Mittwoch, 16. September 2015

Flüchtlingsstrom: »You can't have a point of view in the Electronic Age«

Die Regierungen sind überfordert, weil sich die Flüchtlinge über Medien und Internet in Echtzeit ohne zentrale Steuerung netzförmig als Schwärme organisieren 

Die Flüchtlinge haben in den letzten Tagen gesehen, dass sie als Masse Macht ausüben und dass sie über die Medienöffentlichkeit Druck ausüben können. Sie wissen auch, dass die Regierungen möglichst davor zurückschrecken, Gewalt anzuwenden, aber auch überfordert sind, weil sie nicht wissen, wie sich die in Echtzeit organisierenden Flüchtlingsschwärme verhalten werden.

Allein durch die massenhafte Wanderung von Budapest Richtung Österreich hatten sie die Regierungen in Österreich und Deutschland dazu gebracht, die Grenzen zu öffnen. Die Überflutung der griechischen Inseln ließ die dortige Regierung einbrechen, die den Flüchtlingen half, nach Athen zu kommen und von dort aus auf die Balkanroute nach Mazedonien. Das kleine Land schob auch einfach weiter ebenso wie Serbien. Selbst die harte Haltung Ungarns bis hin zu den Notstandsgesetzen und dem Bau des Grenzzauns führte einerseits zum Anschwellen des Stroms, aber förderte auch die Aufmerksamkeit. Mittlerweile hat das Flüchtlingsthema den Ukraine-Konflikt und die Schuldenkrise mitsamt Griechenland an den Rand gedrängt.

Die Regierungen, die versuchen, die Flüchtlingsströme, die durch zirkulierende Informationen, Gerüchte, Empfehlungen und Warnungen als eine Art Flashmob von unten entstanden sind und sich selbstorganisierend schwarmförmig verhalten, zu bremsen und zu regulieren, sind offensichtlich überfordert. Während man es kurz zuvor noch mit den sich sensibel verhaltenden "den Märkten" zu tun hatte, sind es nun diese Massen, die aus dem Verhalten der einzelnen Menschen entstehen, das sich über die Kommunikation und die Medienöffentlichkeit in Echtzeit zu einer kollektiven, aber von niemanden gelenkten und letztlich unvorhersehbaren Dynamik entfaltet.

Europa ist nun konfrontiert mit dem Phänomen, das man aus der Ferne als Arabischen Frühling beobachtet hatte und das etwa in Italien oder in Spanien zu Protesten und dann zu politischen Bewegungen wie Podemos oder MoVimento 5 Stelle geführt hat. Und Europa reagiert auf dem Hintergrund der bereits gewachsenen Strukturen von ausländer- und muslimfeindlichen Bewegungen und Parteien ähnlich netzwerkförmig in einer viralen Erregung, die eben zu plötzlichen Entscheidungen wie der von Bundeskanzlerin Merkel führte, die Grenzen zu öffnen, um sie dann gleich wieder schließen zu wollen.

Rational, vorhersehend, konzeptuell wird weder von den Regierungen noch von den Flüchtlingen gehandelt, die verzweifelt, aber blindlings das Schicksal herausfordern und wohl davon getrieben werden, dass sie als Einzelne vielleicht eine Chance auf ein besseres Leben noch ergreifen können. Wohl wissend, dass die Offenheit schnell in Abwehr umschlägt, schließlich kommen viele aus Kriegsgebieten, wo rohe Gewalt herrscht und man Glück haben muss, um nicht Opfer zu werden. Trotzdem scheinen sie der Logik einer Schwarmintelligenz zu folgen.

mehr:
- Die Flüchtlinge haben ihre mediale Macht entdeckt (Florian Rötzer, Telepolis, 16.09.2015)
Als ein früher zweckloser (und damit vom Smart Mob unterscheidbarer) Flashmob gilt eine Aktion des Journalisten Bill Wasik am 3. Juni 2003 in New York. Mehr als hundert Teilnehmer versammelten sich in einem Kaufhaus um einen Teppich. Kaufhaus-Mitarbeitern teilten sie mit, dass sie einen „Liebesteppich“ suchten und Kaufentscheidungen grundsätzlich gemeinsam träfen. Danach versammelte sich eine noch größere Gruppe in einer Hotel-Lobby und applaudierte exakt 15 Sekunden, schließlich strömten die Teilnehmer in ein Schuhgeschäft und gaben sich dort als Touristen aus.[7] Bill Wasik hat in einem Artikel im März 2006 bekundet, seine Absicht sei gewesen, hippe Leute vorzuführen, die in einer Atmosphäre der Konformität nur danach strebten, Teil der „nächsten großen Sache“ zu werden, egal wie sinnfrei diese sei.[8]  (Flashmob, Geschichte, Wikipedia)
Prison's flash mob.Michel Jackson's song(its realy nice) [4:26]

Hochgeladen am 22.10.2010
2009. Michael Jackson

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