist und ihre Wirkungen sich daher akkumulieren; das heißt, sie wächst proportional zur Zahl der beteiligten Teilchen.

Das Teilchen, das die Gravitation übertragen soll, ist das Graviton. Seine Masse ist gleich null, und man hat es noch nicht experimentell nachweisen können. Da die vorausgesagten Effekte der Gravitonen so klein sind, heißt dies jedoch keineswegs, dass sie nicht existierten.


Die elektromagnetische Wechselwirkung

Die elektromagnetische Wechselwirkung (siehe ELEKTROMAGNETISMUS) sorgt für den Zusammenhalt der Atome und beherrscht sowohl die chemischen Reaktionen als auch die Optik. Wie die gravitative Wechselwirkung hat auch sie eine unendliche Reichweite, doch da sie je nach Vorzeichen als anziehende oder als abstoßende Kraft auftritt, heben sich ihre kumulativen Effekte über größere Entfernungen wegen des insgesamt elektrisch neutralen Charakters der Materie gegenseitig auf. Die Theorie, die all diese Aspekte sehr präzise zu erklären vermag, ist die so genannte Quantenelektrodynamik. Sie führt die elektromagnetische Wechselwirkung auf den Austausch virtueller PHOTONEN zurück (als virtuell werden sie bezeichnet, weil sie als Teilchen nicht nachweisbar sind). Alle elektrisch geladenen oder (wie das Neutron) mit einem magnetischen Moment ausgestatteten Teilchen (die daher wie ein winziger Magnet wirken) unterliegen der elektromagnetischen Wechselwirkung.

In früheren Zeiten galten Elektrizität und Magnetismus als zwei getrennte Phänomene. Seit dem 19. Jahrhundert wissen wir, dass der Magnetismus durch die Bewegung elektrischer Ladungen entsteht. So erklären sich zum Beispiel die Störungen, denen ein Kompass in der Nähe eines Gewitters unterliegt. James Clerk Maxwell verdanken wir die Gleichungen, in denen sich sämtliche elektromagnetischen Phänomene zusammenfassen lassen.


Die starke Wechselwirkung

Der ATOMKERN besitzt eine erstaunliche Stabilität. Die Energie, die erforderlich ist, um ein NUKLEON, das heißt ein Proton oder ein Neutron (die beiden Kernbausteine) aus einem Atomkern herauszulösen, ist etwa eine Million Mal größer als die Energie, die das Elektron an den Atomkern bindet. So stellt sich denn die Frage, welche Kraft einen derartigen Zusammenhalt gewährleisten kann. Welche Kraft überwindet die elektrische Abstoßung zwischen den Protonen innerhalb eines Atomkerns, die auf der Tatsache beruht, dass diese Teilchen dieselbe (positive) elektrische Ladung haben? Keine klassische Kraft – weder die elektromagnetische Kraft noch die Gravitation – vermag den Zusammenhalt des Atomkerns zu erklären. Daher muss es eine dritte Kraft geben, die man als starke Kernkraft oder als starke Wechselwirkung bezeichnet. Im Unterschied zu den beiden klassischen Kräften, die im Bereich der Größenordnung eines Atomkerns nur schwach ausgeprägt sind, aber von unendlicher Reichweite sind, ist die starke Wechselwirkung sehr intensiv und besitzt eine sehr geringe Reichweite. Sie ist so stark, dass sie ihre Wirkung innerhalb der unvorstellbar kurzen Zeit von 10-23 s [10 hoch minus 23] entfaltet (das ist die Zeitspanne, die manche extrem instabile Teilchen, die so genannten Resonanzteilchen, benötigen, um zu zerfallen und sich in andere, leichtere Teilchen umzuwandeln (siehe RESONANZ). Die Reichweite der starken Wechselwirkung beträgt etwa ein Fermi, das ist der millionste Teil eines Milliardstel Meters (10-15 m, 10 hoch minus 15 Meter).

Nicht alle Teilchen unterliegen der starken Wechselwirkung. Die Teilchen, die empfindlich für sie sind, bezeichnet man als HADRONEN, die übrigen als LEPTONEN. Wir kennen mehr als 350 Hadronen, die nahezu alle instabil sind.

Die Wechselwirkung zwischen Hadronen, zum Beispiel zwischen den Nukleonen, beruhen auf fundamentaleren Wechselwirkungen zwischen QUARKS (den Teilchen, aus denen Die Hadronen bestehen). Wie die elektromagnetische Wechselwirkung auf der elektrischen Ladung basiert, so geht die starke Wechselwirkung auf die so als FARBE bezeichnete Ladung zurück. Man darf sich allerdings nicht vorstellen, die Quarks waren wirklich bunt. Der Ausdruck »Farbe« (vielfach wird hier der englische Ausdruck colour benutzt) ist lediglich die bildhafte Umschreibung eines Etiketts, einer besonderen Art von Ladung, die diese Teilchen tragen. Die starke Wechselwirkung wird durch die so genannten Gluonen übertragen, Teilchen, deren Name auf das englische glue: »Leim«, zurückgeht, weil die Quarks gleichsam aneinander kleben, wenn man sie voneinander zu trennen versucht. Die Quarks lassen sich nicht als freie Teilchen isolieren, sie sind auf das Innere der Hadronen beschränkt. Im Blick auf die Farbladung wird die Theorie der starken Wechselwirkung als Quantenchromodynamik bezeichnet.


Die schwache Wechselwirkung

Die schwache Wechselwirkung, die gleichfalls nur eine sehr kurze Reichweite hat, wird vielfach als verschwindend gering dargestellt. Sie ist insbesondere für den so genannten Betazerfall verantwortlich. Dabei zerfällt innerhalb eines Atomkerns ein Neutron in ein Proton, ein Elektron und ein Antineutrino. Das Elektron und das Antineutrino verlassen den Atomkern. Da das Proton im Kern verbleibt, entsteht bei dieser Umwandlung ein anderes chemisches Element. Die schwache Wechselwirkung mag zwar nur eine verschwindend geringe Stärke haben, doch sie beherrscht immerhin die thermonuklearen Reaktionen, aus denen unsere Sonne (wie alle übrigen Sterne) die Energie bezieht, von der wir hier auf der Erde leben.

Die Reichweite der schwachen Wechselwirkung beträgt nur ein Tausendstel Fermi (10-18 m, 10 hoch minus 18 Meter), sodass man schon fast von einer Berührung sprechen kann. Die charakteristische Zeit, in der diese Kraft ihre Wirkung entfaltet, ist sehr viel länger als bei der starken Wechselwirkung und reicht von 10-10 [zehn hoch minus zehn] Sekunden bis zu einigen Minuten. Deshalb wird ihre Wirkung oft von der sehr viel schnelleren starken Wechselwirkung verdeckt.

Die schwache Wechselwirkung ist eine Exzentrikerin unter den fundamentalen Wechselwirkungen. Sie lehnt es ab, bestimmten elementaren SYMMETRIEN zu gehorchen, an die sich ihre Schwestern peinlich genau halten; das gilt etwa für die Symmetrie, die als PARITÄT bezeichnet wird.

Die schwache Wechselwirkung wird durch W+-, W-- und Z0-Bosonen [W plus, W minus und Z null-Bosonen] übertragen, deren Existenz 1983 experimentell bewiesen wurde. Sie haben eine vergleichsweise große Masse und sind etwa 100-mal schwerer als die Protonen. Vorausgesagt worden war die Existenz dieser drei überaus kurzlebigen Teilchen schon mehrere Jahre zuvor durch eine kühne Theorie zur Vereinheitlichung der elektromagnetischen und der schwachen Wechselwirkung (so wie die Vereinigung der Elektrizität mit dem Magnetismus die elektromagnetische Welle erforderlich gemacht hatte). Nach den Prinzipien dieser Theorie der elektroschwachen Wechselwirkungen kommt es zu einer scheinbar kaum mit der Natur zu vereinbarenden theoretischen Hochzeit zwischen den schweren Bosonen, die die schwache Wechselwirkung übertragen, und den masselosen Photonen, die für die elektromagnetische Wechselwirkung verantwortlich sind. Doch diese Theorie hat sich im Experiment vollkommen bestätigen lassen, zumindest soweit es die Energie betrifft, die wir in den heutigen Teilchenbeschleunigern erzeugen können.


Die Vereinheitlichung der Wechselwirkungen

Die Kräfte der vier Wechselwirkungen unterscheiden sich durch die Energien, die dabei im Spiel sind, und hier ergibt sich eine Möglichkeit, sie miteinander zu vergleichen. Jedenfalls hofft man, auf der Grundlage von Gesetzen, die bestimmen, auf welche Weise diese Kräfte strukturiert sind und ihre Wirkung entfalten, eine Theorie schaffen zu können, in der die verschiedenen Kräfte nur noch als Formen oder Ausprägungen einer einzigen Kraft erscheinen.

In konzeptioneller Hinsicht sind auf diesem Gebiet in den letzten Jahrzehnten beträchtliche Fortschritte erzielt worden. Dazu gehört vor allem der Beweis, dass elektromagnetische und schwache Wechselwirkungen keine unabhängigen Kräfte darstellen. Im so genannten STANDARDMODELL DER TEILCHENPHYSIK gelang es sogar, drei der vier Wechselwirkungen zusammenzufassen (die dritte ist die starke Wechselwirkung). Dieses Modell liefert eine Klassifikation sämtlicher »Bausteine« der Materie. Als fundamentale Bausteine gelten danach einerseits die Leptonen, z.B. Elektronen und Neutrinos, das sind Teilchen, die sich frei bewegen können und wie die Elektronen nicht der starken Kernkraft unterliegen), und andererseits die Quarks (die der starken Wechselwirkung unterliegen und aus denen die Hadronen, z. B. Protonen und Neutronen, zusammengesetzt sind). Die Quarks sind stets mit anderen Quarks oder Antiquarks verbunden (Quarks lassen sich isoliert nicht nachweisen, ihr Vorhandensein zeigt sich jedoch in Gestalt von Teilchenstrahlen).

Das Standardmodell stützt sieh auf das formale Prinzip der sogenannten Eichinvarianz, das eine elegante und fruchtbare Interpretation der Wechselwirkungen ermöglicht, weil es die Existenz der einzelnen Wechselwirkungen jeweils auf eine spezielle Symmetrie zurückführt. Sogar die Form der Wechselwirkung ist vollständig durch die Symmetrie bestimmt, aus der sie sich herleitet. Auf der Basis dieses Prinzips hoffen die Theoretiker, alle vier Wechselwirkungen einschließlich der Gravitation zu einer Einheit zusammenfassen zu können.

Fast alle Versuche, über das Standardmodell hinaus zu einer wirklich einheitlichen Theorie zu gelangen, die auch die Gravitation auf kohärente Weise einzubinden vermöchte, stützen sich auf eine Symmetrie neuen Typs, die Bosonen und Fermionen (also die Teilchen, die die Wechselwirkungen übertragen) miteinander verknüpft und als »Supersymmetrie« bezeichnet wird. Diese Theorie sagt die Existenz neuer Teilchen voraus, die gleichsam die »supersymmetrisehen« Partner der bekannten Teilchen wären. Keines dieser Teilchen ist bislang entdeckt worden, und der nächsten Generation der Teilchenbeschleuniger fällt vor allem die Aufgabe zu, diese Theorie zu bestätigen oder zu widerlegen.

Die von der elektroschwachen Theorie angesprochene Symmetrie vereint, wie der Name schon andeutet, die Symmetrie der schwachen Wechselwirkung mit der des Elektromagnetismus. Wenn sie darin Recht hat, folgt daraus die Existenz von vier die jeweiligen Wechselwirkungen übertragenden Bosonen, deren Masse gleich null sein müsste. Aber das widerspricht der Erfahrung, denn die drei für die schwache Wechselwirkung verantwortlichen Bosonen besitzen eine recht große Masse, und nur die Masse der Photoneu, die die elektromagnetische Wechselwirkung übertragen, ist gleich null. Wie lässt sich dieser Sachverhalt erklären? Zu diesem Zweck verweist man auf einen »spontanen Bruch« der elektroschwachen Symmetrie, eine Art Sündenfall gleich zu Beginn des Universums. Aufgrund dieses Bruchs blieb nur eine Restsymmetrie erhalten, die elektromagnetische. Zugeschrieben wird dieser Bruch einem speziellen Mechanismus, dem so genannten Higgs-Mechanismus, der eine Erklärung dafür bietet, dass die Teilchen eine Masse besitzen. Zu diesem Zweck wird ein neues, elektrisch neutrales und für die schwache Wechselwirkung empfindliches Feld eingeführt, das Higgs-Feld, das mit den (für die schwache Wechselwirkung verantwortlichen) W+-, W-- und Z0-Bosonen in Wechselwirkung tritt und ihnen eine Masse verleiht, sich jedoch nicht mit dem Photon verbindet, das deshalb masselos bleibt. Wenn dieser Mechanismus einsetzt, kommt es zum Bruch der Symmetrie, und die beiden Wechselwirkungen, die elektromagnetische und die schwache, unterscheiden sich voneinander.

Führt man den Higgs-Mechanismus, der den für die schwache Wechselwirkung verantwortlichen Bosonen eine Masse zuweist, in die Gleichungen ein, funktioniert das Modell bestens (und zwar so gut, dass man die Masse dieser Bosonen schon lange vor ihrer Entdeckung vorhersagen konnte); außerdem entsprechen die Resultate den Ergebnissen der Experimente. Allerdings setzt dieser Mechanismus die Existenz eines neutralen Teilchens voraus, des Higgs-Bosons, dessen Verhalten durch die Theorie, zwar vorgegeben ist, dessen Existenz aber, noch nicht bewiesen werden konnte.

aus Thesaurus der exakten Wissenschaften, Zweitausendeins

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen