Alles findet sich wieder; man muss nur warten können und nicht auf die Tube drücken. An einem schönen, nicht zu heißen Julinachmittag des Jahres 2015 kam mein alter Nachbar und westfälischer Freund Roland auf die Terasse von Stéphane Collard geschlürt, einen Ort, an dem es sich bei bretonischem Apfelsaft, Pampelmusenlimonade, Crémant – auch aus dem Keller des großen Gérard Dépardieu –, Wein, Champagner, Brot, gesalzener Butter, Würsten, Schinken und Käse wohl sein lässt, solo oder in Gesellschaft, die ein Buch sein kann oder ein Mensch, und das sogar im Plural. Plätze, an denen ein munterer Austausch von Gedanken genauso möglich ist wie behagliches Schweigen, sind rar; man muss sie sich und den Seinen erhalten.
Roland hatte ein Buch dabei, und das nicht einfach so: Er schenkte es mir. Es war ein Prachtband, »Fredmans Episteln an diese und jene, aber hauptsächlich an Ulla Winblad« von Carl Michael Bellman, in einer Ausgabe des Verlags Philipp Reclam jun. Leipzig von 1983. Roland hatte es bei einem Trödler um die Ecke gefunden, einem, der durch Mieterhöhung hinfortgentrifiziert wird, wie das in Berlin-Kreuzberg die Regel ist, wo sich ein weltanschaulich desinteressiertes Publikum brei- und breitgemacht hat, vor dem auszuspeien verfehlt wäre, weil es nicht einmal diese überdeutliche Geste begriffe.
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- Unverhofftes Wiedersehen (Wiglaf Droste, junge Welt, 28.08.2015)
Allerlei Polohemdenträger defilierten vorbei, die Sorte Mann, die sich von Mausi einkleiden lässt, weil sie selbst sogar noch weniger Geschmack hat als diese und sich so gern wie bequem mit einem »Das kannst du doch gut tragen, Schatz!« aus der Welt der Erwachsenen ausschließen lässt. Nicht aber so Freund Roland: Tadellos gekleidet stand er da, ein Mann des tätigen Werks mit den Händen und ein Liebhaber der Dichtung.
Das Buch, das er mir schenkte, enthielt eine handschriftliche Widmung, die mich rührte: »Andreas«, der einmal die nach Carl Michael Bellman benannte »Bellman Bar« geführt hatte, in der ich mit ihm und wunderbaren anderen viele Nächte verbracht hatte, schrieb am dreizehnten Mai Zweitausendzwei hymnische Worte an einen »Karsten«, der damals das »Café Kreuzberg« besaß. Beide sind, aus unterschiedlichen Gründen, von ihrer Barinhaberschaft zurückgetreten, und beide Bars betrat ich seitdem nur noch ein einziges Mal und dann nie wieder. Perdü ist perdü; demjenigen aber, der sich nicht erinnern kann oder will, wird immer etwas Lebenswichtiges fehlen.
Rolands Geschenk an mich erwies sich als eine poetische Goldmine. Ohne unhöflich sein zu wollen, musste ich sogleich hinein – und wurde fündig. »Fredmans Epistel über einen unvorbereiteten Abschied, verkündet bei Ulla Winblads Frühstück an einem Sommermorgen im Grünen« wurde, wie manches andere im prallen Buch, nachgedichtet von dem mir überhaupt nicht unvertrauten Dichter Peter Hacks.
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