Freitag, 1. Juni 2018

Feminismus in Zeiten des Neoliberalismus: »Heute nennt sich Hillary Clinton Feministin.«

In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts nannte ich mich mit Stolz Feministin. Heute frage ich mich, ob ich das weiterhin tun kann. Kann man als Linke, als Marxistin heute noch Feministin sein?

Damals bestand ich darauf, dass im Kampf für eine bessere Welt Frauenverachtung und -unterdrückung nicht übersehen, dass die Lage, die Probleme, Wünsche und Forderungen der Frauen zur Kenntnis genommen werden.

Überall, wo Menschen entrechtet, geknechtet und ausgebeutet werden, trifft es Frauen schlimmer und doppelt; sie werden millionenfach versklavt, vergewaltigt, verstümmelt, ermordet. Alles, was je Menschen angetan wurde, erleiden Frauen bis heute – nicht selten von ihren eigenen Männern.

Selbst in den modernen Demokratien, ja selbst im realen Sozialismus mit hoher Frauenerwerbsquote und Aufstiegschancen hatten Frauen nicht die gleichen Rechte und Chancen wie Männer. Grund genug für uns sozialistische Feministinnen, aktiv zu werden, Frauensolidarität zu proklamieren und zu leben. Mit unserer Forderung, die Hälfte der Unterdrückten und die Hälfte derjenigen, die die Veränderung der Gesellschaft bewirken wollen, zur Kenntnis zu nehmen, trafen wir in linken Organisationen allerdings auf wenig Verständnis.

Erst mit dem Sozialismus werde sich auch die Situation der Frauen grundlegend ändern lassen. Bis dahin solle der gemeinsame Kampf mit den Männern um das Recht auf Arbeit für Frauen, auf Kinderbetreuungsmöglichkeiten und gleichen Lohn für gleiche Arbeit ausreichen. Von der DKP über die SPD bis zu den Gewerkschaften war dies – mit einigen Modifikationen – die Haltung.

Von Patriarchat – gar innerhalb der Organisationen – zu reden, führte mindestens zu Stirnrunzeln. Unausgesprochen war Konsens, dass männliche Gewalt in den Familien, Selbstbestimmungsrecht über den eigenen Körper, andere sexuelle Orientierungen, männerdominierte Strukturen und Kulturen allenfalls Nebenthemen waren. Auch über Gewalt an Frauen in den eigenen Reihen sollte nicht gesprochen werden.

Sozialistische Feministinnen oder feministische Sozialistinnen saßen so zwischen zwei Stühlen, mindestens. Aber so schlecht war das gar nicht, wir waren dadurch auch eine Art Schnittstelle, die die Kapitalismuskritik in die Frauenbewegung trug und die vernachlässigten Frauenthemen in den linken Organisationen auf die Tagesordnung setzte. Die Frauenbewegung war politisch breit und der Antikommunismus weniger ausgeprägt als anderswo. Wir fühlten uns in Frauenzusammenhängen wohl in der Politik. Eine ganz neue Erfahrung für uns; das Klima war freundschaftlich, selbst wenn Tränen flossen. Wir hörten einander zu. Die Konsensorientierung war ausgeprägt und wir schafften es auch immer, einen Konsens zu finden (Zumindest im Saarland war das so). Frauensolidarität war die Grundlage unserer Kämpfe.

mehr:
- Pyrrhussieg des Feminismus (Christel Buchinger, FREIDENKER“ Nr. 2-18, Juni 2018, S. 33-38, 77. Jahrgang )
siehe auch:
Giulia Farnese [1474-1524] und Papst Alexander VI. (Post, 22.10.2018)
MeToo und eine Chinesin bei der Deutschen Welle: Deutsche Männer sind arme Schweine (Post, 06.12.2017)
hashtag #Metoo: Zwischen übler Nachrede und Befreiungsschlag – Die mediale Welt als Pranger (Post, 18.11.2017)
Gleichstellungsbeauftragte und bayerische Tradition (Post, 25.05.2015)
»Natürlich nehmen wir den Mann mit.« (Post, 22.04.2012)

aktualisiert am 24.08.2019

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