Mittwoch, 8. Juli 2020

Verschwörungstheorien – Worüber man besser schweigt…


zum geschichtlichen Hintergrund sehe man sich folgende Wikipedia-Artikel an:
- Amalgam Virgo (engl. Wikipedia, Google-Übersetzer)
- Jersey Girls (engl. Wikipedia, Google-Übersetzer)


Die Menschen können ihrer Natur nach nichts weniger ertragen, als dass Meinungen, die sie für wahr halten, als Verbrechen gelten sollen, und dass ihnen als Unrecht das angerechnet werden solle, was sie zur Frömmigkeit gegen Gott und die Menschen bewegt. Dann kommt es, dass sie die Gesetze verwünschen und gegen die Obrigkeit sich vergehen und es nicht für schlecht, sondern für recht halten, wenn sie deshalb in Aufruhr sich erheben und jede böse That versuchen. Ist die menschliche Natur so beschaffen, so treffen die Gesetze gegen
Quelle: Tractatus theologico-politicus, Wikipedia
Meinungen nicht die Schlechten, sondern die Freisinnigen; sie halten nicht die Böswilligen im Zaum, sondern erbittern nur die Ehrlichen, und sie können nur mit grosser Gefahr für den Staat aufrecht erhalten werden.
Auch sind solche Gesetze überhaupt ohne Nutzen; denn wer die von den Gesetzen verbotenen Ansichten für wahr hält, kann dem Gesetz nicht gehorchen, und wer sie für falsch hält, nimmt die sie verbietenden Gesetze wie ein Vorrecht und pocht so darauf, dass die Obrigkeit sie später, selbst wenn sie will, nicht wieder aufheben kann. Dazu kommt das oben in Kap. 18 aus der jüdischen Geschichte unter No. 2 Abgeleitete. Wie viel Spaltungen sind endlich daraus in der Kirche entstanden? Welche Streitigkeiten der Gelehrten hat nicht die Obrigkeit durch Gesetze beenden wollen? Hofften die Menschen nicht, Gesetz und Obrigkeit auf ihre Seite zu ziehen, über ihre Gegner unter dem Beifall der Menge zu triumphiren und Ehre zu gewinnen, so würden sie nie mit so ungerechtem Eifer streiten, und keine solche Wuth würde ihr Gemüth ergreifen. […]

Damit also nicht die blosse Zustimmung, sondern die Treue geschützt bleibe, und die Staatsgewalt den Staat in gutem Stand erhalte und nicht genöthigt sei, den Aufrührern nachzugeben, muss die Freiheit des Urtheils zugestanden, und die Menschen müssen so regiert werden, dass sie trotzdem, dass sie unverhohlen verschiedener und entgegengesetzter Ansicht sind, doch friedlich mit einander leben. Unzweifelhaft ist dies die beste und mit den wenigsten Nachtheilen verknüpfte Art der Regierung, denn sie stimmt am besten mit der Natur des Menschen überein. Denn in dem demokratischen Staat, welcher sich dem natürlichen Zustand am meisten nähert, sind Alle übereingekommen, nach gemeinsamem Beschluss zu [273] handeln, aber nicht zu urtheilen und zu denken; d.h. weil alle Menschen nicht gleichen Sinnes sein können, ist man übereingekommen, dass das, was die Mehrheit der Stimmen für sich habe, die Kraft des Beschlusses haben solle, mit Vorbehalt, es wieder aufzuheben, wenn Besseres sich zeigt. Je weniger daher dem Menschen die Freiheit des Urtheils gestattet ist, desto mehr entfernt er sich von dem natürlichen Zustand, und desto mehr wird er durch Gewalt regiert.

[Baruch de Spinoza, Tractatus theologico-politicus, 1670, Zwanzigstes Kapitel – Es wird gezeigt, dass in einem Freistaate Jedem erlaubt ist, zu denken, was er will, und zu sagen, was er denkt., gefunden bei Zeno.org – Hervorhebung von mir]



Mit dem Begriff der Verschwörungstheorie werden unausgesprochen die Grenzen des erlaubten Diskurses abgesteckt

Der Artikel problematisiert die Verwendung des Begriffs "Verschwörungstheorie" und seiner Derivate. Dieser Begriff steht beispielhaft für eine oberflächliche Behandlung komplexer Zusammenhänge. Seine Anwendung, wie hier beispielhaft im Zusammenhang der Corona-Pandemie gezeigt, unterscheidet häufig kaum zwischen fundierter, aber politisch unerwünschter Kritik und der Widergabe unentwickelter, konfuser Argumentationen. Der undifferenzierte Einsatz des Begriffs führt so zu Tabuisierungen im gesellschaftlichen Diskurs, die eine Aufklärung wichtiger Fragen blockieren.

Die Zäsur der Corona-Pandemiesituation braucht viel Mut zu einem unverstellten Forschen wie Prüfen, will sie konstruktiv bewältigt werden. Wie es in Krisenlagen häufig ist, haben Schwachstellen und Fehler im System besonders gravierende Auswirkungen, sie können damit aber auch besonders klar wahrgenommen werden. Das Ereignis der Pandemie ist in seiner Einbettung in den Gesamtzusammenhang kompliziert und verschachtelt. Ein kompetenter Umgang mit ihm wird vermutlich immer lückenhaft bleiben und erfordert dennoch ein hohes Maß an Sorgfalt. Es wird dieses "Mehr" oder "Weniger" im Bemühen um Kompetenz sein, das wahrscheinlich darüber entscheiden wird, ob wir den weiter begangenen Weg irgendwann in der Rückschau als gut bewerten werden können.

In den vergangenen Jahrzehnten ist ganz allgemein die Qualität in der gesellschaftlichen Behandlung von Problemen in erschreckendem Maße erodiert. Viele der öffentlich geführten Debatten sind Spiegel hiervon. Einer der Schlüssel, die das besonders gut aufzeigen können, ist der Umgang mit den Begriffen "Verschwörungstheorie" und Verschwörungstheoretiker". Kennzeichen ihres Gebrauchs ist eine miteinhergehende inhaltliche Verflachung, was bei komplexen Zusammenhängen schwerwiegende Auswirkungen hat.
mehr:
- Coronavirus: Verschwörung Macht Theorie (Claudia Lorenz, Telepolis, 08.07.2020)
siehe auch:
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