Anmerkungen zum Stand der Inszenierung von Großbritanniens Einstieg in den Ausstieg aus der Europäischen Union - Ein Kommentar
Schade, dass Shakespeare das nicht mehr erleben darf! Der Brexit hätte zweifellos das Zeug zum Stoff für eines seiner klassischen Dramen um die unheilvolle Dynamik des Wahns, mit dem Herrscher sich und ihr Fußvolk in den Untergang treiben.
Der schräge Boris Johnson gäbe gewiss eine Traumbesetzung für den unvermeidlichen "Mad King" ab, der, von Hybris getrieben, gegen alle Vernunft agiert und die Folgen seiner selbstdestruktiven Machenschaften achselzuckend in Kauf nimmt. Auch das Ambiente würde wunderbar mit einer theatralischen Umsetzung harmonieren: Die Parlamentsdebatten ähneln immer mehr einer Vorabend-Soap und sind mit sachlichen Einlassungen zum Thema zumeist nicht zu verwechseln.
Worin besteht der politökonomische Kern der Sache?
Johnson legt es offensichtlich darauf an, das verrückte Ideal von einem unabhängigen, nur sich selbst verpflichteten, im eigenen Saft schmorenden Großbritannien gegen alle realen Abhängigkeiten, Handelsbeziehungen und Verflechtungen als rücksichtslosen Bruch mit der Europäischen Union theatralisch zu inszenieren - komme, was wolle, und sei dagegen, wer will! Wen interessieren schon die etwa sechs- bis siebentausend Vereinbarungen und Vertragsklauseln, in die die britische Ökonomie eingebunden und von denen ihr Erfolg seit Jahrzehnten abhängig ist?!
Getragen wird er dabei von einer Welle der nationalistischen Verblendung, zu der sich ein nicht unerheblicher Teil der britischen Bevölkerung hat hinreißen lassen. Deren Frust über den von den britischen Regierungen der letzten vierzig Jahre durchgesetzten Ruin des Sozialstaats und des Lebensunterhalts der arbeitenden Klassen bis in die Mittelschicht hinein wurde erfolgreich auf den Hass gegen alles "Fremde", die EU, die Ausländer und überhaupt umgeleitet.
Dabei wurde als unterschwelliger Tenor der rückwärtsgewandte Traum von der "guten alten Zeit", vom britischen Empire bemüht: Wir, einst die herrschende Macht der Erde, müssen uns von den Bürokraten vom Kontinent nichts sagen lassen! Unser großartiges Großbritannien kommt auch alleine zurecht!
mehr:
- Das Brexit-Drama geht in die nächste Runde (Rainer Schreiber, Telepolis, 10.09.2019)
siehe auch:
- Der Weg zum Autoritarismus ist mit Lügen gepflastert (Post, 20.07.2019)
- "So, jetzt reicht's!": Queen führt wieder absolute Monarchie ein (Post, 16.01.2019)
- Boris Johnson fällt auf einen Telefonstreich herein (Post, 25.05.2018)
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