Netanyahu besucht die Ukraine, in der Präsident und Premier ebenfalls Juden sind. Den Holocaust schreiben sie nur den Nazis zu.
Wer die Ukraine beobachtet, weiss es: Zurzeit wird die eigene Geschichte umgeschrieben. Die Ukrainer waren immer nur «Opfer», und die Nationalisten, auch jene mit viel Blut an den Händen, werden heute als Helden im Kampf gegen Russland gefeiert.
So war der Besuch von Israels Premier Benjamin Netanyahu in Kiev vier Wochen vor den Wahlen in Israel besonders beobachtenswert.
Der Besuch begann mit einem – gelinde gesagt – «Fauxpas»: Junge Ukrainer in ukrainischer Tracht empfingen Benjamin Netanyahu und seine Frau Sara gleich am Fuss der mobilen Treppe, auf der die beiden aus dem Flugzeug stiegen – mit dem ältesten Symbol für Gastfreundschaft: mit Brot und Salz. Netanyahu brach sich ein Stück Brot ab und steckte es in den Mund, dann brach er ein zweites Stück ab und gab es seiner Frau. Diese sah es kurz an und schmiss es dann einfach weg. Ein Verstoss gegen alle guten Sitten der Gastfreundschaft – und der Diplomatie. Aber wir lassen das jetzt lieber. (Netanyahu versuchte dann später in einer Rede, das Problem mit Humor zu lösen: Es sei immer gut, wenn sowas passiere, jetzt werde über seinen Besuch hier in Kiev wenigstens berichtet. Ohne diesen «Skandal» dagegen würde sich niemand für seinen Besuch interessieren.)
Zum Thema:
Wenn Netanyahu irgendwo zu Besuch geht, wo im Rahmen des Holocaust Juden ermordet wurden, ist es seine diplomatische Pflicht, die Holocaust-Erinnerungsstätten zu besuchen. So auch in Kiev, wo in der Schlucht Babyn Jar im September 1941 innerhalb weniger Tage über 30'000 Juden ermordet wurden – eines der schlimmsten Massaker im Zweiten Weltkrieg. Und natürlich mit keinem Wort erwähnt wurde, dass da auch Ukrainer und Ukrainerinnen mit den Nazis zusammengearbeitet haben. Die Formulierung heisst dann meistens «die Nazis und ihre Kollaborateure». Selenskyj verzichtete in seiner Rede sogar auf den Zusatz «und ihre Kollaborateure». Als ob es keine Ukrainer gegeben hätte, die bei der Ermordung der Juden geholfen haben.
- Die Ukraine verschweigt eigene Holocaust-Beteiligung (Christian Müller, Info-Sperber, 22.08.2019)
siehe auch:
- Ukraine: Verbrannte Geschichte (Post, 11.05.2015)
und:
- Heute vor 100 Jahren – 10. Juni 1915: Die Morde in der Kemach-Schlucht (Post, 10.06.2015)
Mein Kommentar:
Wie man in ein Land, welches eine solche Verleugnungs-Tradition hat, Freiheit und Demokratie bringen will, ist mir schleierhaft. Die Verleugnung findet ja nicht nur in der politischen Elite statt!
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