Anmerkungen eines Freundes Israels zur Grass-Debatte
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Von Paul Oestreicher
Nur mit Gewalt, nur mit Terror war es möglich, einen jüdischen Staat
auf dem Boden Palästinas zu gründen. David Ben Gurion, der Vater des
modernen Israels, hat es selber so dargestellt: »Wäre ich ein
Palästinenser, hätte auch ich um meinen Heimathoden gekämpft.« Die
neuen Ankömmlinge siegten. Sie waren unerbittlich. Sie waren zum
großen Teil die Überlebenden des Massenmordes am jüdischen Volk. So
wie die Deutschen in Schlesien und Ostpreußen wurde eine gute Hälfte
der Palästinenser in die Flucht getrieben. Unzählige ihrer Dörfer wurden
vernichtet. Der Gründungstag Israels war der »Tag der Tragödie« für
die Palästinenser. So begann der tragische Konflikt, der heute noch
andauert.
Die Welt hat ein hartes Urteil getroffen, und es musste so kommen.
Eine Heimat für das geschundene jüdische Volk war ihnen nicht mehr
zu verwehren. Ihnen wurde etwas mehr als die Hälfte des kleinen
Landes zugesprochen, den Palästinensern das, was übrig blieb. Ohne
Auschwitz gäbe es den
Staat Israel nicht. So wurden auch indirekt die arabischen Bewohner
des Landes zu Opfern des Nazi-Terrors. Sie bekamen aber keine
Wiedergutmachung vom reichen Deutschland. Auch ihre arabischen
Nachbarn kamen ihnen kaum zur Hilfe. Sie wehrten sich, wurden aber
immer wieder besiegt. Das kleine Israel wurde unter dem Schutzmantel
der USA zu einer der stärksten Militärmächte der Welt.
Siegreich hat Israel im Laufe des Konfliktes ganz Palästina besetzt, hat
das Nachbarland jüdisch besiedelt und hält es unter einem harten
Joch. Widerstand hat sich immer wieder als sinnlos erwiesen. Trotzdem
und deswegen lebt Israel, leben fast alle Israelis in permanenter
Angst. Diese Angst
ist in der Gegenwart nicht unberechtigt und ist angesichts der
jahrhundertelangen Verfolgung des jüdischen Volkes, meist durch
Christen, aber auch durch den Islam, nicht verwunderlich. Die
Krankheit Antisemitismus lebt weiter und findet in der heutigen Politik
Israels immer neuen Nährboden. Kollektive Angst ist ein schlechter
politischer Wegweiser, führt leicht zu Hass, zur Intoleranz, zum
Rassismus, den Wahrzeichen des hochmilitarisierten Israels. Dieses
Land glaubt es sich leisten zu können, die Beschlüsse der Vereinten
Nationen – denen Israel seine Geburt verdankt – konsequent zumissachten.
Dieses Israel hat sich zur einzigen Atommacht im Mittelmeerraum
gemacht. Dieses Israel droht nun Iran anzugreifen, in der Vermutung,
Iran habe die Absicht, nichts anderes zu tun, als das, was Israel schon
längst getan hat. Die Konsequenzen eines solchen Angriffes wären
unermesslich. All das – so sagt »Political Correctness« – darf vor allem
angesichts der deutschen Schuld von keinem Deutschen und
angesichts der christlichen Schuld von keinem Christen ausgesprochen
werden. Wer es doch ausspricht, wird gleich zum Antisemiten gebrandmarkt. Auf diese Art die Wahrheit zu unterdrücken
ist nichts anderes als moralische Erpressung. Sie ist erstaunlich
wirkungsvoll. Wer will sich heute sagen lassen, er oder sie sei
Antisemit, oder Neofaschist? Erst recht kein Politiker. Das hat US-Präsident Barack Obama schnell lernen müssen. Sagt es ein Jude, und
nicht wenige haben den Mut dazu, dann handelt es sich eben um einen
sich selbst hassenden Juden.
Ich spreche es als Deutscher mit einer geliebten jüdischen Großmutter
aus, die zum Opfer der Naziherrschaft wurde. Ich spreche es als Freund
Israels aus, der sich mit der tapferen israelischen Minderheit solidarisch
fühlt, die sich der Politik ihres Landes schämt, genauso wie sich einst
die deutschen Widerständler schämten über das, was aus ihrem Land
geworden war. Ich liebe Israel genauso, wie ich und meine Eltern im
Exil Deutschland liebten, als Hitler noch herrschte. Bei allem
Vergleichbaren sage ich damit aber nicht, Netanjahus Politik sei mit
Hitlers Wahnsinn zu vergleichen. In Israel haben Araber noch
begrenzte Rechte. Als Hitler losschlug, war Deutschland von keinem
bedroht.
Ich sage all dies in Einklang mit denen, die – wie einst meine
Gesinnungsfreunde in der DDR – heute in Israel friedlichen Widerstand
leisten und die in Israel vergleichbar behandelt werden. Ich sage es in
Hochachtung vor Mordechai Vanunu, der der Welt die Wahrheit über
Israels Atomwaffen bekannt gab und dafür mit siebzehn Jahren
Einzelhaft bestraft wurde und heute noch das Land nicht verlassen
darf. Ich sage es im Einklang mit dem Nobelpreisträger Desmond Tutu
und mit Jimmy Carter, dem einstigen, guten und ehrlichen
amerikanischen Präsidenten. Ich sage es nun im Einklang mit Günter Grass, [Originaltext der Erstveröffentlichung in der Süddeutschen Zeitung vom 4. April 2012, online auf Süddeutsche.de] der spät, aber nicht zu spät – wohl wissend, was auf ihn
zukommen würde – den Mut fand, das zu sagen, was gesagt werden
muss.
Dass Mut dazu gehört vor allem in Deutschland –, diese Wahrheit
auszusprechen, ist eines der vielen Zeichen der Unfreiheit in unserer
»freien Welt«. Zwar darf sich ein Dichter erlauben, nicht alles in einem
Gedicht auszusprechen. Der Vorwurf, Günter Grass habe Iran nicht oder
kaum angeprangert, ist in einer Situation, wo er es als allgemein
anerkannte Tatsache sah, ein solches Regime sei untragbar,
ungerecht. Der öffentlich ausgesprochene Wunsch, Israel zu
vernichten, ist Welten entfernt von dem, was Grass bekundet hat,
nämlich den Wunsch, Israel möge in sicheren Grenzen leben, Dazu
gehört jedoch auch für Günter Grass - eine menschlich-freundlichere
Politik Israels.
Paul Oestreicher wurde 1931 als Sohn des Kinderarztes Paul Oestreicher im thüringischen Meiningen geboren. Aufgrund der jüdischen Abstammung seines Vaters musste seine Familie 1939 aus Deutsch' land fliehen. Sie fand in Neuseeland Asyl. Später ging er nach England. Er ist anglikanischer Pfarrer, Publizist und war Leiter des Versöhnungszentrums der Kathedrale von Coventry. Heute lebt er mit seiner Frau Barbara Einhorn, deren Eltern ebenfalls einst vor dem Nazi-Terror aus Deutschland geflohen waren, in England und Neuseeland.
Man beachte das Video ab 2:58 Min.:
Bildschirmphoto aus dem Sanftleben-Vortrag |
- von Freeman auf seinem Blog Alles Schall und Rauch
- von ATetzlaf auf seinem Blog Das Denken
- in einem Artikel der AG Friedensforschung
- in einem Artikel der Steinbergrecherche
- offener Brief der Arbeiterfotografie an die Bundeszentrale für Politische Bildung (hochinteressant!)
- Katajun Amirpur – Der iranische Schlüsselsatz bei der Süddeutschen
- Mahmud Ahmadinedschad bei Wikiquote
- Katajun Amirpur – Der iranische Schlüsselsatz bei der Süddeutschen
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