Donnerstag, 9. Juli 2020

Die Schriftstellerin, die Sprache, die verletzten Gefühle der geschützten Minderheit, der Shitstorm und die Medien


  • Die „Harry Potter“-Autorin veröffentlichte eine Reihe transfeindlicher Tweets.
  • Neben zahlreichen Aktivistinnen und Aktivisten ergreift auch „Harry Potter“-Schauspieler Daniel Radcliffe das Wort 
Update vom Donnerstag, 09.07.2020, 10.40 Uhr: Gemeinsam mit weiteren 151 Intellektuellen hat J.K. Rowling einen offenen Brief geschrieben. In dem Schreiben solidarisieren sich die Unterzeichner*innen auf der einen Seite mit den weltweiten Protesten gegen Rassismus und Polizeigewalt, kritisieren auf der anderen aber eine intolerante Kultur, die der offenen Debatte schaden würde.
J.K. Rowling fordert freien Austausch von Informationen  
„Der freie Austausch von Informationen und Ideen, der Lebensnerv einer liberalen Gesellschaft, wird jeden Tag weiter verengt“, schreiben J.K. Rowling und ihre Kolleg*innen, zu denen unter anderem der deutsche Autor Daniel Kehlmann, der amerikanische Linguistik-Professor Noam Chomsky und die kanadische Schriftstellerin Margaret Atwood gehören. Veröffentlicht wurde der Brief durch das „Harper‘s Magazine“.
Die internationale Riege von Intellektuellen um Rowling kritisiert außerdem die feindliche Kultur, die ihnen entgegengebracht werden würde. Es gebe „im Geiste eine panische Schadenskontrolle“, die einen freien Austausch von Ideen verhindern oder zumindest beeinträchtigen würde. Auch Beispiele werden in dem Brief aufgeführt: „Redakteure werden entlassen, weil sie umstrittene Texte veröffentlicht haben. Bücher werden wegen angeblicher Inauthentizität zurückgezogen. Journalisten dürfen nicht über bestimmte Themen schreiben. Gegen Professoren wird ermittelt, weil sie im Unterricht literarische Werke zitiert haben.“
J.K. Rowling und die anderen sehen sich als Verteidigerinnen der freien Rede
Die Idee des Briefes stammt laut Informationen der New York Times von Thomas Chatterton Williams. Der amerikanische Autor sagte gegenüber der US-Zeitung, der Brief sei „eine Verteidigung“ der freien Rede, „ohne Angst vor Strafe oder Vergeltung haben zu müssen“.
Die Kritik blieb nicht aus und entzündete sich vor allem an der prominentesten Unterzeichnerin, J.K. Rowling. Sie stand aufgrund ihrer Tweets, die von der Transgender-Community als feindlich eingestuft wurden, ohnehin in der Kritik. Emily VanDerWerff, Autorin für das US-Nachrichtenportal „Vox“, veröffentlichte auf Twitter ein Statement, in dem sie angab, sich als trans Frau durch den Brief an ihrem Arbeitsplatz unwohl zu fühlen, weil auch Teile ihrer Kollegen und „prominente Anti-Trans-Stimmen" zu den Unterzeichnern gehören würden.
[Valerie Eiseler, J.K. Rowling beklagt sich in offenem Brief über „intolerantes Klima“, fr.de, 09.07.2020]


Mit einem differenzierten Beitrag versuchte die Harry-Potter-Autorin dem Vorwurf zu begegnen, sie achte Transgender-Menschen nicht. Der Text trug ihr neue Schmähungen ein – und sie ist nicht die Einzige, die derzeit mit dem moralischen Reinheitsfuror zu kämpfen hat.  
Was haben «Black Lives Matter» und Transgender-Streitigkeiten gemeinsam? Was verbindet die Neubesichtigung von Satire mit dem Sturz alter Denkmäler? Unmut macht sich in Grossbritannien an vielen Schauplätzen breit.

J. K. Rowling liess sich nicht zum ersten Mal, und wieder mutig, auf eine Diskussion über Transgender-Menschen ein und trat erneut eine Hasslawine los. In einem langen Blog-Eintrag, dem eine ausführliche Beschäftigung mit dem Thema vorausgegangen sei, erklärte die Harry-Potter-Autorin, was vordem nur in Twitter-Kriegen angerissen worden war.

Rowling betont ihre grosse Sympathie für Transmenschen, und es wird klar, dass sie weiss, wie exponiert und verletzlich diese sind. Wäre sie dreissig Jahre später geboren worden, schreibt die Autorin, hätte sie sich in ihrer eigenen Jugend eine Transition vorstellen können – «die Verlockung, dem Frausein entfliehen zu können, war riesig». Trotz allem aber seien auch die Gegebenheiten des biologischen Geschlechts nicht zu leugnen. Sie finde alle Behauptungen, dass biologische Frauen keine gemeinsamen Erfahrungen hätten, «frauenfeindlich und regressiv».

Türen auf für alle?

Auslöser der Debatte war ein Gesetzesvorschlag des schottischen Parlaments, der es Transmenschen erlauben würde, auch ohne medizinischen Nachweis ihre geschlechtliche Identität rechtsgültig zu wählen. Darin sah Rowling einen Risikofaktor: Wenn man die Türen von Toiletten- und Umkleideräumen für jeden Mann öffnen würde, der sich als Frau fühle, «dann öffnet man die Tür für alle Männer, die hereinkommen wollen». Ihre Vorbehalte führte die Schriftstellerin auf Erinnerungen an häusliche Gewalt in ihrer ersten Ehe zurück, ein Umstand, den sie zum ersten Mal erwähnte.

Eingehend schreibt sie auch über bereits erfahrene und noch erwartete erbitterte Reaktionen auf ihre Äusserungen. Obwohl diese explizit eine Aufforderung zur Akzeptanz unterschiedlicher Meinungen enthalten, liessen die Beschimpfungen nicht auf sich warten. Sie manifestierten sich in gewohnt schriller Intoleranz zuerst auf Twitter, gingen dann aber darüber hinaus.

Harry-Potter-Fans drohten, Rowlings Bücher zu entsorgen, sogar zu verbrennen, Fanklubs sagten sich von ihr los und riefen zum Boykott auf – was für eine bittere Ironie. Eine Schule in West Sussex, die einen Gebäudeflügel nach der Autorin benennen wollte, verzichtete nach dem Erscheinen des Blog-Eintrags mit der Begründung, der Standpunkt der Autorin entspreche nicht ihrem «Ethos der Inklusivität». Stars der Harry-Potter-Filme wie Emma Watson und Daniel Radcliffe kritisierten J. K. Rowling scharf, ebenso Eddie Redmayne, der in einer anderen Rowling-Verfilmung («Phantastische Tierwesen») spielte. Ältere Darsteller aus den Harry-Potter-Filmen wie Emma Thompson, Maggie Smith und Gary Oldman schwiegen dazu.

Der Disput kann auch als Ausdruck eines Generationenkonflikts gelesen werden. Im Kampf um Wertverschiebungen ändern sich Terminologien in hohem Tempo. Menschen, die gestern und vorgestern noch als offen und liberal galten, können sich heute unversehens mit der Beschuldigung konfrontiert sehen, das Gegenteil zu verkörpern.
Kein Sinn für Satire  
Zensur gab es auch anderswo. Dabei wurden nicht nur bisher innig geliebte Bücher auf die Kippe geschmissen, sondern weiteres, plötzlich unliebsam gewordenes Kulturgut beseitigt. Dieses Mal kam der Anstoss von der «Black Lives Matter»-Bewegung. Der Klassiker «Vom Winde verweht» und andere Filme und Serien (darunter «Little Britain») werden von Fernsehsendern auf rassistische Inhalte überprüft, mit kritischen Kommentaren versehen oder aus dem Programm genommen. Eine Diskussion und Neubewertung von Kulturgütern aus der Vergangenheit kann geboten sein, wie im Fall von «Vom Winde verweht»; Zensur aber ist nicht sinnvoll.

Eine ebenso lächerliche Verlagerung des triftigen Rassismus-Anliegens auf einen Nebenschauplatz erlebte die Comedy-Serie «Fawlty Towers» (1975/79). Der BBC-Anbieter UKTV entfernte eine der berühmtesten Folgen aus seinem Box-Set. Nach Zuschauerprotesten versprach der Sender, die Episode «The Germans» mit einem kritischen Kommentar und Warnungen vor rassistischen Verunglimpfungen wieder aufzunehmen.

Der Sender legte nicht dar, warum genau er die schon seit Jahren als politisch unkorrekt umstrittene Folge entfernte. Denn in Wirklichkeit wird gerade in ihr die Fremdenfeindlichkeit – sie trifft die Deutschen, Schwarze und in Massen auch einen unglücklichen Kellner aus Barcelona – mit komödiantischen Mitteln verhöhnt. Der «Fawlty Towers»-Schöpfer John Cleese erklärte es noch einmal für alle: «Wenn man einer Figur Unsinn in den Mund legt, über die man sich lustig machen will, heisst das nicht, dass man ihre Meinungen verbreiten will, sondern, dass man sich darüber lustig macht.»

Als den Hotelbesitzer Basil Fawlty spielt John Cleese ein Monstrum der Überheblichkeit, einen Menschenfeind im permanenten verbalen Overdrive – und eine der ganz grossen Schöpfungen britischer Comedy. Andere Figuren der Serie werden mit ebenso komischer Meisterschaft und Radikalität in ihrer Grausamkeit oder Dummheit entlarvt, was selbst nicht ohne Grausamkeit ist, aber weder dumm noch rassistisch – im Gegenteil.

[Marion Löhndorf, Zetern ist leichter als hinhören – der neue Shitstorm gegen J. K. Rowling ist da der traurige Beweis, NZZ, 16.06.2020]     


Nicht alle Frauen menstruieren, zum Beispiel trans Frauen. Andererseits sind nicht alle Menschen, die menstruieren, Frauen. Dazu gehören nicht-binären Personen und vor allem trans Männer, was beispielsweise im Zusammenhang mit Gesundheitsfragen von Belang sein kann. […]

Die Gruppe der „menstruierenden Menschen“ kann also nicht mit "Frauen" gleichgesetzt werden. Dass Rowling für all das kein Verständnis aufbringt und inklusive Formulierungen lächerlich macht, empfinden viele aus der queeren Community als ignorant, inter- und transfeindlich.

Deshalb wird die 54-Jährige nun von Twitter User*innen, Organisationen und Aktivist*innen kritisiert. So schrieb der britische TV-Journalist Scott Brian: „Bitte sprich mit queeren Personen. Bitte.“

Rowling begibt sich mit ihrer Sichtweise in die gedankliche Nähe der sogenannten „TERFs“ (Trans-Exclusionary Radical Feminism“), also Menschen, die trans Frauen aus ihrem Verständnis von Frauen ausschließen. Die meisten TERFs bezeichnen sich selbst nicht als solche, sondern beispielsweise als „genderkritische Feminist*innen“. Es handelt es sich also um eine Zuschreibung von außen.

Autor Linus Giese hat es im Queerspiegel so erklärt: „Trans Männer sind für TERFs ‚biologische Frauen‘, die Opfer von Geschlechterstereotypen und Frauenfeindlichkeit werden: Um dem erdrückenden Patriarchat zu entkommen, werden sie körperliche Männer.“ Dahinter stehe ein Denken, das trans Menschen sprachlich unsichtbar mache, ihre Identität anzweifle oder ihnen obendrein ihre Existenz abspreche.

Die Autorin fühlt sich als "Feminazi" diffamiert

Auch Rowling bezeichnet sich selbst nicht als TERF. Das stellte sie auf Twitter klar: „‘Feminazi‘, ‚TERF‘, ‚Bitch‘, ‚Hexe‘. Zeiten ändern sich. Frauenhass ist ewig.“ Dabei ist es nicht das erste Mal, dass die Autorin durch transfeindliche Äußerungen auffällt.

Bereits vor zwei Jahren likte sie den Tweet eines bekannten transfeindlichen Aktivisten, der trans Frauen als „Männer in Kleidern“ diffamierte. Ihre Vertreter*innen nannten das später einen „ungeschickten middle-aged Moment“.

Im Dezember 2019 solidarisierte Rowling sich außerdem in den sozialen Netzwerken mit Maya Forstater. Diese hatte zuvor trans Frauen mehrfach ihre Geschlechtsidentität abgesprochen.

[Inga Hofmann, Transfeindliche Tweets von J.K. Rowling – Bestsellerautorin zieht Wut von queeren Harry Potter-Fans auf sich, Tagesspiegel, 10.03.2020]

siehe auch: 
Ein Kleinod deutscher Fernsehkultur: Doktor Murkes gesammeltes Schweigen (Post, 09.07.2018)
Ein „sexistisches Gedicht“? (Post, 08.09.2017)
Vegan modifiziertes Glockenspiel (Post, 19.02.2017)
Gleichstellungsbeauftragte und bayerische Tradition (Post, 25.05.2015)
- Realsatire: Nennen Sie mich Prosecco Hornscheidt (Post, 26.12.2014)
Vor wenigen Tagen habe ich nun von einem 17jährigen Schüler gehört, der auf seiner Schule Probleme bekommen hat. Dieser Junge, der übrigens ausgezeichnet integriert ist – er ist Klassensprecher, Sanitäts-Helfer und auch in der Energiespar-Kommission der Schule –, hat sich bei einem Kameraden eine Softgun ausgeliehen. Da seine Mutter keine Waffe zuhause haben will, hat er das Gewehr in einer großen Tasche in die Schule mitgenommen und dort im Sanitätsraum in seinem Spind verstaut. Er hatte vor, wenn seine Mutter mal tagsüber nicht da ist, die Softgun mit nachhause zu nehmen und da auszuprobieren. Ein anderer Sanitäter durchsuchte nun auf der Suche nach einem bestimmten Gegenstand auch den Spind dieses Mitschülers, es fiel ihm die große Tasche auf, und jetzt haben wir den Salat: Mehrere Lehrerinnen haben jetzt Angst davor, diesen Schüler zu unterrichten. Dazu kommt, daß sich die Eltern des Jungen vor einigen Jahren haben scheiden lassen, weswegen er die Schulpsychologin aufsuchte. Nun haben sich Direktor und Klassenlehrer an die Psychologin gewendet, damit diese eine Einschätzung abgibt, wie wahrscheinlich ein Amoklauf dieses Jungen ist. Einige Eltern von Mitschülern haben davon Kenntnis erhalten und fordern seinen Schulverweis.
[Gewalt durch Männer, Gewalt durch Frauen: Im Inneren des Walfischs, Post, 11.05.2009]
Gender 4: Wie falsch ist die gerechte Sprache? - Punkt.PRERADOVIC mit Doro Wilke {15:53}

Punkt.PRERADOVIC
Am 19.06.2020 veröffentlicht 
Gendersprache vs Grammatik. An Unis, in Kommunen, bei ARD und ZDF, die Gendersprache breitet sich momentan rasant aus. Aber viele der neuen, gerechten Wörter sind schlicht falsch. Zumindest nach der geltenden Grammatik. Das sagt Doro Wilke vom Verein Deutsche Sprache. Außerdem führe Gendersprache nicht zu Gleichbehandlung, sondern diskriminiere andere Minderheiten.
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Dirty Harry {0:09}

MrsCalahan
Am 10.07.2007 veröffentlicht 
Meinungen sind wie Arschlöcher


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