Freitag, 8. September 2017

Ein „sexistisches Gedicht“?

Lyrik In Berlin ist ein erbitterter Streit um das spanisches Gedicht „avenidas“ an der Fassade der Alice-Salomon-Hochschule entbrannt. Zu Recht

Lyrik schafft es nicht allzu oft in die Kommentarspalten, selbst wenn Gedichte – wie vor ein paar Jahren anlässlich eines Poetikfestivals in Berlin – mit politischem Nachdruck in der ganzen Stadt plakatiert werden. Um die acht spanischen Zeilen des inzwischen 92-jährigen Eugen Gomringer allerdings ist ein öffentlicher Streit entbrannt, der all jene Lügen straft, die glauben, Literatur vermöge nicht(s) zu bewegen. An der Fassade der renommierten Alice-Salomon-Hochschule, an der Soziale Arbeit, Gesundheit und Erziehung und seit 2006 auch Biografisches und Kreatives Schreiben gelehrt wird, sorgt das Gedicht avenidas („Alleen“) von 1951 für heftigen Wirbel. Überdimensional ist an der Wand der Hochschule zu lesen:

avenidas
avenidas y flores
flores
flores y mujeres
avenidas
avenidas y mujeres
avenidas y flores y mujeres y un admirador

Davon fühlen sich manche Studentinnen belästigt, die das Gedicht als Beispiel einer lyrischen Tradition lesen, die Frauen (mujeres) naturmetaphorisch mit Blumen (flores) gleichsetzt und zum Objekt eines bewundernden männlichen Blickes (admirador) macht. Deshalb hat der AStA schon 2016 gegen das „sexistische Gedicht“ interveniert. Es reproduziere, so das Argument, die „klassische patriarchale Kunsttradition“, in der Frauen nur als „die schönen Musen“ wahrgenommen würden, „die männliche Künstler zu kreativem Schaffen inspirieren“. Die Studierendenvertretung fordert, dass das Gedicht entfernt wird.

mehr:
- Ein „sexistisches Gedicht“? (Ulrike Baureithel, der Freitag 36/2017)

siehe auch:
- Streit um Gedicht an Hochschulfassade – Sind Männer nicht auch hübsch?  (Margarete Stokowski, SPON, 05.09.2017)

"avenidas"-Debatte: Solidaritätserklärung {3:49}

Veröffentlicht am 20.09.2017
Sofie Lichtenstein
Liebe Studierende des AStA der Alice-Salomon-Hochschule,
wir wollen hiermit unsere Solidarität mit Euch erklären! Wir: Das sind verschiedene Menschen, die im weitesten Sinne im Literaturbetrieb arbeiten. Ein Feld, das strukturell weit und unübersichtlich ist und auf dessen Vielstimmigkeit wir doch nach wie vor große Hoffnung setzen. Gleichzeitig agieren einige der entscheidenden literarischen Institutionen nach wie vor zweifellos anachronistisch und zuweilen reaktionär und diskriminierend: Kurz vor der jetzigen Debatte um die Neugestaltung Eurer Fassade wurde an der Schreibschule Hildesheim eine Debatte über betriebsinternen Sexismus angestoßen, in der es bald auch um andere Formen von Ausschlüssen ging. Am immensen Redebedarf, an den so diversen Erfahrungen und Forderungen, die dabei zur Sprache kamen, wurde deutlich, wie überfällig eine solche Auseinandersetzung für dieses, unser Arbeitsumfeld ist. Und nicht zuletzt auch an den verharmlosenden bis sexistischen Reaktionen auf die Beiträge der Debatte. Das Ausmaß an reaktionärer Polemik, von diskriminierender Beleidigung bis hin zur Gewaltandrohung, das Euch nicht nur öffentlich entgegenschlägt, schockiert uns trotzdem noch einmal völlig neu. Und es macht uns wütend.
Wo genau Sprechverbote verhängt werden, wenn die allermeisten in großen Medien veröffentlichten Beiträge zur jetzigen Aufregung um avenidas sich über genau diese echauffieren, bleibt uns ein Rätsel. Wir wollen Euch nichtsdestotrotz wissen lassen, dass sich in den Facebook-Kommentarspalten und kleineren Meinungsäußerungen des literarischen Feldes auch ganz andere Positionen abbilden: Unterstützung, Verständnis und eben Solidarität. Wir teilen Eure Kritik, die der Präsentation des Gedichts an der Fassade gilt, und können in der Umgestaltung derselben daher keinen Akt der Zensur feststellen - wird doch nicht für ein Verbot von avenidas plädiert. Auch kann von der Zerstörung eines Kunstwerkes nicht die Rede sein, wenn doch allein das Gedicht ein solches darstellt und nicht dessen Platzierung an einer Wand. Das heißt also, noch einmal, dass unsere Vorbehalte nicht der Person Eugen Gomringer gelten, der die Lyrik maßgeblich bereichert hat, sondern der repräsentativen Ausstellung an der Fassade einer Hochschule sowie der bisherigen Praxis von prominenten Vertreter*innen des Literaturbetriebs, Gefühle und Erfahrung anderer weg zu argumentieren und lächerlich zu machen, die mit der eigenen Interpretation kollidieren. Inwiefern sind Interpretationen erheblich, wenn es Student*innen gibt, die die repräsentative Platzierung des vorliegenden Gedichts innerhalb patriarchaler Kontexte als diskriminierend empfinden? Dass sich andere anmaßen, Deutungshoheit über diesen Text zu behaupten und anderen Leseerfahrungen die Gültigkeit abzusprechen, hat schlicht nichts mit unserem Literaturverständnis zu tun.
Wir finden die Neuausschreibung der Fassade, so wie sie die Hochschule jetzt in Gang gesetzt hat, richtig. Und wir sind euch nicht zuletzt dankbar, dass die Auseinandersetzung über Gender im literarischen Feld mit Eurem Beitrag fortgesetzt wird, auch wenn diese Fortsetzung zunächst bloß wie eine Verschärfung des Diskurses erscheint. Wie wir – welches Wir wir dann auch immer darstellen – in dieser aggressiven Atmosphäre des Rollback am besten weiter gegen Diskriminierungen vorgehen -- strategisch und gleichzeitig, ohne uns selbst auszubeuten und aufs Spiel zu setzen --, darüber würden wir gerne mit Euch reden – und mit allen, die wollen.
Unterstützer*innen:
Malte Abraham,Luna Ali, Konstantin Ames, Shida Bazyar,Tatjana von der Beek, Josefine Berkholz, Ines Berwing, Luise Boege, Philipp Blömeke, Timo Brandt, Tom Bresemann, Yevgeniy Breyger, Katja Brunner, Helene Bukowski, Andreas Bülhoff, Ann Cotten, Kristoffer Cornils, Max Czollek, Thilo Dierkes, Peter Dietze, Katja Sophia Ditzler, Anke Dörsam,Kai van Eikels, Sirka Elspaß, Daniel Falb, Clara Ehrenwert, Daniel Falb, Julietta Fix, Christiane Frohmann, Kirsten Fuchs, Olga Galicka, Moritz Gause, Dmitrij Gawrisch, Mara Genschel, Heike Geißler, Mara Genschel, Alexander Graeff, Steffen Greiner, Dinçer Güçyeter, Elisabeth R. Hager, Catherine Hales, René Hamann, Martina Hefter, Carla Hegerl, Tim Holland, Bettina Hünersdorf,Yulian Ide, Jayne-Ann Igel, Ulrike Jäger, Gunnar Kaiser, Juli Katz, Luca Manuel Kieser, Sina Klein, Ekkehard Knörer,Christiane Koppenbrink, Thorsten Krämer, Grit Krüger, Jan Kuhlbrodt, Victor Kümel, Anja Kümmel, Stefan Kurz, Sofie Lichtenstein, Peter Lilian, Elizabeta Lindner, Anneke Lubkowitz, Tristan Marquardt, Stefan Mesch, Michaela Maria Müller, Jacinta Nandi,Laura Naumann, Rudi Nuss, Ronya Othmann, Antonie Partheil, Martin Piekar, Rick Reuther, Sophie Reyer, Nikola Richter, Mithu Sanyal, Caca Savic, Felix Schiller, Andrea Schmidt, Lea Schneider, Andra Schwarz, Luis Stabauer, Sabine Scholl, Ulf Stolterfoht, Lena Vöcklinghaus, Christoph Wagenseil, Max Wallenhorst, Michael-André Werner, Julia Wolf, Nora Zapf, Mathias Zeiske, Jana Zimmermann

mein Kommentar:
vielleicht wäre es hilfreich, wenn man die Angelegenheit gelassener sehen würde…
Aber vielleicht steckt ja in dem Vorschlag auch schon was patriarchal-sexistisches…
Was würde geschehen, wenn sich Künstler einer genderkorrekten inneren Zensur unterwerfen müßten? Vielleicht sollte frau sich mal mit Faust II beschäftigen…
Sollen sie sich doch die Köpfe heißdiskutieren!

Ihr werdet sagen, Peter Panter sei ein altmodischer Spießer. Ich möchte dafür plädieren, dass er ein Mensch ist. [Kurt Tucholsky,  Iste Goetheüber Goethes »Tagebuch«, in: Kritiken und Rezensionen, veröffentlicht in der Weltbühne, 30.09.1920]

Frank Zappa - Titties and beer (with subtitles) {6:38}   Text (Zappa Wiki Jawaka)   Übersetzung (Golyr)   Interpretation (Songfacts, The Home Of Frank Zappa Heritage Studies)

Veröffentlicht am 14.03.2011
bolimozak
The Palladium, NYC, NY, October 31, 1977
Baby Snakes DVD
Frank Zappa -- lead guitar, vocals
Adrian Belew -- guitar, vocals
Peter Wolf -- keyboards
Tommy Mars -- keyboards, vocals
Ed Mann -- percussion, vocals
Patrick O'Hearn -- bass
Terry Bozzio -- drums, vocals

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