Sonntag, 22. November 2015

Perversionen: »Die Geschichte der O« hatte dieses Jahr 40. Geburtstag

Mit "Fifty Shades of Grey" feiert das SM-Kino ein Comeback - ein Skandal? Wohl kaum: Die Heldin des Films erniedrigt sich viel emanzipierter als jene der "Geschichte der O" - die 1975 Feministinnen dazu trieb, Stinkbomben zu werfen und auf Kinosessel zu pinkeln.

Sie ließ sich geduldig auspeitschen, gehorsam fremden Männern zuführen, zur willfährigen Lustdienerin ausbilden. Mit Hundehalsband, ohne Höschen, stets gefügig. Mund und Beine nie ganz geschlossen, immer bereit. Ihr Abschlusszeugnis? Ein "O", von ihrem Besitzer Sir Steven in die Haut eingebrannt. Der Buchstabe "O" steht für "Objekt".

Am Ende des Films wagt diese gelehrige, unterwürfige O jedoch plötzlich Unerhörtes: Vor dem flackernden Kaminfeuer, auf der braunen Ledercouch eng an ihren Herrn und Meister gekuschelt, stellt sie IHN, dem zuliebe und zu Ehren sie all diese "süßen Qualen" über sich ergehen lassen durfte, infrage. Sie möchte wissen, ob er, der behaupte, sie zu lieben, denn auch bereit wäre, nur eine der vielen Prüfungen zu bestehen, die sie für ihn auf sich nahm. Als er halbherzig bejaht, brennt sie ihm mit der glühenden Spitze eines Zigarillos ein ringförmiges Zeichen auf den Handrücken: Erst jetzt ist die Sadomaso-Ehe besiegelt.

Diesen Schluss, der das Gleichgewicht der Geschlechterkräfte symbolisch wieder herstellen soll, hatten Drehbuchautor Sébastien Japrisot und Regisseur Just Jaeckin für ihre Verfilmung des 1954 erschienen Skandalromans und Weltbestsellers "Geschichte der O" von Dominique Aury eigens hinzuerfunden. So ganz geheuer war ihnen die Sache mit dem Sadomasochismus in der ganzheitlichen 24/7-Variante der Romanvorlage offenbar nicht. Wohl ahnten sie auch, dass ihre Adaption ähnlich wie die Vorlage mächtig Staub aufwirbeln würde.
mehr:
- Sadomaso-Filmklassiker: Mit Hundehalsband, ohne Höschen (Stefan Volk, SPON, 11.02.2015)

Die Geschichte der O - Trailer [1:05]

Veröffentlicht am 30.01.2015

siehe auch:
- Die Geschichte der O und der Feminismus (Susan Sontag, ZEIT Online, 23.04.1976)
Das Schicksal der „O“ scheint mir keine taugliche Allegorie für das feministische Bewußtsein noch auch nur für die althergebrachte Unterwerfung der Frau abzugeben.

Mein Interesse an dem Buch beruhte und beruht noch immer auf dem Freimut, mit dem es sich der dämonischen Seite der sexuellen Phantasie annimmt. Die grausame Unbedingtheit der Phantasie, für die es Partei nimmt (und die es keineswegs beklagt), ist mit der optimistischen und rationalistischen Denkweise nicht zu vereinbaren, die im Feminismus vorherrscht. Das utopische Denken der Pornographie ist auf eine negative Utopie aus, wie die meiste Science-fiction-Literatur. Da es in der Regel männliche Schriftsteller waren, die betont haben, wie wild, zersetzend und paradox die Kraft der Sexualität (potentiell, ideell) ist, wird gemeinhin angenommen, daß diese Art der Phantasie Frauen diskriminiere. (Sie kann auch Männer diskriminieren, wie in Monique Wittigs Lobliedern auf die entfesselte sexuelle Kraft.)

Was ein Werk der „pornographischen Phantasie“ von anderen Darstellungen des Geschlechtslebens unterscheidet, ist der Umstand, daß es Sexualität als Extremsituation behandelt. Was die Pornographie schildert, wirkt dadurch in einem sehr offensichtlichen Sinn ziemlich unrealistisch. Die sexuelle Kraft ist nicht unversieglich; sexuelle Akte lassen sich nicht unermüdlich wiederholen. In einem anderen Sinn jedoch verfährt die Pornographie mit wesentlichen Realitäten des Begehrens auf eine geradezu rüde Weise genau. Daß Wollust Hingabe und Selbstaufgabe bedeutet, daß die sexuelle Hingabe (phantasievoll genug vollzogen, maßlos genug fortgesetzt) den individuellen Stolz unterhöhlt und der Vorstellung Hohn spricht, der Wille könne jemals frei sein – dieses sind Wahrheiten über die Sexualität selber und ihre möglichen natürlichen Konsequenzen. Weil es eine derartige Askese darstellt, vollständig für die Wollust zu leben, geben sich nur wenige Menschen der Lust bis an ihr äußerstes Ende hin. Die Phantasievorstellung einer sexuellen Apokalypse ist jedoch weit verbreitet – zweifellos ist sie ein Mittel zur Steigerung der sexuellen Lust. Und was uns das über den sozusagen inhumanen Charakter intensiver Lust mitteilt, wird von den? humanistischen „revisionistischen“ Freudianismus ignoriert, der die unbändigen Kräfte der unbewußten oder irrationalen Gefühle minimalisiert und mit dem sich die meisten Feministinnen zufrieden geben.
- Liebe als Versklavung (Dieter E. Zimmer, ZEIT Online, 14.11.1975)
Einige Frauenorganisationen wandten sich an Françoise Giroud, früher Mitherausgeberin eben von „L’Express“, heute Staatssekretärin für die Lage der Frau – eine erstaunliche Frau, die mit gleicher Intelligenz und Kompetenz über Politik, Moral und Kunst zu sprechen weiß. Während der Veröffentlichung des Romans hatte sie ihren Namen aus dem Impressum von „L’Express“ zurückgezogen. Ihre Antwort an die protestierenden Frauen aber war keineswegs die erwartete Verdammung: „Zu seinerZeit handelte es sich um einen außerordentlich befreienden Text, da hier zum erstenmal eine Frau wagte, von ihren Phantasmen zu erzählen ... ‚O‘ war jenseits des Skandals. Eine Frau, man denke nur! Frauen hatten also auch Geschlecht und Gehirn, die sich gegenseitig beeinflußten? Man hatte doch geglaubt, sie seien Kinder ... Ihres historischen Kontextes be raubt, mit den Augen von 1975 gelesen, ist die ‚Geschichte der O‘ eine Art Hymnus an die Sklaverei, die als höchste Vollendung einer leidenschaftlichen Liebe erlebt wird. Jedem seine Obsessionen. Vielleicht treffen sich die der Autorin mit denen zahlreicher Frauen? Oder sind im Gegenteil die Frauen zahlreicher, die im Geheimen ihrer Phantasie davon träumen, die Männer bis aufs Blut zu peitschen? Keiner weiß das, ausgenommen vielleicht einige Psychiater, die sich in den Träumen ihrer Patienten auskennen. Aber ist es nicht die natürlichste Haltung, sogar vor sich selber abzustreiten, was man durchaus an seine innere Leinwand zu projizieren imstande ist? Dennoch, im Klima des Kampfes, den die Frauen heute liefern, um sich die Maske der devoten Dienerin vom Gesicht zu reißen, die die Jahrhunderte ihnen aufgedrückt haben, ... muß man verstehen, daß die Veröffentlichung dieses Textes sie verletzen muß.“

Zitate von Pauline Réage:
"Ich glaube, daß der Mensch ein Bedürfnis nach Gewalttätigkeit und Grausamkeit hat, nach Gefahr und Verzweiflung, das der Krieg befriedigt. Daß eine Nachtseite der menschlichen Natur da zutage drängt. Nach meiner Ansicht dient dazu ein großer Teil der Literatur, sie macht diese abscheuliche Seite frei und bringt sie ans Licht. Wenn Sie Kriegsfilme gesehen, Bücher über Konzentrationslager oder Folterungen gelesen haben, so werden Sie feststellen, daß alles Böse in Ihnen sich gewissermaßen daran weidet." -(Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)
(Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)
Pablo Picasso Der Stierkampf 50 x 40 Kunstdruck [Quelle: Yatego]
dazu:
- Der Stierkampf bei Picasso (P. F. Althaus, Du: kulturelle Monatsschrift, 1958, gefunden bei retro.seals.ch)
- Michel Leiris: Spiegel der Tauromachie eingeleitet durch Tauromachien (Lothar Glauch, satt.org)
- Ihr müßt den Luftzug der Hörner spüren (Helmut Sorge, SPON, 23.05.1988)
- Psychoanalyse des Toreros (Taurino-Verlag)



meine Frage:
Was geschieht mit einer Gesellschaft, die die Energie aus ihren dunklen Seiten nicht mehr abzuführen imstande ist? (zumal sie ihre dunklen Seiten verleugnet)


"Danken Sie dem Himmel für die Augenblicke, in denen jemand in Ihren Armen vergeht und Sie in den seinen. In diesen Augenblicken gleichen Sie den Wolken, den Wassern, sind ein Wehen im Wind - der Rest ist das harte, unbegreifliche Leben, das man uns bereitet hat und das wir einander bereiten, man muß es eben erdulden." - (Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)
(Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)
" Wer die Wahrheit besitzt, wird früher oder später einen anderen töten, um sie durchzusetzen. Die schrecklichsten Kriege wurden nicht geführt, weil man Gebiete erobern wollte, sie wurden geführt, weil man Ideen verbreiten wollte. " - (Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)
(Régine Deforges, Pauline Réage: Die O hat mir erzählt, Ullstein, Berlin 1994, zit. in Pauline Réage, Wikiquote)

"The Act of Killing": New Film Shows US-Backed Indonesian Death Squad Leaders Re-enacting Massacres [13:40]

Veröffentlicht am 19.07.2013
http://www.democracynow.org - This is the first part of a 45-minute interview Joshua Oppenheimer, the director of a groundbreaking new documentary called, "The Act of Killing." To watch the full interview, visit http://owl.li/n7Zkz.

The film is set in Indonesia, where beginning in 1965, military and paramilitary forces slaughtered up to a million Indonesians after overthrowing the democratically elected government. That military was backed by the United States and led by General Suharto, who would rule Indonesia for decades. There has been no truth and reconciliation commission, nor have any of the murderers been brought to justice. As the film reveals, Indonesia is a country where the killers are to this day celebrated as heroes by many. Oppenheimer spent more than eight years interviewing the Indonesian death squad leaders, and in "The Act of Killing," he works with them to reenact the real-life killings in the style of American movies in which the men love to watch — this includes classic Hollywood gangster movies and lavish musical numbers. A key figure he follows is Anwar Congo, who killed hundreds, if not a thousand people with his own hands and is now revered as a founding father of an active right-wing paramilitary organization. We also ask Oppenheimer to discusses the film's impact in Indonesia, where he screened it for survivors and journalists who have launched new investigations into the massacres. The film is co-directed by Christine Sin, and an Indonesian co-director who remains anonymous for fear of retribution, as does much of the Indonesian film crew. Its executive producers are Werner Herzog and Errol Morris. "The Act of Killing" opens today in New York City, and comes to Los Angeles and Washington, D.C., on July 26, then to theaters nationwide.

Read the full transcript of the interview at http://owl.li/n7Zkz.

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Der Film ist noch bis 26. November in der Arte Mediathek zu sehen.
Der Film konfrontiert den Zuschauer auf nie dagewesene Weise mit der banalen Alltäglichkeit des Bösen…(Arte-Mediathek)
- Genozid-Doku: „Als wollte er Dämonen auskotzen” (Christophe Braun, Interview mit Joshua Oppenheimer, Cicero, Datum nicht eruierbar)
- Vergangenheitsbewältigung – Indonesiens verdrängter Massenmord (Arne Perras, Süddeutsche, 11.10.2015)
- Die langen Leiden der "Tapols" – Indonesiens Generäle entfesselten vor 40 Jahren einen der schlimmsten Massenmorde des 20. Jahrhunderts (Jochen Reinert, Neues Deutschland, 30.09.2005, gefunden bei der AG Friedensforschung)

Mit offenen Karten: Schwellenland Indonesien [12:01]

Veröffentlicht am 20.02.2015
Mit offenen Karten: Sendung über die Entwicklung Indonesiens. Thematisiert werden die geografische und geopolitische Lage des Landes, die Vielfalt der Bevölkerung, die Demokratisierung Indonesiens, sowie die wirtschaftliche Entwicklung und Aktivität, Bodenschätze, die Bedeutung der Handelsrouten für die Wirtschaft, Umweltprobleme, die Auswirkungen der Verstädterung. Schließlich werden die Unabhängigkeitsbewegungen in Papua, Timor und Aceh sowie Terroranschläge im Land behandelt Erstausstrahlung: 07.02.2015.

- Massaker in Indonesien 1965–1966 (Wikipedia)
- Was geschah 1965 in Indonesien? : Größtes Massaker seit Hitlers Tagen (Peter Christian Hausdewell, ZET Online, 03.11.1967)

Dokumentation über "Die Geschichte der O" [1:02:05]

Veröffentlicht am 24.04.2015
" Der Anstand sollte allein schon durch die Lektüre der Tageszeitung verletzt sein… "

" Wenn der Betrachter findet, daß meine Bilder dem gesunden Menschenverstand Hohn sprechen, wird er sich einer offensichtlichen Tatsache bewußt. Ich möchte aber trotzdem hinzufügen, daß für mich die Welt ein Hohn auf den gesunden Menschenverstand ist. "(René Magritte)

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