Deutsche Wirtschafts Nachrichten: In Ihrem neuen Buch beschreiben Sie, wie sich eine Elite Europa und Deutschland unter den Nagel reißt. Wer ist diese Elite?
Jürgen Roth: Es gibt in Europa eine politische und wirtschaftliche Dynastie, die sich als Elite versteht. Ihr gehören die Spitzen der deutschen bzw. europäischen Wirtschaft an: Repräsentanten der Finanzindustrie und Medien, Vorstandsvorsitzende und Verwaltungsräte börsennotierter nationaler wie internationaler Konzerne, Repräsentanten von internationalen Beratungsfirmen. Auf der anderen Seite konservative wie sozialdemokratische Politikerdynastien, die mehr oder weniger direkt von dieser wirtschaftlichen Dynastie abhängig sind oder von ihr profitieren. Und die nenne ich ja nicht nur beim Namen, sondern beschreibe ihr konkretes Verhalten.
Deutsche Wirtschafts Nachrichten: Sie beschreiben verschiedene Netzwerke, die dazu dienen, die Interessen von Politik und Wirtschaft zu verzahnen. Welche Netzwerke sind besonders einflussreich?
Jürgen Roth: Politisch weitaus einflussreicher als die institutionalisierten Interessenverbände sind die informellen Zusammenschlüsse in den sogenannten Runden Tischen. Es sind jene Netzwerke über die in Deutschland die Medien merkwürdigerweise seit langem schweigen. Weil sie es nicht besser wissen oder nicht wissen wollen? Ich weiß es nicht. Sucht man in der deutschen Presse zum Beispiel nach dem Entrepreneur Round Table mit Sitz in Zürich und Berlin, gibt es über ihn keine einzige Veröffentlichung. Voraussetzung der Mitgliedschaft dort ist, dass die teilnehmenden Unternehmer oder Banker einen jährlichen Gesamtumsatz von mindestens fünfhundert Millionen Euro vorweisen können.
Ihr Kodex: absolute Verschwiegenheit darüber wer dazugehört und was sich bei den Treffen abspielt. Da findet sich der ehemalige Bundesbankchef Welteke, die Repräsentanten von Lufthansa, Mercedes, Morgen Stanley, der Chef von Mc-Kinsey, Vorstandsmitglieder der Deutschen Bank, Martin Blessing von der Commerzbank oder der Chef der Deutschen Börse AG, sowie der Konzerne Metro und Tengelmann. Der Vorstandsvorsitzende von Thyssen Krupp ist dabei wie Vorstandsmitglieder von BASF oder Böhringer-Ingelheim. Aber auch die jung-dynamischen Vorstandsvorsitzenden von SAT-1 Pro Sieben und vom Springer-Imperium. Edler und verschwiegener geht es nicht. Ähnlich exklusiv, aber weniger geheim, sind die sogenannten Baden-Badener Unternehmer Gespräche. Über 4.000 Top-Manager sind hier vernetzt. Sie verstehen sich als ordnungspolitisches Gewissen der deutschen Wirtschaft. Es ist eine neoliberale Kaderschmiede.
Dann gibt es in Brüssel zum Beispiel den European Round Table of Industrialists (ERT) oder den European Financial Services Round Table (EFR). Mitglieder des EFR sind die Vorstandsvorsitzenden der mächtigsten europäischen Banken und Versicherungskonzerne. Über alle wird tunlichst geschwiegen. Ich zeige auf, welchen Einfluss sie ausüben. Und zwar einen enormen Einfluss auf die europäische Kommission. Gerne bezeichnet man diese Round Tables als Lobbyisten. Das ist eine bewusste Verharmlosung. Denn sie haben direkten Zugang zu den politischen Entscheidungsträgern in ihren Heimatländern.
mehr:
- Europa: „Putsch einer kleinen Elite gegen den demokratischen Staat“ (24.05.2015)
KenFM im Gespräch mit: Jürgen Roth (Der stille Putsch) [1:36:39]
Veröffentlicht am 24.07.2014
Jürgen Roth gehört zu den namhaftesten investigativen Journalisten im deutschsprachigen Raum. Er geht dorthin, wo es wehtut, all seine bisherigen Bücher wurden zu Bestsellern. In seinem aktuellen Buch "Der stille Putsch" legt sich der Autor erneut mit den Mächtigen der Welt an. Kernthema in "Der stille Putsch" ist die vollständige Unterwanderung der Demokratie durch die global operierenden Wirtschaftseliten. Kein Bereich ist vor ihnen sicher.
Auch dieses Buch konnte in diesem Umfang nur entstehen, da sich der Autor zuvor über Monate mit zahlreichen Whistleblowern aus den unterschiedlichsten Chefetagen traf und ihre Aussagen anschließend anonymisiert zu Papier brachte. Während Roths bisherige Bücher eine breite Besprechung auch in den öffentlich-rechtlichen Medien erfuhren, ist es um dieses Buch bisher erstaunlich ruhig geblieben. Das verwundert um so weniger, da Roth in "Der stille Putsch" zeigt, dass die Korruption und das Kungeln nicht nur traditionell in Wirtschafts- und Bankenkreisen zum festen Bestandteil der Gegenwart gehört, sondern mittlerweile auch große Teile der deutschen Presselandschaft okkupiert hat. Die aufklärende Presse befindet sich im Dauer-Koma, spätestens seit dem 11. September 2001.
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