Freitag, 4. September 2015

Klassenfrage Klimawandel

Hauptverursacher der Erderwärmung sind die Konzerne des reichen Nordens – die Leidtragenden vor allem die Elenden des Südens
Seit fast 200 Jahren wissen wir, dass bestimmte Spurengase in der Erdatmosphäre maßgeblichen Einfluss auf das Klima haben. Als erster stellte der französische Mathematiker und Naturforscher Jean Baptiste Joseph Fourier (1768–1830) in den 1820ern fest, dass irgendetwas in der Atmosphäre für ein vergleichsweise angenehmes Klima sorgen müsse. Denn eigentlich sollte die Erde, so konnte Fourier seinerzeit schon errechnen, bei dem gegebenen Abstand von der Sonne rund 30 Grad Celsius kühler sein. Seine Schlussfolgerung war, dass die den Planeten umgebende Lufthülle für die ausgehende Wärmestrahlung offensichtlich nicht vollständig durchlässig ist. 

[siehe: Mémoire sur les températures du globe terrestre et des espaces planétaires, Annales de Chimie et de Physique 1824, leicht verändert 1827 in den Mémoires de l'Academie royal des Sciences de l'Institut de France, Band 7, S. 570-604, nachgedruckt und in Fouriers Werken 1890, Band 2, bei Gallica [Joseph Fourier, Fußnote 1Wikipedia]

Rund 40 Jahre später identifizierte der irische Naturforscher John Tyndall (1820–1893) erstmals die »Übeltäter« in Laborversuchen: Wasserdampf und Kohlendioxid (CO2) absorbieren die Wärmestrahlung des Erdbodens und erhöhen damit die Temperatur der unteren Luftschichten. Sie halten somit mehr Energie im System Erde zurück, als es bei einer allein aus Sauer- und Stickstoff bestehenden Atmosphäre der Fall wäre.
Daneben erforschte er auch Gletscherbewegungen, sowie die Streuung und Absorption von Licht in der Atmosphäre. Um Gletscher besser erforschen zu können, unternahm er 1856 gemeinsam mit Thomas Henry Huxley eine Reise in die Schweiz, deren Resultate er mit diesem in einer Abhandlung vorlegte. Im Januar 1859 stellte er das winterliche Vorrücken des Mer de Glace fest. Auf der Suche nach Ursachen für die vergangenen Eiszeiten war er nicht nur der Erste, der hierfür eine veränderte Konzentration der Treibhausgase Wasserdampf und Kohlendioxid zur Diskussion stellte, sondern auch konkrete Messungen anstellte, mit Hilfe derer er die für den natürlichen Treibhauseffekt verantwortlichen Gase identifizieren konnte.[3] [John Tyndall, Wissenschaftliche ArbeitWikipedia]

Ein paar Jahrzehnte später konnten Wissenschaftler bereits berechnen, wieviel Wasserdampf die Luft zusätzlich aufnehmen kann, wenn sie erwärmt wird. Damit konnte der Physiker und Chemiker Svante Arrhenius (1859–1927) um die Jahrhundertwende ausrechnen, wie sehr eine Verdoppelung der Kohlendioxidkonzentration in der Luft das Klima verändern würde. Die globale Temperatur würde sich um fünf bis sechs Grad Celsius erhöhen, ergaben die Berechnungen des Schweden, der Jahre später für andere Arbeiten den Nobelpreis für Chemie erhalten sollte. 

Arrhenius forschte aber auch zu Themen der Atmosphäre und Meteorologie wie zum Beispiel über das Polarlicht, Gewitter und Klimaschwankungen. Er vermutete, dass kosmischer Strahlungsdruck über den Raum transportiert wird und so zu Lichterscheinungen wie dem Polarlicht führt. Er stellte im Jahr 1895 eine Theorie zum Treibhausgaseffekt vor. Kohlenstoffdioxid könnte die ultraroten Wärmestrahlen des von der Erde abgestrahlten Lichts absorbieren und durch viel Kohlenstoffdioxid könnte sich das Erdklima aufheizen. Insbesondere durch verstärkte vulkanische Aktivität könnte sich der Kohlendioxidgehalt der Atmosphäre erhöhen, so dass es zu einem Temperaturanstieg kommen könne. Auch nahm er an, dass der Gehalt an Wasserdampf in der Atmosphäre in eine gleiche Richtung wie Kohlenstoffdioxid wirke und so das Resultat verstärken könne. Die Vegetation sollte seiner Meinung nach als Kohlendioxidregulator wirken. In der Forschungsgeschichte des Klimawandels nimmt er daher einen wichtigen Platz ein. Er gewann dem menschlichen, verstärkenden Einfluss auf den Treibhauseffekt überwiegend positive Seiten ab: „Der Anstieg des CO2 wird zukünftigen Menschen erlauben, unter einem wärmeren Himmel zu leben.“ [Svante Arrhenius,Meteorologie und GeophysikWikipedia]
Damit lag Arrhenius nur knapp oberhalb der zwei bis 4,5 Grad Celsius Erwärmung, von denen die meisten Forscher heute ausgehen.
Natürlich war der wissenschaftliche Fortschritt nicht ganz so geradlinig, wie das in diesem kurzen Abriss erscheint. Zunächst mussten die Messinstrumente verfeinert werden, um die von der Strahlungsfrequenz abhängenden Eigenschaften des CO2 und des Wasserdampfes besser einordnen zu können. Wechselwirkungen mit den Wolken waren zu untersuchen und in mathematischen Modellen zu klären. Schließlich hat auch die Erforschung prähistorischer Klimaverhältnisse und die in den letzten 30 Jahren mittels Satelliten und Messbojen wesentlich verbesserte Beobachtung von Eiskappen, Ozeanen und Atmosphäre unser Bild vom Klimasystem Erde maßgeblich präzisiert.
Derweil konnten die Befürchtungen nicht zerstreut werden, sondern haben sich mehr und mehr verstärkt. Für Arrhenius war seinerzeit die Prognose einer potentiellen Erwärmung eher eine mathematische Fingerübung. Viele Jahrhunderte würde es nach seinen damaligen Berechnungen dauern, bis die Menschheit soviel Kohle und Erdöl verbrannt hätte, dass sie das Klima derartig verändert. Damals betrug die CO2-Konzentration in der Atmosphäre noch rund 280 Millionstel Volumenanteile (ppm). 

mehr: 
- Klassenfrage Klimawandel (Wolfgang Pomrehn, junge Welt, 04.09.2015)
Land unter: Wird der Ausstoß von Kohlendioxid nicht deutlich reduziert, steigt der 
Meeresspiegel weiter an. Mohamed Nasheed, damaliger Staatspräsident der Malediven, 
hält im Oktober 2009 aus Protest eine Unterwassersitzung seines Kabinetts ab
Foto: EPA/MALDIVES PRESIDENCY (Quelle: junge Welt)
Als am Morgen des 29. August 2005 Hurrikan »Katrina« bei New Orleans die USA erreichte, bekam die Welt vorgeführt, wie in einer vom Turbokapitalismus und eurozentrischen Rassismus beherrschten Welt mit den Opfern von Naturkatastrophen umgegangen wird. Die meist farbigen ärmeren Bewohner der US-Metropole blieben sich selbst überlassen. Über 1.000 ältere Bürger starben. Weiße bewaffneten sich und schossen auf schwarze Überlebende, nachdem die Zeitungen und Funkmedien voll mit erfundenen oder maßlos übertriebenen Geschichten von Plünderungen waren. Mindestens elf Todesfälle durch Schussverletzungen wurden gezählt, andere Quellen sprechen gar von 18. Die Opfer waren durchweg junge Schwarze, die Täter ausnahmslos weiß. Im Nachbarstädtchen Gretna wurden zu Fuß Flüchtende von Polizisten mit vorgehaltener Waffe vom Betreten der Stadt abgehalten und ohne Hilfe zurückgeschickt.
Dabei war »Katrina« kein übermäßig starker Hurrikan. Er nahm nur einen besonders ungünstigen Kurs und traf auf eine Stadt, die hinter löchrigen Deichen zwischen Mississippi und Golf auf meist niedrigem Grund eingeklemmt liegt. Der miserable Zustand der Deiche war seit langem amtlich dokumentiert, die Hurrikan-Gefahr in der Region ebenfalls. Dennoch wurden sie nicht ausgebessert und erhöht, dennoch gab es offensichtlich weder adäquate Evakuierungspläne noch ausreichend Notrationen, Notstromgeneratoren oder Notfallpläne.
Doch was hat »Katrina« mit dem Klimawandel zu tun? Es ist eher unwahrscheinlich, dass der Sturm eine Folge der globalen Erwärmung war. Ob Hurrikane, Taifune und Zyklone in einem wärmeren globalen Klima häufiger auftreten, ist ungewiss und wird von Region zu Region variieren. Sicher ist bisher nur, dass die Ereignisse auf jeden Fall intensiver werden. Die Geschichte »Katrinas« ist dennoch interessant, um den Umgang mit dem Klimawandel zu verstehen.
Wie im Falle New Orleans sind es immer die Ärmeren, die als erste und am härtesten betroffen sind. Jene, die keine Möglichkeit haben, sich rechtzeitig zu informieren, keine Mittel, sich rechtzeitig in Sicherheit zu bringen, jene, die sich keine Nahrungsmittel mehr leisten können, wenn deren Preise aufgrund plötzlicher Verknappung nach größeren Ernteausfällen in die Höhe schießen. Viele Folgen des Klimawandels werden aussehen wie ganz normale Naturkatastrophen, und so wie die Verantwortlichen in der EU heute zuschauen, wie Jahr für Jahr Tausende Flüchtlinge im Mittelmeer ertrinken, so werden die reichen Staaten in den kommenden Jahrzehnten zuschauen, wenn tropische Wirbelstürme das steigende Meer auf die Küsten Bangladeschs drücken oder Küstenmetropolen in Westafrika unterzugehen drohen.


HURRICANE KATRINA AND NEW ORLEANS - NOVA SCIENCE NOW - Discovery/History/Nature (documentary) [4:03]

Veröffentlicht am 05.03.2014
hurricane katrina and new orleans - nova science now (documentary). thanks for watching.

history life discovery science technology tech learning education national geographic nature earth planet channel universe weather climate temperature change natural disaster wind tornado tornadoes hurricane storm snow blizzard destruction rain rainy damage tropical sandy katrina volcano volcanoes earthquake earthquakes windy environment new orleans prepare preparation power emergency doomsday prepper preppers prepping survive survival rations supplies

Desperation at the Convention Center [9:05]

Hochgeladen am 05.12.2005
Thousands of people wait at the New Orleans Convention Center after Hurricane Katrina for some help.

** I recently looked at some of the comments posted on this video and strongly object to the racial comments. I have now disabled comments. Take your racist comments to your local klan meeting, they're not welcome on here**

Hurricane Katrina Aftermath: In the Shadow | Retro Report | The New York Times [11:17]

Veröffentlicht am 28.10.2013
Hurricane Katrina devastated the Gulf Coast in 2005, and Louisiana's troubled housing recovery has shaped the response to every major disaster since, including Hurricane Sandy.

Read the story here: http://nyti.ms/1cd8I2Q

Subscribe to the Times Video newsletter for free and get a handpicked selection of the best videos from The New York Times every week: http://bit.ly/timesvideonewsletter

Subscribe on YouTube: http://bit.ly/U8Ys7n

Watch more videos at: http://nytimes.com/video

»Katrina« hat außerdem gezeigt, dass es selbst in den reichen Ländern eine Klassenfrage sein wird, wer unter den Folgen der Erderwärmung zu leiden hat. Hierzulande ist der Umgang mit Unwetterkatastrophen in den letzten Jahrzehnten meist zivilisierter abgelaufen. Doch noch bei der großen Nordsee-Sturmflut im Februar 1962 starben im Hamburger Arbeiterviertel Wilhelmsburg an die 300 Menschen, weil die hanseatischen Behörden – Helmut Schmidt war seinerzeit Innensenator – schlecht vorbereitet waren und vor allem, weil sie sich nicht um den Zustand der Deiche gekümmert hatten.
Oder nehmen wir das Beispiel Hitzewellen, die in Europa mit Sicherheit zunehmen und an Intensität gewinnen werden. Im Sommer 2003 haben wir gesehen, was es bedeuten kann, wenn Bevölkerung und Gesundheitsversorgung nicht rechtzeitig darauf vorbereitet werden. Über 50.000 Menschen sind damals an den Folgen der Hitze gestorben, 7.000 davon in Süddeutschland. Das hat man seinerzeit aus den Sterbestatistiken in Westeuropa bestimmt. Einige Wissenschaftler sprechen sogar von bis zu 70.000 Menschen, die aufgrund der extremen Temperaturen in jenem Sommer in der EU starben. Besonders hoch war die Zahl der zusätzlichen Toten in der ersten Augustwoche 2003. Namentlich das französische Gesundheitssystem zeigte sich während der dortigen Ferienzeit hoffnungslos überfordert, aber auch in Baden-Württemberg, das damals am stärksten geplagte Bundesland, waren die Einrichtungen auf den Ansturm besonders vieler alter Patienten mit Kreislaufproblemen nicht vorbereitet.
Natürlich müssen derartige Krisen, die sich in einer wärmeren Welt mit Sicherheit häufen werden, nicht als Naturkatastrophen betrachtet werden. Meteorologen können sie mit einigen Tagen Vorlauf vorhersagen, Krankenhäuser, Ärzte, Altenheime und Kindergärten könnten langfristig auf sie vorbereitet und besonders gefährdete Bevölkerungsgruppen, das heißt, insbesondere alte Menschen und Kinder, aufgeklärt werden. Die Frage ist allerdings, was davon in Zeiten von Fallkostenpauschalen, Privatisierung und Bettenabbau umgesetzt werden wird.

Keine Kommentare:

Kommentar veröffentlichen