Montag, 4. März 2013

Der Richter und sein Banker

Ratingagenturen üben eine enorme Macht über Staaten und Unternehmen aus. Aber wem gehören sie eigentlich? Werner Rügemer deckt schockierende Verflechtungen in ihren Eigentumsstrukturen auf.

Jeder wird einsehen, dass der Schiedsrichter eines Spiels nicht zum Personal einer der beiden Mannschaften gehören sollte. Es gibt aber ein Spielfeld, auf dem dieses Prinzip offenbar nicht oder nur eingeschränkt gilt: das der großen Rating-Agenturen. Die drei Weltmarktführer Standard & Poor’s, Moody’s und Fitch haben sich in der Finanzkrise nicht mit Ruhm bekleckert. Weil sie Lehman Brothers noch kurz vor seinem Untergang beste Noten gaben und marode Immobilienkredite, die teils unter ihrer eigenen Mithilfe entstanden waren, hoch bewerteten, rechnet man sie zu den Krisenfaktoren.

Immer wieder hagelte es Kritik, von Reformen bis hin zum Verbot war die Rede. Doch es geschah nicht viel. Alle drei florieren. Die eigene Leistung sah man offenbar in hellerem Licht und erhöhte nach der Krise kräftig die Gebühren. Wie konnte die Flucht aus der Verantwortung gelingen? Es liegt daran, dass die mächtigen Kontrolleure des Finanzmarkts ihre Macht weitgehend unkontrolliert ausüben. Ihre für objektiv erklärten Urteile über die Kreditwürdigkeit von Unternehmen und Staaten geben sie als unverbindliche Meinungsäußerung aus, für die sie keinerlei Haftung übernehmen. Als sei das, was Staaten in Krisen und Regierungen in Handlungsnot stürzen kann, nur eben so dahingesagt.

Dieser Flucht in die Unverbindlichkeit steht auch entgegen, dass die Ratings fest in den Regelwerken des Finanzmarkts verankert sind und faktische Verbindlichkeit haben. Wie hätten die Agenturen sonst mit ihren Ratings über Krisenstaaten die europäische Politik vor sich hertreiben können? Amerikanische Regierung und Justiz schlossen sich jedoch der Sicht der Agenturen an und schonten sie mit dem Verweis auf die Meinungsfreiheit. Andere Nationen folgten. Fast alle Klagen scheiterten. Was ist der tiefere Grund dieser pfleglichen Behandlung?

mehr:
- WERNER RÜGEMER: RATING-AGENTUREN: Der Richter und sein Banker (Buchbesprechung, Thomas Thiel, FAZ, 04.03.2013)

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Der Publizist Werner Rügemer hat auf der Grundlage des Verlaufs bisheriger ÖPP-Projekte und Recherchen vor Ort eine „Spur des Scheiterns“ diagnostiziert. Verschiedene Formen des Scheiterns seien festzustellen:
  • Der Investor geht bereits in den ersten Jahren in die Insolvenz, die öffentliche Hand muss die Verpflichtungen des Investors übernehmen und mit Verlust neu beginnen, so beim Freizeit- und Badepark der Stadt Leimen in Baden-Württemberg und bei zahlreichen weiteren Bäderprojekten wie der Keitum-Therme auf Sylt.[34]
  • Der Investor steigert durch Nachforderungen die Miete weit über die anfangs vereinbarte Höhe, so etwa bei den 90 Schulen des Landkreises Offenbach und bei der Hamburger Elbphilharmonie.[35]
  • Beim Warnow-Tunnel in Rostock und beim Trave-Tunnel in Lübeck erwies sich die Kalkulation der Investoren HochtiefBilfinger Berger und Bouygues als geschönt; deshalb wurden die Laufzeiten der Verträge von 30 auf 40 bzw. 50 Jahre erhöht, sodass Einwohner und andere Autofahrer länger Maut zahlen müssen und das Eigentum an den Tunnels erst später als vereinbart an die Kommunen übergeht.[36]
  • Schließlich scheitern Projekte, weil der Investor seine vertraglichen Verpflichtungen nicht erfüllen kann, so etwa beim Projekt des digitalen Bürgerportals, das die Stadt Würzburg mit der Bertelsmann-Tochterfirma Arvato vereinbart hatte „Würzburg integriert!“.[37]
Diese vielfältigen Formen des Scheiterns führt Rügemer auf Strukturelemente des ÖPP-Verfahrens zurück: Geheimhaltung der Verträge, private SchiedsgerichtsbarkeitForfaitierung mit Einredeverzicht (Verkauf der Mietforderungen an eine Bank), hohe Transaktions- und Beraterkosten, Zugehörigkeit der einschlägigen Berater zur organisierten ÖPP-Lobby, Alleinbestimmungsrecht des Investors bei den Subunternehmen u. a. Auch in Wirtschaftskreisen wird ÖPP inzwischen heftig kritisiert: „Bei ÖPP verdienen Konzerne, Banken und Berater das große Geld. Gemeinsam mit der öffentlichen Hand haben sie ein intransparentes System geschaffen ‒ zulasten von Mittelstand und Steuerzahlern.“[38]
[Öffentlich-private Partnerschaft, Kritik von Werner Rügemer, Wikipedia, abgerufen am 02.09.2019]
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siehe auch:
Water Makes Money - Wie private Konzerne aus Wasser Geld machen (Post, 16.02.2013)
Die Macht der Rating-Agenturen (Post, 29.05.2012)
Enthemmte Wirtschaft – Krisen, Politik und Grenzen der Demokratie (Reinhard Jellen, Telepolis, Heise-Verlag 2012 – Google-Books)
Privatisierung als Ursache der Finanzkatastrophe (Reinhard Jellen, Gespräch mit Werner Rügemer über Cross Border Leasing, Telepolis, 28.10.2008)
Privatisierung – Blaues Wunder in Braunschweig (Gernot Knödler, taz, 07.10.2010)


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