Donnerstag, 9. Januar 2020

Der Brief des tschechischen Oberstleutnants Marek Obrtel

Der Brief an den Kommandierenden der amerikanischen Truppen, die Ende März 2015 von Deutschland aus in die baltischen Staaten und wieder zurück verlegt wurden, ist bekannt. Aber viele Leser werden sich nicht mehr daran erinnern. Der Brief ist sehr gut und immer noch aktuell. Deshalb erinnern wir daran. Marek Obrtel hatte in der tschechischen Armee und bei der NATO gedient. Sein Brief wurde in westlichen Kreisen nicht gemocht und schon gar nicht gewürdigt. Auch deshalb erinnern wir daran. Bitte weiterverbreiten! Zu den aktuellen Manövern 2020 siehe hier. Albrecht Müller.

Hier auch noch eine Word-Fassung des Briefes:

Brief des Oberstleutnants der Reserve der Tschechischen Armee, MUDR. Marek Obrtel, vom 31.3.2015.

Er wurde dem Kommandierenden der amerikanischen Truppen, die vom 29.3. bis 1.4.2015 nach den NATO-Manövern in den baltischen NATO-Staaten durch Tschechien in ihre Kasernen nach Bayern zurückgeführt wurden, übergeben:

Sehr geehrter Herr, ich möchte Ihnen auf diesem Wege meinen offenen Brief übergeben, in dem ich meine Meinung zum Sinn, zur Legitimität und Nützlichkeit des Durchzugs des amerikanischen Konvois über das Territorium der Tschechischen Republik, zum Ausdruck bringe.

Sie kommen als bewaffnete Soldaten eines fremden Staates in einer außerordentlich gespannten internationalen Situation in unser Land, einige Tage bevor wir des 70. Jahrestages der Befreiung unseres Landes vom Faschismus und des Endes des II. Weltkrieges gedenken werden. Sie kommen in einer Zeit, wo in der Welt, in Europa und ganz offen in der Ukraine, aber auch in einigen weiteren z.B. den baltischen Staaten, wieder faschistische Fackeln entflammt sind und die Unterstützung des Faschismus ganz deutlich auch aus den Äußerungen von Spitzenpolitikern dieser Länder zu hören ist.

Heute stehe ich noch nicht mit Transparenten auf der Straße, die Sie zur Rückkehr nach Hause auffordern oder Sie Okkupanten nennen. Ich werfe noch keine Tomaten oder Eier. Weil ich denken möchte, dass das einzige ist, was Sie auf eigenen Kurs in die Tschechische Republik geführt hat, sich in diesen Tagen des Gedenkens an die mehr als 25 Millionen russischer und sowjetischer Opfer, an die 420 000 amerikanischer Opfer und an die vielen Millionen anderer Opfer des II. Weltkrieges vor ihnen zu verneigen. So eine Tat ihrerseits würde ich trotz allem für höchst edel halten, obwohl Ihre Teilnahme, nach dem Sie schnell und ohne jegliche Probleme ihre Technik vom Baltikum nach Deutschland mit Sonderzügen gebracht hätten, in Paradeuniform und ohne Waffen viel beeindruckender wäre.

Ich muss Ihnen jedoch aufrichtig sagen, dass sehr viele Bürger unseres Landes Ihre Durchzug durch die Tschechische Republik nicht in dieser Form sehen. Sie sehen in ihm wirklich eher eine Demonstration der Stärke und des Bestrebens, uns daran zu erinnern, „wer hier der Herr ist“. Und darüber müssen Sie sich nicht wundern. Ihr Land – also die USA – haben seit dem Ende des II. Weltkrieges Dutzende überwiegend künstlich hervorgerufene militärische Konflikte, und in deren Folge Millionen Tote, überwiegend unschuldige Zivilisten, einschließlich Kinder, auf dem Gewissen. Es war eine hohe Repräsentantin der Präsidialverwaltung der USA, die auf die Frage, ob es nötig war, eine halbe Million irakischer Kinder zu ermorden, nach einer kurzen Pause sagte – ich glaube dass es dieses Opfers wert war… Bis heute sind wir mit dem Schicksal Serbiens konfrontiert, mehr als 2000 serbische Opfer der amerikanischen Bombardierungen, wieder einschließlich Kinder. Noch viele Jahre werden die Menschen – nicht nur in Serbien – an Krankheiten leiden, die durch die Wirkungen des angereicherten Urans in Tausenden Ihrer Bomben hervorgerufen wurden, die auf Jugoslawien aber überflüssigerweise auch in die Adria gefallen sind, wo sie eine große Unbekannte sind. In der Tschechischen Republik und in Europa haben wir große Probleme mit der Immigration von Menschen aus Ländern des Nahen und Mittleren Ostens sowie aus Afrika, die die USA mit ihrer imperialistischen Außenpolitik völlig vernichtet haben. Das Territorium ehemals normal funktionierender Staaten mit einer kompletten Infrastruktur ist jetzt „verbrannte Erde“. Dort haben Sie beim Entstehen solcher Organisationen wie z.B. dem Islamischen Staat oder früher Al Kaida, Ihren ehemaligen Verbündeten, geholfen.

Seit 2000 hat Ihr Land grundlos mindestens sechs Länder militärisch angegriffen, von denen in nicht einem weder die proklamierte Freiheit und Demokratie, noch die konsequente Einhaltung der Menschenrechte, erreicht wurden. Die Menschen fragen sich zu Recht: „Wer ist hier also der Weltaggressor? Russland, von dem man in diesem Sinne spricht und das auf der ganzen Welt zwei Basen zum Schutz gegen den islamischen Fundamentalismus hat…, oder ist es nicht gerade Ihr Land mit 700 Basen auf der ganzen Welt und mit der o.g. Vergangenheit? Ist es Russland, das von allen Seiten von NATO-Soldaten eingekreist, provoziert und gezwungen ist, sich vor der Aggression der USA zu schützen oder ist es Ihr Land, dass sich bemüht, seine inneren Probleme um jeden Preis auf Kosten Russlands und Europas zu lösen?

mehr:
- Aus Anlass der kommenden Manöver im Osten Europas und zum besseren Verständnis der Sorgen, die mit der imperialen Gewalt der USA wachsen, erinnern wir an den Brief eines tschechischen Oberstleutnants (Marek Obrtel, NachDenkSeiten, 08.01.2020)
siehe auch:
Sind »Freiheit und Demokratie« das Leben von einer halben Million Kinder wert? (Post, 08.05.2019)
Die Durchschlagskraft der Guten (Post, 22.03.2019)
Der Faschismus der anderen (Post, 24.09.2018)
- Gaddafi, »La Belle« und die US-Strategie des »Umbaus des Nahen und mittleren Ostens« (Post, 13.05.2018)
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