Donnerstag, 16. Mai 2019

"Es gab noch nie so viel geistige Unfreiheit nach dem 2. Weltkrieg wie heute.“

Ein Gespräch mit dem Philosophen Norbert Bolz über die fehlende Streitkultur an Universitäten, mittelmäßige Lehre, den Bologna-Prozess und den Habermas-Schredder, durch den Philosophie an der Uni zu Püree wird.

Sehr geehrter Herr Professor Bolz, in einem Interview mit der Zeitschrift Cicero bezeichneten Sie die Universität als Ort der Resignation. Warum und inwieweit?

Das hat natürlich für unterschiedliche Beteiligte unterschiedliche Gründe. Um mal mit den Studenten zu beginnen: sie treffen zunehmend auf verschulte Universitäten. Das ist natürlich für die mittelmäßigen oder schlechten ein Glück, dass sie im Grunde fortgesetzt in die Schule gehen können. Es ist aber für alle diejenigen, die das Abitur gemacht haben, um richtig zu lernen und zu studieren, eine große Enttäuschung. Man studiert nur noch auf Scheine hin, auf Klausuren hin. Früher hat man gesagt, dass man keinen Bildungsstoff lernt, sondern den Lehrer. Leider Gottes gilt das auch jetzt für die Universitäten. So versucht man, möglichst schnell an die Scheine zu kommen.

Für die wirklich begabten Studenten ist das natürlich eine Tristesse. Unter „Bologna“ wird das diskutiert, wobei das zumindest für die Geisteswissenschaften eine einzige Katastrophe ist. Für die Professoren sieht die Sache ähnlich aus, allerdings aus einer anderen Perspektive. Die meisten Professoren leiden unter dem Desinteresse und der Apathie der Studenten, die sehr begründet ist. Die Schuld liegt einzig und allein an diesem absurden Konzept der Standardisierung aller möglichen Studiengänge. Das führt zum Beispiel dazu, dass Sie in vielen Studiengängen, wie auch in meinem, Ihre Vorlesungen gar nicht mehr frei variieren können, sondern dass Sie Module konstant anbieten müssen, so dass ich, was früher für mich selbstverständlich war, nämlich in jedem Semester etwas vollkommen anderes zu machen, und die Studenten an meinen eigenen Forschungen zu beteiligen, nicht mehr möglich ist.

mehr:
- "Es gab noch nie so viel geistige Unfreiheit nach dem 2. Weltkrieg wie heute.“ (Gespräch von Hans-Martin Esser mit Norbert Bolz , The European, 16.05.2019)
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